Kapitel 39 - Viktoria

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Ich zittere am ganzen Körper, als ich die Nachricht von Jake im Taxi lese:

Natürlich komme ich, ich mache mich gleich auf den Weg. Aber ich dachte, wir hätten keine Geheimnisse mehr voreinander...

Jake

Die Worte lösen gleichzeitig Erleichterung und Angst in mir aus. Sie scheinen mich regelrecht zu erdrücken. Eine leise Stimme in mir sagt, dass ich es nicht anders verdient habe. Immerhin habe ich ihn angelogen. So wie jeden in meiner Familie. Eine dunkle Wolke umhüllt mich wie gestern und lässt mich vor Angst und Ungewissheit erstarren. Gestern war ich nicht in der Lage zu irgendeinem Kontakt aufzunehmen geschweige denn die Daten wiederherzustellen und somit Konrad zu helfen. Es ist eine eklige Angst, die mich von innen heraus aufzufressen droht.

Ich traue Elias mittlerweile alles zu. Ich kann es immer noch nicht glauben, wie er ausgerastet ist, wie er die Kontrolle über sich und seine Umgebung verloren hat. Nur mit Mühe unterdrücke ich ein Schluchzen. Elias könnte mein Leben ruinieren. Und der Satz, es ist nur ein Skandal, wenn man einen daraus macht, ist in diesem Falle nicht anwendbar. Das Foto würde mich in den Abgrund reißen und meine Familie mit. Weil ich dumm war und nicht einen Augenblick nachgedacht habe. Und deshalb habe ich heute Vormittag herumüberlegt. Franzi ist zig Kilometer entfernt und kann so nicht viel ausrichten und Elias ist wie eine tickende Zeitbombe. Mir bleibt nichts anderes übrig, als vor meinem Vater zu Kreuze zu kriechen und ihn um Hilfe zu bitten. Ich werde allein mit der Sache nicht klarkommen, aber Papa kann es. Er hat die nötigen Verbindungen, um den Skandal erst gar nicht aufkommen zu lassen. Ich schüttle über mich selbst den Kopf. Wie konnte ich auch nur für einen Moment glauben, dass Elias es auf sich beruhen lassen würde? Er hat mir klar und deutlich gesagt, wie ernst er es meint.

Eine neue Welle der Übelkeit bricht über mich herein und ich versuche still zu bleiben, damit ich die Aufmerksamkeit des Fahrers nicht auf mich lenke. Ich muss kein Medizinstudium absolviert haben, um zu wissen, dass ich eine Gehirnerschütterung habe. Die Übelkeit gestern und heute Nacht sprechen dafür. Ich rücke meine Sonnenbrille auf meiner Nase zurecht. Mein Auge ist leicht geschwollen, aber imposanter ist das lila-blaue Veilchen, das mir Elias beschert hat.

Meine Gedanken kreisen um Elias, um meine Eltern, um Jake. Wieder unterdrücke ich ein Schluchzen. Ich hätte ehrlich sein sollen. Und jetzt habe ich es vermutlich versaut, denn wie oft will er mir meine Fehler noch verzeihen? Wäre ich an seiner Stelle...ich würde mich benutzt und verraten vorkommen. Aber wenn ich meinen Stolz schon beiseiteschieben muss, dann will ich es nur einmal tun und deswegen habe ich Jake gebeten, zu meinen Eltern zu kommen. Ob das alles eine gute Idee ist, wird sich zeigen. Aber ich sehe keinen anderen Ausweg mehr.

Der Anblick meines alten Zuhauses, als das Taxi davorhält, löst in mir ein altbekanntes Gefühl der Sicherheit aus. Auch wenn meine Eltern so sind, wie sie sind, in der Familie habe ich mich immer geborgen und sicher gefühlt.

Der Taxi-Fahrer räuspert sich geräuschvoll und lässt mich wieder ins Hier und Jetzt zurückkommen. Ich bin kurz davor dem Fahrer zu sagen, er solle wieder umdrehen. Aber jetzt bin ich nun mal hier. Ich straffe meinen Rücken und gebe mir innerlich einen Schubs. Es geht nicht anders. Nach dem Bezahlen steige ich aus und befehle meinen Beinen, ein Schritt nach dem anderen zu tun. Im Geiste gehe ich ein paar zurechtgelegte Worte durch. Ich atme noch einmal tief durch. Francis wird mir die Tür öffnen, ich werde nach Papa fragen und dann werden wir vermutlich in die Bibliothek gehen. Der Rest der Familie muss gar nichts davon mitbekommen. Das werde ich doch wohl hinkriegen.

Mein Puls erhöht sich, obwohl noch rein gar nichts passiert ist, als ich klingle. Als ich Schritte höre mache ich mich bereit – und dann läuft alles so, wie ich es nicht geplant habe.

Winternacht - Zurrenberg RomanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt