„Hallo liebster Oberprojektleiter! Ich habe demütigst alle Aufgaben erfüllt, die Du mir aufgetragen hast! Sollen wir noch mal drüber sprechen?"
Freudestrahlend sehe ich Dich an. Es ist mein letzter Arbeitstag vor dem lang ersehnten Weihnachtsurlaub, und es ist mir tatsächlich noch gelungen, alle Deine Punkte abzuarbeiten. Du grinst, wendest Dich ab, und läufst an mir vorbei zum Fenster. Schließlich stützt Du Dich am Sims ab, wendest Dich mir zu, und ich kann erkennen, wie sich ein schmales Lächeln auf Deinem Gesicht ausbreitet. Ich weiß, dass Du mehr als dankbar bist, dass ich Dir meine Unterstützung in diesem Projekt angeboten habe. Und ich weiß auch, wie unglaublich unsicher und beinahe schüchtern Du Dich in mein Büro gestohlen hast, und ohne mich anzusehen gefragt hast, ob Du vielleicht auf dieses Angebot zurückkommen kannst. Das fand ich tatsächlich ziemlich süß. Nun, mittlerweile kenne ich meine Stärken und Schwächen ganz gut, und ich dachte mir schon, dass Du in diesem komplexen Projekt bestimmt ein wenig Unterstützung, auch auf menschlicher Ebene, gut gebrauchen kannst. Mit so etwas kenne ich mich schließlich bestens aus. Auch ich war über die seelisch-moralische, wie auch inhaltliche Unterstützung meines ehemaligen Lieblingskollegen mehr als dankbar. Und immerhin hast Du mir bei unserem ersten Aufeinandertreffen an meinem Probearbeitstag schon ziemlich gut gefallen. Aber ich schweife ab.
Du stützt Dich am Fenster ab und musterst mich beinahe amüsiert.
„Demütigst ist jetzt nicht unbedingt das Adjektiv, das ich benutzt hätte, um Dich zu beschreiben!", entgegnest Du kopfschüttelnd und lachst leise.
Ich hebe nur die Brauen und erwidere Deinen Augenkontakt. Für einen Moment sehen wir uns an. Schließlich muss ich grinsen.
„Weißt Du", setze ich an, „ Mein frühere Lieblingskollege hat sich immer daran erfreut, dass ich ja die Oberprojektleiterin bin, und dass er mir nur zuarbeitet. Damals habe ich das nie so ganz verstanden." Verschmitzt grinse ich Dich an. „Aber jetzt, jetzt ist mir der Charme des Teilprojektleiter-Daseins erst vollumfänglich bewusst! Und ich liebe es! Ich verstehe jetzt, warum ihm das so viel Spaß gemach hat. Teilprojektleiter sein ist etwas Wunderbares!"
Du schüttelst nur kaum merklich den Kopf. Vielleicht bist Du es nicht gewohnt, dass man Dich derart ehrlich und direkt konfrontiert. Ich persönlich denke aber, dass Dir meine lockere, vorlaute Art durchaus gefällt. Auch wenn Du nicht immer weißt, was Du darauf entgegnen sollst. Aber ich habe Dir gezeigt, dass ich auch ernst sein kann. Du hast schnell kapiert, dass ich ziemlich gut darin bin, Texte zu formulieren. Emails, Protokolle, Notizen. Und ich finde es äußerst korrekt von Dir, dass Du Dich nicht nur jedes Mal dafür bedankst, sondern dass Du auch fragst, bevor Du meine Texte weiter verwendest. Auch wenn ich Dir mein Einverständnis gegeben habe. Du möchtest Dich nicht mit fremden Federn schmücken, hast Du gesagt. Und diese Bescheidenheit imponiert mir sehr. Das zeigt mir, dass Du mich als Kollegin und Projektleiterin respektierst, und führt sogar dazu, dass ich Dich ausgesprochen gerne unterstütze.
Weißt Du, dass ich anfangs dachte, dass Du mich nicht leiden kannst? Ich kann nur mutmaßen, aber die Art und Weise, wie unser Geschäftsführer mich damals angepriesen hat – ich hätte mich vermutlich selbst nicht leiden können an Deiner Stelle. Da kommt so eine dahergelaufene, junge Tussi und meint, sie hat die Weisheit mit Löffeln gefressen. Dabei habe ich selbst das ja niemals von mir behauptet. Aber ich denke, dass ich Dir und euch generell diese Bedenken hoffentlich recht rasch nehmen konnte. Ich bin auch nur ein Mensch, und spreche offen darüber, was ich kann, und was nicht. Und bin mir vor allem nicht zu schade, auch noch einmal nachzufragen.
Wie dem auch sei. Du bist mir also schon bei unserer ersten Begegnung ins Auge gestochen. Ich frage mich zwar, warum es immer die ach so schlanken Männer sind, die mir besonders gut gefallen, aber einen Grund wird es schon geben. Ich glaube, es ist Dein Ausdruck, Deine Wangenknochen. Dein ganzes Gesicht. Selbst Deine schmalen Lippen tun dem keinen Abbruch. Und ich glaube, dass das eben der Fluch eines schönen, markanten Gesichts ist, dass dieses Gesicht eben nur so gut aussehen kann, solange die dazugehörige Person auch bewusst oder unbewusst auf ihre Linie achtet. Soll heißen, der schlanke Körper ist der Preis, den Du für Dein hübsches Gesicht bezahlen musst. Du kannst einem ja fast Leid tun! Und darf ich Dir noch was sagen? Trotz Deiner schlanken Statur hast Du einen äußerst ansehnlichen Arsch. Hat sie wirklich Arsch gesagt? Verzeih mir die direkten Worte, aber wann immer Du Dich umdrehst, oder so plakativ im Türrahmen stehst, genieße ich den Blick auf Dein wohlgeformtes Hinterteil. Die Stoffhosen, die Du meist trägst, bringen es hervorragend zur Geltung. Doch, gefällt mir sehr! Und ich möchte an der Stelle hinzufügen, dass es wahrlich nicht viele Männer mit einer hübschen Rückseite gibt. Ich weiß nicht, ob Dir das bewusst ist. Vielleicht weißt Du auch um Deine Attraktivität und kokettierst bewusst damit. Das könnte ich Dir dann auch nicht übel nehmen. Man muss schließlich mit dem arbeiten, was Gott einem gegeben hat, nicht wahr? Tatsächlich glaube ich aber, dass dem in Deinem Fall nicht so ist. Denn die Art und Weise, wie Du bisher auf meine Komplimente, wenngleich rein geschäftlicher Natur, reagiert hast, lässt mich glauben, dass Du doch eher von Selbstzweifeln geplagt bist. Aber vielleicht täusche ich mich auch. Schließlich tragen wir doch alle eine Maske.
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Zwangsentspannung
RomanceStressiger Projektalltag und eine neue Kollegin? Das kann ja nur schief gehen, oder?