Eintrag 1

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Ich sitze am Schreibtisch, in der Hand halte ich meinen Tee und schaue dieses Ding an. Ich habe schon jetzt keine Lust auf diese Aktion. Dreißig Tage lang soll ich meine Gedanken in diesem Buch aufschreiben! Und für was? Um mein inneres Gleichgewicht wieder zu finden, sagt meine Freundin. Anscheinend bin ich „unentspannt" und denke „zu viel" nach. Was für ein Schwachsinn! Ich kenne das Wort nicht! „Unentspannt", was soll das sein? Ich vertrete meine Meinung, das ist alles. Und wenn ich dabei etwas lauter werde, versuche ich nicht meine Mitmenschen zu untermauern, sondern lenke ihre Aufmerksamkeit auf mich und das Thema. Und überhaupt - was heißt „zu viel denken"? Seit wann kann man zu viel denken? Es gibt nur die Menschen, die zu wenig Denken, oder oftmals gar nicht denken. Eigentlich sollte ich das Wort „sinnieren" nutzen. Es klingt bedeutender, wortgewandter. So wie ich halt bin. Ich deute gerne und bin beim Reden unschlagbar.
Egal! Einen Tagebucheintrag zu schreiben, kann nun wirklich nicht so schwer sein. Denke ich zumindest. Man merke, ich denke! Aber eben nicht zu viel, wie meine Freundin in den Raum stellt. Ein Tagebuch haben so viele Menschen. Oder doch weniger, als ich denke, weil ja ein Teil nicht denkt und der andere Teil, der denkt, vielleicht gar nicht schreibt? Was ist eigentlich mit denen, die des Schreibens gar nicht mächtig sind? Sind das dann nur Denker, Sinnierer? Puh, schweres Thema. Lassen wir das, sonst werde ich mit dem Eintrag ja nie fertig.
Apropos- welchen Buchtitel soll ich nehmen? Ich kann schlecht drauf los schreiben, wenn das Ding nicht mal ein Titel hat. „Tagebuch" geht gar nicht. Was ist, wenn meine Freunde das Buch entdecken würden? Die Nasen wären innerhalb einer Sekunde im Buch verschwunden. Darauf verwette ich meine allerliebsten Kaffeetassen.
Ich könnte meinen Namen verwenden. Harriet. Ach ne, lieber nicht. Das ist zu offensichtlich. Ich könnte Rosalinda nehmen. „Rosalinda, Rosalinda, Rosalinda.", lasse ich mir den Namen auf der Zunge zergehen. Ich nicke - ja, das passt. Rosa für den Einband und Linda... einfach so. Ich kritzle mein „Rosalinda" aufs Cover und blättere um.
Oh man! Es ist ja alles Blanko! Keine Kästchen, keine Linien. Hätte nicht wenigstens ein Bild oder ein Muster die Seite verzieren können? Mist! Warum habe ich mir das Buch nicht vorher genauer angesehen? Oder wenigstens die Seiten durchgeblättert.
Ich schaue zu meiner halbvollen Tasse Tee. Soll ich ein Teeklecks auf die Seite tun, nur um ein Muster oder eine Welle ins Papier zu bringen? Es besitzt dann sicherlich mehr Charme als zu diesem Augenblick. It's Tea-Time!
„Reiß dich zusammen, es ist nur eine Seite!" Stimmt. Nur eine Seite. Los geht es! Der Kugelschreiber ist zwischen meinen Fingern, die Miene sitzt auf dem Blatt.
Wie gestaltet sich überhaupt so ein Eintrag? Muss ich ein Datum eintragen? Und wenn ja, wo steht dieses? Links oben? Große oder Kleine Zahlen? Schreibe ich meine Stadt dazu? Oder wird es auf der rechten Seite geschrieben - wie bei einem Brief? Meine Güte! Die Möglichkeit, das Datum am Ende der Seite zu platzieren gibt es auch noch. Gehört meine Unterschrift dazu? Für den Fall, dass eine Identifizierung von Nöten ist, weil man den Einträgen nicht glauben schenken kann? Oder gehört da auf jede Seite eine Paraphe? Für die Nicht-Denker: das ist mein Namenskürzel!
Seufzend lasse ich das Datum erstmal weg. Am Ende werde ich schon wisse, wo es hingehört. Wenn ich es nicht vergesse. Ich schreibe auf einen Spickzettel das heutige Datum, damit ich nächste Woche weiß, dass ich heute begonnen habe. Dazu sollte ich aber tatsächlich mal beginnen!
Hat meine Freundin doch recht? Denke ich zu viel? Bekomme ich eine Denkerstirn? Ich bin gerade sehr genervt von mir! Wieso? Naja: Hat ein Tagebuch einen Aufbau, wie bei einem Aufsatz? Muss ich Pro- und Contra Argumente bringen, um zu einem Schluss zu kommen, der einleuchtend klingt? „Konzentriere dich!"
Also: Beginnen wir doch wenigsten mit den typischen Phrasen. „Sehr geehrte/r"... - ich stocke. Doch lieber „Liebe/r" ... - oder soll ich „Hallo" schreiben? „Tag" ist auch eine Option. Scheiße... das ist ja wie ein Hexenwerk. Wenn ich „Tag" schreibe, würde das bedeuten, dass ich dem Ding etwas sagen will. Heißt das auch, dass ich mich mit dem Buch unterhalte? Es wäre nur ein einseitiger Monolog, aber trotzdem. Was würde mir das Buch antworten? „Halt die Klappe und schreib endlich!"
Meine Freundin hat recht, ich denke zu viel. Der reinste Wahnsinn.
Ich setze erneut den Kugelschreiber an und beginne:

26.05.2023 (vielleicht richtig)
(vielleicht klüger) 26.05.2023

Tag 1. Abends.. 22:59 Uhr
Rosalinda!

Morgen wird es besser. Versprochen!
(weil ich nicht weiß, wann, und ob, und wie man sich verabschiedet...)

Mit freundlichen Grüßen
Mit besten Wünschen
Viele Grüße
Gruß
Tschüss
Bye
Harriert Stroeber ( auch noch eine Möglichkeit 26.05.023)


rosa RosalindaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt