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Nach dem Frühstück gehe ich ins Zimmer und chille am Handy. Nach etwa einer Stunde klopft es und meine Betreuerin tritt ein. Hinter ihr erkenne ich Phil, weshalb ich sofort aus dem Bett springe und zu ihm renne. „Endlich.", stöhne ich erleichtert und umarme ihn. Die Betreuerin zischt wieder ab und lässt uns alleine. Als ich mich von Phil löse, sehe ich die braunhaarige Frau von gestern. Das muss wohl diese Ärztin Paula sein. Ich mustere sie skeptisch und lasse beide dann in das Zimmer. „Also Liv, das ist Paula.", sagt Phil und zeigt auf die Frau. „Hab ich mir schon gedacht.", antworte ich knapp und drehe mich dann weg, sodass ich sie nicht angucken muss. Dieser Fakt, dass hinter mir gerade zwei Ärzte stehen, lässt mich doch etwas unruhig werden. „Wollen wir uns in den Garten setzen?", fragt Phil, nachdem er merkt, dass ich mich etwas unwohl fühle. Ich nicke und so gehen wir in den Garten des Heims. Naja Garten kann man das nicht wirklich nennen. Es ist eher eine kleine Terrasse mit etwas Grünfläche, gerade mal so groß, wie zwei Zimmer. Wir setzen uns an einen Tisch und Phil und Paula gegenüber von mir. „Gibt es was neues von Mama?", frage ich besorgt, woraufhin er den Kopf schüttelt. „Leider nicht.", sagt er betrübt. Dann herrscht etwas Ruhe.
„Wie geht's dir denn?", fragt Paula plötzlich, was mich etwas zusammenzucken lässt. „Gut, schätze ich.", antworte ich. Mir ist es immer noch ein Rätsel, warum er Paula mitgebracht hat. Er weiß ganz genau, dass wir heute kein normales Gespräch aufbauen werden.
Plötzlich merke ich, dass mein Herz wieder ungewöhnliche Geräusche macht und mir etwas unwohl wird. Das passiert häufig nachts oder wenn ich mich aufrege aber jetzt gerade kommt es plötzlich. Ich lege also unbewusst meine Hand auf meinen Brustkorb und versuche dieses ekelige Gefühl loszuwerden. „Alles gut?", fragt Phil besorgt und erhebt sich von seinem Stuhl. Ich nicke und halte immer noch mein Herz. Vorsichtig nimmt er mein Handgelenk, um wahrscheinlich meinen Puls oder so zu fühlen. „Das was du gerade hast, nennt man Herzstolpern und Herzrasen. Du musst versuchen, dich etwas zu beruhigen.", sagt er ruhig und streichelt meine Hand. Paula erhebt sich auch langsam und kommt zu mir rüber, worauf Phil sofort die Hand hebt, dass sie stehen bleiben soll. Sie nickt und bleibt stehen.
Langsam aber sicher wird mein Herzschlag ruhiger und ich kann etwas mehr entspannen. „Ganz schön oft in letzter Zeit, oder?", fragt er. Ich überlege ihn anzulügen, weil er sich sicher bei der Wahrheit Gedanken machen wird und bestimmt untersuchen will. Niemals. „Ne alles super.", antworte ich deswegen. „Lag das jetzt an mir?", fragt Paula vorsichtig. Ich sehe sie an und erkenne, dass sie sich starke Schuldgefühle macht. Um sie zu beruhigen, schüttle ich mit dem Kopf. Natürlich lag das an ihr und auch an Mama. Ich mache mir einfach zu viele Sorgen und ihr traue ich keinen Meter über den Weg. „Wollen wir noch etwas spielen? Ich habe UNO mitgebracht.", kommt von Phil. Ich und Paula nicken.
Nach etwa zwei Stunden gehen die beiden und ich bin wieder alleine. Super, was soll ich jetzt machen?

Es sind mittlerweile mehrere Tage vergangen. Phil hat mich sehr oft besucht, fast täglich. Diese Paula kam nur noch ein einziges Mal mit, da Phil bemerkt hat, dass ihre Anwesenheit mich verunsichert.
Ich sitze beim Frühstück und bereite mich mental darauf vor, heute zur Schule zu gehen. Als ich gerade mein Geschirr wegstelle, steht meine Betreuerin vor mir. Sie hat einen beunruhigenden Gesichtsausdruck, was mich in meiner Bewegung erstarren lässt. „Was ist los?", frage ich verzweifelt. „Liv, kommst du mal bitte kurz in mein Büro. Es geht um deine Mutter.", sagt sie. Bei dem Wort ‚Mutter' schaudert es mich. Ich hoffe, ihr ist nichts passiert. „Nein, was ist los? Was ist mit ihr?", frage ich nun lauter. „Es ist so...deine Mutter ist vor einer Stunde an einem Herzstillstand verstorben.", sagt sie ruhig. Nein, sie macht nur einen Scherz. Das kann nicht sein. Ich laufe mit Tränen an ihr vorbei, doch sie hält mich am Handgelenk zurück. „Was? Ich will alleine sein.", schreie ich die Betreuerin wütend an. „Kann ich irgendjemanden informieren?", fragt sie, worauf sie ein Kopfschütteln erhält. Sie nickt betrübt und lässt mich los. Ich renne ein paar Schritte und bleibe dann stehen. „Ich habe keinen mehr.", seufze ich und sprinte in mein Zimmer.
„Verdammt.", brumme ich und haue mehrmals gegen die Wand, sodass meine Fingerknöchel zu bluten beginnen. „VERDAMMT!", schreie ich und lasse mich an der wand runterrutschen. Die Tränen laufen mir wie ein Bach die Wangen runter und finden kein Ende. Erst stirbt Papa und dann Mama. Was soll ich denn jetzt machen? Dieser ganze Schmerz zerfrisst mich innerlich. Ich kann nicht mehr. Augenblicklich stehe ich auf, wische mir die Tränen von der Wange und gehe aus meinem Zimmer. Am Ende des Flures kann ich Phil erkennen, der gerade mit der Betreuerin redet. „Scheisse.", brumme ich und flüchte wieder in mein Zimmer. Ich hatte eigentlich vor, abzuhauen. Diesem Schmerz zu entfliehen, doch das wird jetzt nichts mehr. Nach einigen Sekunden klopft es und Phil kommt rein. Ich sitze vor meinem Bett auf den Boden, die Knie angewinkelt und meine Arme darauf gestützt. „Liv.", seufzt er und kniet sich zu mir. „Es tut mir so leid.", sagt er und nimmt mich vorsichtig in den Arm. Ich erwidere es, trotzdem fühle ich nichts als leere. Ich kann in seiner Stimme dieselbe Trauer hören, die ich fühle. Wir verharren einige Zeit in der Umarmung, bis er sich neben mich setzt und ebenfalls die Knie anzieht. „Was ist da an deiner Hand?", fragt er und nimmt meine rechte Hand in seine. Die, wo die Knöchel bluten und schmerzt. „Nichts.", antworte ich knapp und starre an die kahle Wand. Er nimmt es erstmal so hin und streichelt meine Hand mit seinem Daumen. „Du bist nicht alleine Liv.", sagt er mehrere Male, doch ich lasse dies unbeantwortet. Dann klopft es plötzlich und Betreuerin Anna und die Frau Krüger vom Jugendamt stehen im Zimmer. „Herr Funke. Würde es ihnen etwas ausmachen mich kurz mit Olivia alleine zu lassen?", fragt Frau Krüger. Er schaut mich an und ich nicke, als Bestätigung, dass er gehen kann. Dann geht er mit Anna raus.
„Also Olivia. Erstmal mein herzlichstes Beileid. Es gibt einige Dinge, die wir besprechen müssen.", fängt sie an. Wow, ich habe gerade meine Mutter verloren, somit alles was ich hatte und sie will jetzt direkt irgendeinen Scheiss Besprechen.
Ich bleibe stumm. „Zuallerallererst muss ich dir mitteilen, dass du vorerst hier im Heim bleibst, bis sich eine Pflegefamilie gefunden hat.", erklärt sie und setzt schon zum nächsten an, doch ich unterbreche sie. „Sehr schön. Mal sehen wie lange."
Sie schaut mich verwirrt an, doch erwidert darauf nichts. „Der nächste Punkt ist deine Mutter. Also Mutter trifft es nicht ganz. Sie war nie deine Mutter. Dein Vater, der damals gestorben ist, war dein echter Vater aber deine Mutter ist nie deine Mutter gewesen. Zurzeit ist deine leibliche Mutter unauffindbar. Es tut mir alles sehr leid.", sagt sie und steht auf. „Alles gute weiterhin.", fügt sie noch hinzu und verlässt dann den Raum. Wie bitte was? Ich dachte es könnte nicht schlimmer kommen, doch es kommt schlimmer. Mama war nie meine Mutter? Was soll der Mist denn jetzt und wer Bitteschön ist dann meine Mutter? Mit zitternden Beinen erhebe ich mich und verlasse mein Zimmer. Vor der Tür stehen noch Phil und Anna, die anscheinend gerade wieder in mein Zimmer kommen wollten. „Alles in Ordnung? Du bist so blass.", stellt Phil fest und greift reflexartig unter meine Arme, als ich umkippe. „Liv, bleib bei mir.", sagt er die ganze Zeit, weil ich immer wieder die Augen schließe. „Was hat sie denn?", fragt Anna panisch. „Mir ist schlecht und schwindelig.", antworte ich und halte mir die Hand vor den Mund. Phil versteht schnell und hebt mich zu einem Mülleimer, der ganz in der Nähe ist. Dort hält er mich fest und meine Haare zurück, während ich mich übergebe. „Shhhh. Ganz ruhig.", spricht Phil beruhigend mit mir und streicht mir sanft über den Rücken.
Irgendwann lässt es nach und ich lasse mich mit dem Rücken an die Wand fallen. „Geht's wieder oder sollen wir in die Klinik?", fragt er besorgt. „Nein, es ist wieder alles gut. Mir kam nur das Frühstück hoch.", antworte ich und atme ein paar mal tief durch. Er nickt und nimmt meine Hand fest in seine. „Soll ich einen Krankenwagen holen?", fragt Anna total überfordert. „Nein. Das war nur eine Schockreaktion. Am besten legt sie sich etwas schlafen und verarbeitet das Ganze erstmal.", antwortet Phil und stützt mich hoch. Zusammen laufen wir ins Zimmer, wo ich mich auf mein Bett setze. „Haben sie Verbandszeug?", fragt Phil, woraufhin die Betreuerin nickt und ihn den erste Hilfe Kasten gibt. „Liv ich würde gerne deine Hand versorgen. Ist das in Ordnung für dich?", fragt er sanft. Ich nicke und überreiche ihm meine Hand, die er desinfiziert und verbindet.

Bis zum Mittag bleibt Phil bei mir und versucht mich zum schlafen zu bringen, bis ich sage, dass er gehen kann.
Mein Kopf will das ganze immer noch nicht wahrhaben.

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Da so lange nichts kam, hier ein längeres Kapitel. Hoffe es geht euch gut.

Man liest sich im nächsten Teil:)

Der Grund zum kämpfen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt