Alltag

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"Das ist von dem Herr da hinten". Obwohl ich dem Barkeeper schon gefühlte hundert Mal gesagt habe, dass er keine Spendierungen mehr für mich annehmen soll, stellt er einen hellorangenen Drink mit einem pinken Schirmchen vor mich auf den Tresen, genau neben den anderen für mich vorher bestellen Drinks. Ich schnaube nur ziemlich genervt und schaue wieder auf mein Handy. Die Menschen hier sind einfach so dumm. Haben keinen Job und kein Geld. Geschweige denn eine Familie. Nein, sie wohnen bei ihrer Mutter und genießen ein Leben ohne Verantwortung. Außerdem denken sie, sie kommen hier an, suchen sich das erstbeste Mädchen aus, spendieren ihr irgendein alkoholisches Billiggetränk und dann geht's ab zu ihnen nach Hause? Pah! Nicht mit mir. Ich bin mehr als diese verlorenen Seelen die sich in zu enge und zu kurze Kleider quetschen, sich ihr Gesicht mit Schminke vollkleistern, die Haare mit Haarspray verkleben und dann hier aufkreuzen, nur um sich unbeholfen und schlaksig zu der viel zu lauten Musik zu bewegen und sich zu betrinken, bis sie schließlich wieder nach hause torkeln. Nein. Ich bin etwas besonderes. Etwas einzigartiges. Ich schiebe den Drink mit einem höhnischen Lächeln weg von mir, während mein Handy piepst. Es ist eine Nachricht von Andrey. Hey, steht drin, Wo bist du? Ich antworte ihm noch nicht, da ich bemerkt habe, dass der "Herr von da hinten" auf mich zugekommen ist. Auch das noch. Ich blicke hoch, setze meine übliche arrogante Miene auf und will gerade fragen was das mit dem lächerlichen Ananasgesüff soll, als ich ihn sehe. Ich meine, ihn richtig sehe. Er sah gut aus, wirklich, nur war es etwas anderes, was mir auffiel. Er war irgendwie anders als die anderen Männer, die sich hier herum treiben. Er war, ich weiß nicht, gepflegter. Er trug sein schwarzes Haar perfekt geschnitten und hatte einen perfekten drei-Tage-Bart. Und da sah ich auch noch seine Kleidung und ich war einfach nur sprachlos. An der Hand mit der er sein Weinglas hielt, trug er eine fette goldene Uhr. Und er trug dazu einen dunkelblauen Anzug. Einen verdammt schönen italienischen maßgeschneiderten Anzug. Und das in einer Bar! Er war bestimmt reich. Wohlhabend. Er kam gerade bestimmt von der Arbeit. Er hatte etwas zu bieten. Scheiße, er konnte mir helfen. Erst jetzt sah ich ihm in die Augen und bemerkte, dass er grinste und seine Grübchen damit zum Vorschein brach. "Hallo meine Schöne. Schmeckt dir dein Drink?", fragte er mit einer rauen und tiefen Stimme, die mir eine Gänsehaut bereitete. Ohne den Blick abzuwenden griff ich nach meinem Glas. "Prost.", rief ich mit einem zuckersüßen Lächeln und hob mein Glas. "Prost.", erwiderte er und nickte sein Glas in meine Richtung. Ich nahm einen Schluck von dem viel zu süßen Getränk und wusste, dass dies eine verdammt lange Nacht werden würde.

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