Diebe und Mörder I

68 13 108
                                    

Gemächlich spazierten V und Dasan auf einem schmalen Trampelpfad zu der Gabelung zurück, an der sich Ejahl in der Nacht von ihr verabschiedet hatte. Diesmal ging sie auf den anderen Weg, der sie am Waldrand entlang und sicher in ein kleines Dörfchen führte. So klein, dass keine Mauer es umschloss und keine Wachen auf der Straße aus Schlamm patrouillierten.

Es bestand aus genau fünf Häusern. Ein Gasthaus für Reisende, die den Abstand bis zur nächsten Stadt unterschätzt hatten. Eine Schmiede, von der V noch nie verstanden hatte, wie sich die dort arbeitenden Menschen über Wasser hielten. Denn wer von den wenigen Bewohnern konnte die Dienste so in Anspruch nehmen, dass es sich lohnen würde? Sie vermutete, dass irgendetwas Gesetzeswidriges in dem Keller vor sich ging, dem sie nicht näher auf die Spur kommen wollte.

An zwei gewöhnliche Wohnhäuser grenzten Stallungen und Felder. Dort lebten vermutlich die einzigen normalen Leute der Siedlung.

Und das letzte Haus des Dorfes steuerte V nun an. Gebaut war es aus dunklem Holz. Hohe Fenster, die beinahe die gesamte Vorderseite einnahmen, gewährten den Blick auf das Innere.

In den Regalen hinter dem Glas häufte sich allerhand Krimskrams. Schmuckstücke wie Ringe und Ketten, daneben verstaubte Bücher, Kuscheltiere und Puppen, denen teilweise Augen, teilweise Gliedmaßen fehlten. Uhren, die allesamt verschiedene Zeiten anzeigten, und Blumen, die langsam und qualvoll verdurstet waren, weil sich der Besitzer dieses ›Ladens‹ – wenn man es als solchen bezeichnen wollte – sich nicht um sie gekümmert hatte.

Wenn V das nächste Mal hierher kam, sollte sie vielleicht ihre Blume mitnehmen. Hier hätte sie Artgenossen und ... Sie vertrieb den Gedanken schnell aus ihrem Kopf. Dann würde Ejahls Haus noch zu einem Pflanzenfriedhof werden.

V sagte zu Dasan: »Du bleibst hier.« Der Wolf legte den Kopf schief und sie verengte die Augen. Heute würde wohl einer dieser Tage werden.

»Bleib hier«, wiederholte sie. »Und wehe, du bist nicht mehr hier, wenn ich zurückkomme.« Der Wolf brummte nur leise, ehe er sich vor dem Schaufenster niederlegte.

V schüttelte nur den Kopf. Sie drückte die Klinke hinunter und ging hinein.

Ein Glöckchen erklang über der Tür und kündigte sie an. Regale – gefüllt mit Büchern, Schmuck und seltsamen Gebilden in Gläsern, auf die V keinen genaueren Blick werfen wollte – bildeten einen Flur, der von der Eingangstür zu einem Tresen führte.

Dort saß Ejahl. Die Füße hatte er auf die Oberfläche gelegt und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, um bequem den Brief in seinen Händen zu lesen.

Er sah auf, als er das Glöckchen hörte und nahm die Füße vom Tresen. »V, welch eine Freude, dass du doch auf meine Einladung eingegangen bist.« Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, das seine gelblich angelaufenen Zähne zeigte. V wusste mittlerweile, dass es freundlich sein sollte, aber es erinnerte sie stets an ein Wiesel.

Er legte den Brief mit der beschriebenen Seite nach unten auf den Tresen und erhob sich. Die Stuhlbeine schleiften über den Boden, die Dielen knarzten, als er sein Gewicht auf seine Füße verlagerte. Seine Bewegungen waren gezwungen laut, als würde er verheimlichen wollen, dass er leichtfüßig und leise wie eine Katze sein konnte.

»Ich bin nicht deswegen hier«, sagte V und legte den Ring auf die Holzplatte. »Sal schickt mich. Könnt Ihr mir sagen, wie viel der hier wert ist?«

Ejahl runzelte die Stirn. »Gleich zur Sache, ich sehe schon.« Er nahm den Ring zwischen Daumen und Zeigefinger und betrachtete ihn.

»Willst du dich vielleicht setzen?«, fragte er. »Ich habe irgendwo auch noch Kekse. Und Ava wird sich freuen, dass du mal wieder hier bist. Ich kann ihr gern Bescheid geben.«

The Tale of Greed and VirtueWo Geschichten leben. Entdecke jetzt