Gerade wollte Leon ebenfalls das Büro seines Vaters verlassen, als dieser ihn aufhielt.
„Warte bitte, mein Sohn. Es gibt noch etwas zu besprechen."
Während der junge Mann ihm gegenüber Platz nahm, wandte Simon sich an Linus.
„Hol Fürst Yannik. Ich möchte wissen, wie weit er mit der Vorbereitung der Zelle für das Werwolfmädchen ist."
Mit einer knappen Verneigung verließ der junge Mann den Raum.
Wenige Minuten später kam er mit einem älteren Vampir zurück.
Das kurze, grau melierte Haar war mit Fett streng zurückgekämmt. Er hatte ein markantes Kinn, bedeckt von einem ordentlich gestutzten Bart. Seine leuchtend grünen Augen blickten dem König und dessen Sohn durchdringend entgegen.
Mit einer knappen Verbeugung grüßte er Simon und nahm ungefragt auf dem freien Stuhl Platz.
„Ihr habt gerufen, Hoheit?", wandte er sich näselnd an seinen Herrscher.
Während er auf eine Antwort Simons wartete, betrachtete er interessiert seine fein manikürten Fingernägel. Mit der Spitze eines Stiletts entfernte er den nicht vorhandenen Dreck darunter.
Der König kniff leicht die Augen zusammen, bevor er sich dezent räusperte.
„Wenn Ihr nicht bereits unter meinem Vater treu gedient hättet, gäbe es längst Konsequenzen für Euer Verhalten, Yannik. Alleine schon dafür, dass Ihr in meiner Anwesenheit eine Waffe zieht. Doch ich warne Euch: Treibt es nicht auf die Spitze. Jeder ist ersetzbar, wenn es darauf ankommt."
Mit einem überzogenen Seufzen beendete der Vampir die Begutachtung seiner Nägel und steckte den Dolch weg.
Demonstrativ abwartend sah er zu seinem Monarchen. Als dieser nicht sofort reagierte, ergriff er erneut das Wort. „Ihr wünscht, mein König?"
Simon unterdrückte ein Knurren.
„Ihr hattet Euch gemeldet, die Zelle für das Wandlermädchen vorzubereiten. Wie weit seid Ihr damit?"
Ein schmieriges Grinsen setzte sich in Yanniks Gesicht. „Fertig seit dem ersten Tag, Hoheit. Wenn Ihr wünscht, kann ich sie Euch zeigen."
Kurz wanderte der Blick des Regenten zu seinem Sohn, um sich stumm mit ihm abzusprechen, dann nickte er dem anderen Vampir zu.
„In Ordnung. Führt uns hin und zeigt uns, was Ihr gerichtet habt."
Mit einer übertriebenen Verneigung erhob sich Yannik und wies zur Tür. „Dann folgt mir bitte, Hoheiten."
Ohne sich umzudrehen, verließ er das Büro durch die von Linus eilig geöffnete Tür.
Während er auf das große Treppenhaus zuging, richtete er erneut das Wort an seinen König, ohne ihn jedoch anzusehen.
„Ich habe die Zelle im untersten Stock des Kerkers eingerichtet. Dort sollte das Mädchen sicher sein."Simon und Leon wechselten einen bedeutungsvollen Blick, folgten dem älteren Vampirfürsten aber kommentarlos.
Im Erdgeschoss angekommen wies der Fürst mit einer großen Geste auf einen Gang.
„Hier entlang, mein König."
Dieses Mal knurrte Simon. „Ich weiß, wo der Kerker meiner Burg ist, Yannik."
Der Vampir hob abwehrend die Hände. „Ich meinte doch nur, mein König."
Am Ende des Ganges lag eine schwere, vergitterte Tür. Zwei Krieger hielten dort Wache und salutierten, als Simon sich ihnen näherte.
Yannik wedelte leicht mit der Hand. „Schon gut, ihr Beiden. Macht einfach auf."
Leon stieß heftig die Luft aus und ballte die Faust. Seine Augen blitzten wütend zwischen seinem Vater und dem Fürsten hin und her.
Auch die Wachen sahen sich verdutzt an, öffneten dann aber mit einer erneuten Verneigung den verriegelten Zugang.
Einer der beiden Männer trat in den dahinter liegenden Gang und griff nach einer Laterne, die er entzündete.
„Zu wem möchtet Ihr, Hoheit?"
Simon nickte ihm zu. „Zu niemandem, Sebastian. Deine Begleitung ist somit nicht nötig. Der Fürst möchte uns lediglich die Zelle zeigen, die er für das Werwolfmädchen vorbereitet hat."
Der Mann verzog etwas das Gesicht, nickte dann aber und drückte Yannik die Laterne in die Hand. „Ihr solltet dennoch ein Licht mitnehmen, Hoheit."
Mit spitzen Fingern und angeekelter Miene nahm der Vampir die Lampe entgegen, nicht ohne der menschlichen Wache einen strafenden Blick zuzuwerfen.
Gemeinsam gingen sie den Hauptgang entlang, vorbei an mehreren Türen, hinter denen Wachräume und Lagerräume lagen.
Yannik ignorierte die Zellen in den Seitenkorridoren und ging den Hauptgang entlang.
Am Ende des ersten Zellenganges ging es eine Wendeltreppe hinab. Sofort wurde es dämmrig, denn hier gab es nur noch vereinzelte Lichtschächte, die spärliches Licht auf die Gänge und die Zellen warfen. Ohne diese zu beachten, schritt Yannik an ihnen vorbei. Erst am anderen Ende der Etage führte eine weitere Treppe hinab in das nächste Stockwerk.
Hier wurde es deutlich dunkler. An den Wänden hingen nun mehrere Laternen, um den Gang zu erhellen.
Erneut durchquerte Yannik die Etage, um noch weiter hinab zu steigen.
Schließlich kamen sie auf der untersten Ebene an. Längst waren die Gänge und Zellen in den groben Fels geschlagen, doch hier, tief unten im Berg, rann bereits das Wasser von den Wänden.
Die Luft war schwer von Feuchtigkeit und es roch modrig. Nur noch wenige Lampen erhellten den Gang.
Angewidert zogen Simon und Leon die Nase kraus.
„Ich habe extra ein Verlies hier unten am Fuß des Berges eingerichtet. Dort sollte das Werwolfmädchen sicher weggesperrt sein."
Skeptisch hob der Monarch die Augenbraue, folgte seinem Fürsten aber, als dieser auf die letzte Zelle am Gang zuging.
„Hier ist es, mein König. Ihr werdet zufrieden sein. Eine passende und angemessene Unterkunft für einen Wandler."
Eindeutig verstimmt runzelte Simon die Stirn. „Ob ich damit zufrieden bin oder nicht, werdet Ihr mir selbst überlassen müssen. Öffnet die Tür. Ich will mich selber vom Zustand der Zelle überzeugen."
Mit einer galanten Bewegung ließ der Fürst die Zellentür aufschwingen.
Ohne selbst in den kleinen Raum zu treten, streckte Yannik seinen Arm aus, um die hinter der Tür liegende Zelle zu beleuchten.
Simon machte einen Schritt nach vorne, doch bereits auf der Schwelle verharrte er, die Augen merklich geweitet. Nur leicht hob er die Hand und winkte seinen Sohn neben sich, der ebenso entsetzt auf die Zelle blickte.
Hinter der Tür lag ein kleiner, in den blanken Fels geschlagener Raum. In die Wand waren mehrere Ringe eingelassen, an denen schwere, silberne Ketten hingen. Die Arm- und Fußschellen hatten auf der Innenseite kurze, spitze Dornen.
Der Boden bestand zum Großteil aus dem unebenen Fels, in den die Zelle geschlagen worden war. Lediglich in der Mitte lag ein Häufchen nasses, halb verschimmeltes Stroh, von dem ein unangenehmer Geruch ausging.
Als Simon genauer hinsah, verzog er angewidert das Gesicht. Allem Anschein nach hatte Yannik kein Stroh, sondern Mist in die Zelle gebracht – oder wohl eher bringen lassen.
Die Tür des Verlieses war mit Silber verstärkt. In der oberen Hälfte hatte sie ein Gitter, das mit einer Klappe verschlossen werden konnte und so das Verlies in absolute Dunkelheit tauchen würde.Ruckartig drehte Simon sich zu Yannik um, der ihn erwartungsvoll ansah.
„Wie ich sehe, habe ich Eure Erwartungen noch übertroffen, Hoheit"; wandte er sich siegesgewiss an den Monarchen.
Dieser sah ihn nur entgeistert an. Nach einem kurzen Blick auf seinen Sohn nickte er.
„Ja. Ihr habt meine Erwartungen in Euch mehr als übertroffen", sprach er gedehnt.
„Ich hätte da nur eine kleine Bitte..."
„Natürlich, Hoheit. Ich kann alles ändern, was Ihr wünscht." Yanniks Augen funkelten, als er seinem König selbstgefällig zunickte.
Simon lächelte verhalten. „Nun. Vorerst sehe ich keinen Grund, irgendetwas in diesem Raum zu verändern. Allerdings bräuchte ich dennoch Eure Hilfe. Ich kann mir da eine Sache noch nicht so ganz vorstellen."
Der Fürst runzelte die Stirn. „Wenn Ihr mir sagt, worum es geht, bin ich gerne behilflich, Hoheit.
Für den Bruchteil eines Augenblicks blitzten Simons Augen auf. „Ich nehme Euch beim Wort, Fürst Yannik."
Ein kurzer Blick zu Leon reichte und dieser nahm dem Fürsten die Laterne ab.
Erneut runzelte der ältere Vampir die Stirn, doch Simon sah ihn nur aus funkelnden Augen an. „Ich kann mir noch nicht so recht vorstellen, wie der Bewegungsspielraum des Mädchens sein wird. Sind die Ketten zu kurz? Oder doch eher zu lang?"
Yannik winkte ab. „Die Länge der Ketten lässt sich einfach und schnell anpassen, Simon."
Der König schien zu verharren. Einen Wimpernschlag später sah er jedoch wieder freundlich zu dem Fürsten.
„Ich möchte es dennoch vorab geprüft haben. Ich will nichts dem Zufall überlassen. Wenn Ihr also die Güte hättet, die Zelle zu betreten und Euch die Fesseln anzulegen?"
Irritiert runzelte der Mann die Stirn.
„Ich kann Sebastian holen. Der dürfte auch von der Größe eher an das Mädchen herankommen", schlug er vor.
Mit einem liebenswürdigen Lächeln schüttelte Simon den Kopf.
„Kein Grund, Sebastian herunter zu bitten. Mit Euch kann ich es mir ebenso gut vorstellen. Außerdem wünsche ich keine Verzögerung. Ich bin schon viel zu lange in dem Gestank hier unten.
Ergeben, wenn auch sichtlich unzufrieden, nickte Yannik. „Wie Ihr wünscht", erwiderte er mit zusammen gebissenen Zähnen.
Langsam trat er in den Raum und versuchte dabei, dem Mist möglichst auszuweichen, um seine auf Hochglanz polierten Schuhe nicht zu beschmutzen.
„Fangt mit den Fußfesseln an", ordnete Simon ruhig an und lauschte auf das leise Klicken, das den sicheren Verschluss der Schellen bestätigte.
Zufrieden nickte er. „Jetzt die erste Hand."
Während Yannik merkbar angespannt seine eine Hand fesselte, hängte Leon die Laterne an einen Haken an der Tür.
Mit einem zuvorkommenden Lächeln wandte Simon sich erneut an den Vampir.
„Bei der zweiten Hand wird Euch mein Sohn helfen."
Yannik wurde blass. „Aber Hoheit, das ist doch wirklich nicht nötig. Ihr könnt doch bereits jetzt die Länge der Ketten abschätzen."
Mit einem bedauernden Lächeln schüttelte Simon den Kopf. „Ich will es aber genau wissen."
Er nickte seinem Sohn zu und mit wenigen Schritten stand dieser vor dem Fürsten. Im nächsten Augenblick klickte es bereits und Leon trat mit einem Grinsen zurück.
Yannik zerrte leicht an den Fesseln.
„Jetzt habt Ihr es gesehen, Hoheit, und könnt mich wieder losmachen."
Noch während Simon den Kopf schüttelte, ging er gemeinsam mit Leon einen Schritt zurück und aus der Zelle hinaus, wobei dieser die Laterne mitnahm.
Die Augen des Monarchen blitzten kalt zu Yannik.
„Das könnte ich. Richtig. Aber ich werde es nicht tun. Ich habe Euch bereits gewarnt, dass Ihr Euch auf sehr dünnem Eis bewegt und allein auf dem Weg hierher habt Ihr mir nicht nur einen Grund geliefert, Euch zu bestrafen. Ihr werdet daher hier, in dieser ach so schön vorbereiteten Zelle bleiben."
Simon schlug die Kerkertür zu.
„Außerdem entziehe ich Euch mit sofortiger Wirkung all Eure Titel, Ämter und Besitztümer."
Der Knall vom Schließen der Klappe hallte mehrfach durch die nasskalten Gänge, konnte aber Yanniks einsetzendes Gezeter nicht übertönen.
Ohne sich noch einmal umzudrehen, legte Simon seinem Sohn die Hand auf den Arm.
„Komm, Leon, wir gehen. Und dann wird Sebastian eine meinen Wünschen angemessene Zelle vorbereiten."
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Die Julius Chroniken - Teil 1: Die Prophezeiung
VampiroAus der alten Prophezeiung: Zwei Wesen so unterschiedlich wie Tag und Nacht Von den Göttern geschaffen und für den Frieden gemacht Nach langer Nacht wird der neue Tag beginnen, doch für eine der Seiten gibt es kein Entrinnen. Die Macht ins unendl...