Als ich die Augen aufschlage, kitzelt die Sonne meine Nase und Staubkörner glitzern über meinem Bett. Die Luft riecht wie kurz vor einem warmen Sommertag. Ich schaue auf den kleinen, analogen Wecker, auf dem Hocker vor meinem Bett. 08:06 Uhr, einen Moment lausche ich meinen Cousinen im Zimmer nebenan. Sie reden leise miteinander. Ich höre, wie Coelin mit kurzen Schritten durch den Raum läuft. Ich traue mich nicht hinüber zu gehen. Ich würde vermutlich keine tröstenden Worte finden. Heute ist der Tag der Ernte. Gestern war ich am Oststrand. Sollte ich gezogen werden, wollte ich ein letztes Mal dort schwimmen, die Felsen hinaufklettern und meine Gedanken schweifen lassen.
Ich stehe auf, ziehe mir eine Leggins über und gehe hinunter in die Küche. Blue sitzt am gedeckten Frühstückstisch und nippt nervös an ihrem Tee.
Ich schaue auf das Essen und nehme mir eines von den Algenbrötchen und knabbere daran. Mein Mund ist so trocken, dass ich mein Glas Orangensaft bereits nach einem Bissen von dem Brötchen ausgetrunken habe.Blue räuspert sich neben mir. „Ich habe dir etwas zum Anziehen herausgesucht. Das Kleid von letztem Jahr wird dir nicht mehr passen. Es liegt im Schlafzimmer." Sie deutet mit ihrem Kopf in Richtung Schlafzimmertür. „Benutz mein Badezimmer und alles, das du möchtest, um dich fertig zu machen." Sie steht auf und geht die Treppe nach oben zu ihren Töchtern.
Andere Mädchen kriegen bestimmt gerade ihre Haare von ihrer Mutter geflochten oder ein beruhigendes Lied aus Kindertagen vorgesungen. Ich fühle mich allein, als ich in das Schlafzimmer meiner Tante trete. Ich verstehe, dass sie sich um ihre zwölfjährige Tochter kümmern möchte, aber es würde mich beruhigen, den Weg nicht allein gehen zu müssen.
Das Kleid, das auf dem Bett vor mir liegt ist graublau, wie der Himmel an stürmigen Tagen. Das Oberteil ist an der Seite ausgeschnitten und hat einen V-förmigen Ausschnitt, ehe es sich um den Hals legt. Auch der Rücken ist weit ausgeschnitten. Ich sehe mich schon daran herumzupfen und möchte mir eines von Tante Blues Kleidern nehmen, als mir der Zettel auffällt. „Das hat deine Mutter getragen, als dein Vater ausgelost wurde."
Mein Vater? Aber mein Vater war doch noch lange nach meiner Geburt am Leben? Ich runzle die Stirn und gehe mit dem Kleid ins Bad. Meine Mutter hat das Kleid bei ihrer Ernte getragen, das ist es, was zählt. Vielleicht habe ich noch die Chance Blue zu fragen, was es mit meinem Vater auf sich hat.
Ich muss nicht an dem Kleid zupfen, damit es passt. Es sitzt sicher und umschmeichelt meine Figur. Ich kann mir gut vorstellen, wie hübsch der lange Rock aussehen wird, wenn er im Seewind weht. Meine Haare lasse ich offen. Für ein Mädchen aus den Distrikten trage ich sie kinnlang recht kurz. Ich habe sie in ordentliche Wellen geföhnt zu mehr bin ich noch nie in der Lage gewesen. Ich schminke mich ein wenig, weil ich gehört habe, dass man auf der Kamera recht blass aussieht, traue mich aber auch nicht, viel von Blues teurer Schminke anzurühren.
Ich warte am Küchentisch auf meine Familie. Meine Gedanken sind leer und hohl. Das Gezwitscher der Vögel draußen kommt mir vor, als würde es durch Wasser dringen. Ich grüble nicht mehr drüber nach, was passieren könnte, dafür ist es sowieso zu spät.
Es läutet bereits einmal, als meine Familie die Treppe herunterkommt. Man sieht ihnen an, dass sie geweint haben. Ich strecke die Hand nach Coelin aus. „Komm, wir gehen zusammen, ja?" Ich schenke ihr ein leichtes Lächeln. „Es ist nur halb so schlimm, du wirst schon sehen. Wie jedes Jahr. Jemand wird gezogen, jemand meldet sich freiwillig und wir gehen nachhause und essen was schönes."
Coelin ergreift meine Hand. „Aber was, wenn nicht?", fragt sie mich, während wir aus dem Haus gehen.
„Das wird nicht passieren. Es wird alles gutgehen für dich", erwidere ich nur. Ihre Schwestern und Mutter folgen uns. Sie werden im Besucherbereich auf uns warten.
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Die Tribute von Panem - Eisige Wellen
Фанфик„Wagen wir es, uns auch in der Arena nahe zu sein, oder werden wir uns wieder hassen?", fragt Riven mich mit rauer, schlaftrunkerner Stimme. Es ist der Morgen vor den 72. Hungerspielen. Ich schließe die Augen und spüre die ersten Sonnenstrahlen dur...