Aufregung, Angst und eine seltsame Begegnung

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Heute ist ein großer Tag für mich, denn endlich lerne ich meine neue Familie kennen und ziehe in mein neues Zuhause. Aufgeregt laufe ich im Zimmer umher. In den fünf Jahren die ich schon hier bin, sind immer wieder Familien vorbeigekommen um mich anzuschauen, haben sich aber letztendlich doch immer für einen meiner Freunde entschieden. Vielleicht bin ich einfach nicht hübsch genug. Naja, ist ja auch egal. Als ich höre, wie die große Tür sich öffnet, drehe ich eine letzte Runde um mich von meinen Freunden zu verabschieden und setze mich dann erwartungsvoll vor die Tür zu unserem Raum. Als diese sich endlich öffnet, werde ich fast erschlagen. Wäre ich nicht zur Seite gehüpft, wäre ich jetzt ein hübscher Teppich. „Awwww, ist der nieeedlich!“ Ey, ich bin nicht niedlich! Ich bin vielleicht majestätisch und wunderschön, aber niedlich? Das fängt ja schon super an. Aber vielleicht bessern sie sich ja noch. Nach und nach schieben sie sich durch die Tür und schauen mich erwartungsvoll an. Und jetzt? Da geht einer von den vieren endlich in die Knie und streckt mir eine Hand hin. Vorsicht gehe ich auf das ungefähr siebenjährige Mädchen zu. Vielleicht ist sie auch älter, ich komm bei Menschen immer mit den Jahren durcheinander, aber das ist jetzt sowieso unwichtig. Schnell stupse ich mit meiner Nase gegen die Hand des Mädchens, was sie zum Kichern bringt. Scheinbar durch das Verhalten des Mädchens beruhigt, kommt jetzt auch der Junge näher und beginnt mich zu streicheln.

Normalerweise würde ich mich jetzt wehren, oder mindestens weggehen, da ich die strikte Regel habe, dass Menschen mich erst anfassen dürfen, nachdem sie mir die Hand hingehalten haben, ich bin immerhin eine Katze, aber ich will mal nicht so sein. Also beginne ich brav zu schnurren und lege mich auf den Boden. Nach einer gefühlten Ewigkeit kommt endlich meine Lieblingspflegerin und stellt meine Transportbox neben mir ab. Ich habe eigentlich nur schlechte Erinnerungen an diese Box, aber diesmal weiß ich ja, dass es nicht zum Tierarzt oder ähnlichem geht, also spaziere ich gemütlich ins Innere und kugel mich zusammen. Kaum liege ich, wird die Box geschlossen und ich werde hochgehoben. Schaukelnd trägt mich das Mädchen den Weg bis zum Auto der Familie und stellt mich zwischen ihren Bruder und sie. Sobald sich das Auto in Bewegung setzt, spüre ich eine ungeheure Müdigkeit. Autofahren macht mich immer schläfrig und es ist auch nicht gerade hilfreich, dass ich die letzten Nächte vor Aufregung kaum geschlafen habe. Ich kämpfe gegen den Schlaf an, verliere diesen Kampf aber letztendlich.

Als ich wieder aufwache, brauche ich erstmal ein paar Sekunden, um mich zu orientieren. Ich bin in meiner Transportbox und die Tür ist offen. Allerdings riecht alles ganz fremd... Ach ja, ich bin ja jetzt bei meiner neuen Familie. Vorsicht rappele ich mich auf und strecke neugierig meine Nase aus der Öffnung. Dann lasse ich meinen Kopf und meinen Körper folgen. Unter meinen Pfoten spüre ich weichen Teppichboden und das Zimmer um mich herum ist das reinste Paradies. Überall stehen Kratzbäume unterschiedlichster Art, es gibt Spielzeug und sogar mehrere Schlafmöglichkeiten. Freudig schnurrend erkunde ich den Raum, suche mir eine von den Schlafmöglichkeiten aus und setze mein Nickerchen von vorhin fort. Das nächste Mal wache ich auf, weil mein Magen wie verrückt knurrt. Wann habe ich das letzte Mal etwas gegessen? Suchend lasse ich meinen Blick durchs Zimmer schweifen und finde auch sofort, wonach ich gesucht habe: einen randvollen Napf. Schnell durchquere ich den Raum und verwandele ihn in einen leeren Napf. Den Rest des Tages verbringe ich damit, mit den Familienmitgliedern zu spielen, die mich in regelmäßigen Abständen besuchen kommen, zu schlafen und durch mein neues Revier zu toben.

Nach einem sehr erholsamen Schlaf stelle ich fest, dass die Zimmertür einen Spalt breit offen steht. Soll ich...? Ich mein, warum nicht? Sie hätten die Tür ja zumachen können. Voller Selbstbewusstsein gehe ich durch die Tüe und schaue mich um. Irgendwie ist alles riesengroß. Völlig orientierungslos und langsam etwas verunsichert tapse ich die Treppe runter und lande augenscheinlich im Wohnzimmer meiner Familie. Neben einem überdimensionierten Ledersofa und einem Tisch befinden sich hier noch ein Aquarium und ein Flachbildschirm, der fast eine gesamte Wand einnimmt. Und eine Schiebetür. Ich war bisher nur zweimal in meinem Leben draußen und beide Male war ich angeleint. Aber was soll schon schiefgehen? Zu meinem Glück ist die Schiebetür einen Spalt breit offen, sodass ich sie nur mit der Pfote ein bisschen weiter aufschieben muss. Ganz vorsichtig setze ich eine weiße Pfote vor die andere.

Doch plötzlich schießt ein Eichhörnchen aus einem Busch hervor und mein Jagdinstinkt setzt ein, also jage ich das pelzige Wesen durch mehrere Gebüsche und quer durch viele Gärten. Schließlich verschwindet es auf einen Baum. Frustriert lasse ich mich auf den Bauch fallen. So hatte ich mir das irgendwie nicht vorgestellt. Wo bin ich überhaupt? Ein Blick um mich herum gibt mir leider keinerlei Auskunft. Als ich realisiere, dass ich mich hoffnungslos verlaufen habe, fange ich an, herzzereißend an zu miauen. Das ist zwar normalerweise nicht meine Art, aber vielleicht hilft es ja.

Und tatsächlich höre ich schon bald Stimmen, die auf ich mich zukommen. Allerdings keine menschlichen und sie klingen nicht sonderlich freundlich. Bevor ich mich entscheiden kann, ob ich bleiben oder weglaufen soll, steht mir ein pechschwarzer Kater mit einer weißen Schwanzspitze gegenüber. Für eine gefühlte Ewigkeit starren wir uns in die Augen, bevor er die Stille bricht. “Was ist denn mit dir los? Und wer bist du überhaupt?“ „Ich bin Lone, wohne erst seit kurzem hier und habe mich bei der Jagd nach einem Eichhörnchen verirrt“ beschämt senke ich den Kopf. „Du bist eine Hauskatze?!“ Man kann die Abscheu in seiner Stimme quasi spüren. Als ich dies bejahe, schaut er mich nur enttäuscht an, also nehme ich all meinen Mut zusammen. “Und wer bist du?“ Die Antwort der größeren Katze kommt sofort. “Ich bin King Lou und der Anführer des Zusammenschlusses von Katzen, die die Weltherrschaft übernehmen wollen. Du solltest dich uns anschließen. Wir haben gelernt, unabhängig von diesen unintelligenten Personen zu sein. Wenn du dich näher mit ihnen beschäftigst, wirst du feststellen, dass sie mit Nichten eine der am weitesten entwickelten Lebensformen sind. Ein Beispiel dafür ist, dass sie Fleisch und Fisch vor dem Essen 'kochen', es also quasi zerstören“ Das klingt tatsächlich sehr fragwürdig und da ich eh gerade keine andere Chance habe, nicke ich und folge King Lou, als dieser sich umdreht und unter einem nahegelegenen Stein verschwindet.

Zu meiner Überraschung befindet sich hinter dem Stein ein Eingang zu einem komplexen, unterirdischen Gänge- und Räumesystem. Nach sehr vielen langen, engen Gängen landen wir schließlich in etwas, dass wie ein Besprechungsraum, oder  eine Zentrale aussieht. Überall an der Wand sind Krallenzeichnungen und auf dem Boden liegt ein Stück Teppich, auf welchem ungefähr fünfzehn Katzen in einem Kreis liegen. King Lou legt sich zu ihnen und wird respektvoll begrüßt, bevor er mich vorstellt und auch direkt damit beginnt, das Ganze zu erklären.

Laut ihm wurden Katzen früher angebetet, die Menschen hätten aber irgendwann damit aufgehört und beschlossen, Katzen beherrschen zu können. King Lous Zusammenschluss will genau diesen Zustand wieder ändern und ganz nebenbei am besten die gesamte Welt beherrschen. Skeptisch blicke ich ihn an, doch er lacht nur und zeigt mir die Pläne. Ich gebe mir Mühe, nicht zu lachen. Ein Großteil des Plans besteht daraus, sich hier unten versteckt zu halten und weiter am Plan zu arbeiten. Allerdings entdecke ich plötzlich eine Karte zwischen den ganzen 'Dokumenten', in die sämtliche Menschen der Nachbarschaft und das Hauptquartier eingezeichnet sind. Zum Glück habe ich den Nachnamen meiner Familie mitbekommen und im Kopf behalten. Schnell präge ich mir den Weg zu ihrem Haus ein, springe auf, miaue eine Entscheidung und sprinte los.

Draußen angekommen brauche ich einen Moment um mich an die Helligkeit zu gewöhnen und mich zu orientieren, aber dann renne ich weiter, bis ich etwas außer Atem vor der Terrassentür ankomme, wo ich mit Entsetzen feststellen muss, dass diese inzwischen geschlossen wurde. Vorsichtig klopfe ich mit meiner Pfote gegen das Glas und endlich bewegt sich drinnen etwas. Ein Jubelschrei ertönt und der Junge macht die Schiebetür so schwungvoll auf, dass beinahe das Glas kaputtgegangen wäre. Dann reißt er mich mehr oder weniger vom Boden hoch und schlingt seine kurzen Arme um mich. “ER IST WIEDER DA“ brüllt er durchs Haus, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder mir widmet und immer wieder wiederholt, wie viele Sorgen sich alle gemacht hätten als ich plötzlich weg war, ohne das irgendwer wusste wo ich war und wie erleichtert er sei, dass mir nichts passiert sei. Des weiteren sagt er, ich dürfe in nächster Zeit nicht mehr raus und um ganz ehrlich zu sein, habe ich nicht allzuviel dagegen. Mit dem Gedanken, dass Menschen eigentlich schon toll sind, rolle ich mich zusammen und schlafe ein.


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⏰ Letzte Aktualisierung: Jun 04, 2023 ⏰

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