Die Sommerhitze hatte endlich auch in der Wohnung ihren Höhepunkt erreicht und es war wirklich unerträglich und erdrückend. Zumindest war es für Nathan so.
Der Beta war deswegen so am Ende mit den Nerven, dass er sich keinen Zentimeter von dem Stuhl entfernen konnte, an dem er fast festklebte. Das graue Hemd war bereits schweißgebadet, aber er hatte einfach keine Kraft mehr, es auszuziehen. Das kalte Getränk, das er sich vor etwa einer Stunde geholt hatte, war mittlerweile lauwarm und er hasste es, dass ihre Klimaanlage bereits seit drei Tagen kaputt war. Aber der Mechaniker, den er angeheuert hatte, würde erst nächste Woche erscheinen, und es war erst Dienstag. Und das war ohnehin schon der schnellste Termin, denn Morrigan hatte seinen Alpha-Status spielen lassen.
Wie sollte Nathan jemals eine solche Folter ertragen können?!
Selbst die Tatsache, dass er nun für zwei Wochen im Urlaub war, linderte weder seine Stimmung noch sein Leid. Tatsächlich machte es das sogar noch schlimmer. Nicht nur, weil er ein chronischer Workaholic war, sondern weil ihn die Arbeit von dieser stickigen Hitze abgelenkt hätte.
Nun, zumindest hatte er etwas Ruhe und Frieden.
Zumindest dachte er das.
Aber er könnte mit solch einem Wunschdenken nicht falscher liegen.
Die Tür zur Wohnung öffnete sich und laute Stimmen hallten durch den Flur, in dem es vor Sekunden noch friedlich und ruhig gewesen war.
„Du verstehst es wirklich nicht, oder?! Ich habe dir immer wieder gesagt, du sollst mich nicht direkt vor der Universität abholen! Und was machst du?! Du bist ein verdammter Alpha! Wie erwartest du, dass ich jemals Freunde finden soll, wenn du ständig so auftauchst?!"
Diese Stimme gehörte Soey, Nathans Kindheitsfreund und Mitbewohner.
„Entschuldigung?! DU bist derjenige, der es nicht kapiert! Du unterentwickelter Bastard! Du bist drei Tage überfällig! Du könntest jeden Moment in 'Hitze' fallen und trotzdem rennst du herum und verteilst deine Pheromone wie billige Süßigkeiten! Willst du so dringend vergewaltigt werden?!"
Und diese Stimme gehörte Morrigan. Er war auch Nathans Freund und Mitbewohner aus Kindertagen.
„Ich bin verdammt nochmal älter als du, Fotze! Wen nennst du unterentwickelt?!"
„Ich bin vielleicht jünger, aber nicht annähernd so dumm wie du Bastard! Weißt du überhaupt, wie anstrengend es ist, ständig auf deinen verwöhnten Omega-Arsch aufzupassen? Und das letzte meine ich wörtlich!"
„Na wenn es so anstrengend ist, solltest du mich einfach in Ruhe lassen! Ich kann ganz gut auf mich selbst aufpassen!"
Danach konnte Nathan ein wütendes Knurren hören, das aus den tiefsten Regionen der Brust des Alphas kam. Morrigan behielt offensichtlich seine letzte Kraft, um Soey nicht bewusstlos zu schlagen. Aus diesem Grund hörte er sogar auf zu streiten. Sonst hätte ihn ein weiteres Argument des Omega in den Wahnsinn getrieben.
In diesem Moment wäre Nathan am liebsten in seinem Zimmer verschwunden. Doch seine durch die Hitze verursachte Müdigkeit hielt ihn in seiner aktuellen Position, bis Soey ins Wohnzimmer stapfte. Der Omega ließ sich schmollend auf das Sofa fallen.
Der Blonde seufzte laut.
Dann kurz darauf noch etwas lauter.
Nach dem dritten Seufzer gab Nathan schließlich nach und fing an zu reden.
„Warum müsst ihr zwei immer und immer wieder streiten?"
„Weil er derjenige ist, der meine Grenzen nicht respektiert!" Soey erhob sich aggressiv und zog wutentbrannt seine Kreise durch das Wohnzimmer.
„Warum kann er nicht einmal zuhören?! Warum fällt es ihm so schwer, mich zwei Blocks weiter von meiner Universität entfernt abzuholen? Oder zumindest in einem weniger auffälligen Auto als seinem Bentley! Weißt du was er heute gemacht hat? Er hat heute nicht einmal das Dach dieses Dings hochgezogen, während er direkt vor dem Eingang meiner Uni geparkt hatte! Weißt du, was für Blicke ich deswegen bekommen habe?! Stell dir einfach einen verdammten Alpha mit seinem Gesicht vor, der in einem Bentley-Cabriolet sitzt und darauf wartet, dass ICH einsteige! Als Omega bin ich sowieso schon ein Außenseiter! Aber wegen ihm weigern sich selbst die Betas, die seinen Geruch nicht überall an mir getwittert haben, mit mir zu reden, weil sie sehr vorsichtig damit sind! Und die anderen Omegas wollen nur wissen, wie ich es geschafft habe, einen so ‚feinen' Alpha anzuziehen und dabei Ungebuden zu bleiben. Das ist verdammt nervig!"
Soey holte tief Luft und gönnte sich eine kurze Pause von seinem Ausbruch.
„Dein Problem ist also sein Bentley?"
fragte Nathan, immer noch von der Sommerhitze zerstört.
Aber damit löste er einfach die zweite Welle der Wut in Soey aus.
„ER ist mein verdammtes Problem! Warum ignoriert er ständig meine Bitten?! Er ist so ein egozentrischer Idiot!"
„Du weißt, dass er nur sicherstellen will, dass du während deiner Hitzeperiode sicher nach Hause kommst, nicht wahr?"
„Das kann er perfekt, zwei Blocks von meiner Universität entfernt! Oder zumindest mit einem anderen Auto!"
„Soey! Morrigan ist der CEO einer Firma! Er opfert seine Pausenzeit, um dich pünktlich abzuholen. Da ist es nur logisch, dass er keine Zeit hat, nur dafür sein Auto zu wechseln. Er ist zwar Alpha aber du weißt wie er erzogen wurde. Und du weißt auch, dass der Bentley ein Geschenk seines Vaters ist! Er liebt dieses Auto."
„Na toll! Schön, dass ihm ein Auto wichtiger ist als meine Grenzen! So wichtig, dass er mich nicht einfach nur zwei Blocks weiter abholen kann!"
„Auf deinem Weg dorthin kann aber viel passieren! Du bist nunmal ein Omega, auch wenn ich dir etwas Selbstverteidigung beigebracht habe, ist es immer besser zu verhindern als zu provozieren."
Jetzt wurde Soey noch wütender.
„Nur ein Omega?! Du denkst also wirklich, dass ich so schwach bin, dass ich mich am hellichten Tag nicht einmal genug schützen kann, um zwei Blocks zu passieren? Nathan, ich dachte wenigstens du kennst mich und vertraust mir! Ihr zwei seid echt die Schlimmsten!"
„Ich sage nicht, dass ich dir nicht vertraue..."
Nathan konnte seinen Satz noch nicht einmal beenden, als Soey aus dem Raum stürmte.
Der Beta atmete tief durch.
Warum mussten sie dieses Thema immer wieder durchgehen?!
Keiner der beiden dachte schlecht über Soey. Und sie hielten ihn nicht einmal für schwach oder unfähig, sich zu schützen, wenn es wirklich darauf ankam. Trotz seines zerbrechlichen Aussehens war er äußerst stark für einen Omega. Ihm würden ein oder zwei Überraschungsgriffe gelingen, genug, um entkommen zu können. Aber Nathan und Morrigan wussten, dass es kein Spiel war.
Nathan wusste es, weil er ein Polizist war, der bereits mit kriminellen Alphas zu tun hatte. Sie waren mindestens doppelt so stark wie er. Ein unbewaffneter Kampf ohne Unterstützung wäre für den gut ausgebildeten und vorbereiteten Beta tödlich. Und Morrigan wusste es, weil er selbst ein Alpha war. Niemand wusste besser, wozu Alphas fähig waren als er selbst.
Ja, Soey könnte notfalls zurückschlagen, aber weder Morrigan noch Nathan wünschten sich, dass dieser Tag jemals kommen würde. Ja, sie wussten beide genauso gut, dass der Omega sich wegen ihrer überfürsorglichen Art so leichtsinnig verhielt. Aber war das nicht besser, als wenn er vergewaltigt und für den Rest seines Lebens traumatisiert wäre?
Oder noch schlimmer!
Vergewaltigt, traumatisiert und auf tragische Weise an seinen Vergewaltiger gebunden?
Dabei spielte es nicht einmal eine Rolle ob der Alpha nun kriminell oder lediglich von trieben geblendet war.
Schon bei dem Gedanken daran wurde Nathan schlecht.
Soey war für ihn wie ein kleiner Bruder und er würde jederzeit seinen Job und seine Freiheit aufs Spiel setzen, um ihn zu beschützen. Vielleicht war das sogar der Grund, warum er sich überhaupt dafür entschieden hatte, Polizist zu werden?!
Dennoch tat es jedes Mal weh, wenn dieser Streit auftrat.
Morrigan hatte nicht Unrecht, Soey als verwöhnt zu bezeichnen, denn sie waren bereits seit ihrer Kindheit befreundet. Beide hatten nie zugelassen, dass der Omega von anderen schlecht behandelt wurde. Und die meiste Zeit hatte sich auch niemand an Soey heran getraut, wegen den beiden. Nun vor allem wegen Morrigan.
Nathan und Morrigan waren damals direkte Nachbarn.
Und Soey war im Kindergarten in derselben Gruppe wie der Beta.
Natürlich hatten sie dadurch in ihrer Freizeit viel zusammen gespielt. Und aus diesem Grund wurden auch ihre Eltern miteinander befreundet. Auch wenn ihre Familien so unterschiedlich waren, endeten sie alle in einer Gruppe voller Chaos.
Bis heute nannte Nathan Soeys und Morrigans Eltern Onkel und Tante. Denn für ihn waren sie schon immer seine Familie gewesen.
Nathan tat die heutige Situation wirklich leid, doch er wusste auch, dass alles was er sagen könnte in so einem Moment entweder Soey oder Morrigan verletzen würde. Er hatte es oft genug versucht und schließlich einfach aufgeben. Dieses Thema war bereits schwer genug unter weniger hormonellen Zuständen, doch ein mal im Monat war es schlichtweg unmöglich. Mit beiden!
Es war wirklich schwierig für den Beta, der nicht im Ansatz so sehr von den Zyklen beeinflusst wurde wie seine besten Freunde. Nathan für seinen Teil konnte es nicht einmal riechen ob nun ein Alpha, Omega oder Beta vor ihm stand. Und damit war er eine Ausnahme in sich. All seine Beta Kollegen bei der Polizeiwache wunderten sich ständig darüber, dass er das nicht konnte.
Ob es wohl daran lag, dass etwas nicht mit ihm stimmte oder daran, dass er seit Kindertagen all diese Geräusche so stark vermischt wahrgenommen hatte? Am Ende war es ihm sowieso egal.
Klar schloss es ihn auf seinem Arbeitsplatz dadurch aus, wenn eine konkrete Suchaktion stattfand oder ähnliches was mit Gerüchen zu tun hatte. Doch er besaß dafür andere Stärken und eiferte nicht unbedingt darum an vorderster Front zu sein.
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Alpha, Beta, Omega
RomanceNathan's Leben wäre eigentlich ein ganz gewöhnliches. Keine tragische oder überaus herausragende Kindheit, seine Noten stets knapp über dem Durchschnitt, weder ein Außenseiter noch sonderlich beliebt. Selbst in seinem Beruf als Polizist hat der Mann...