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„Was wird jetzt noch gemacht?", frage ich den Arzt, der sich mittlerweile als Dr. Seehauser vorgestellt hat. Er blättert in seinen Unterlagen und kommt dann mit dem Hocker zu mir gerollt. „Weil wir Unregelmäßigkeiten im EKG feststellen konnten, musst du bis morgen bleiben, damit wir schauen können, was dein Herz hat. Schwester Birgit bringt dich nun auf die Kinderstation.", erklärt er und schon steht eine ältere Schwester mit einem Rollstuhl neben mir. „Nee, den brauche ich nicht.", winke ich lächelnd ab. „Liv.", ermahnt mich Phil freundlich und deutet auf den Rollstuhl. „Hinsetzen. Ohne Widerrede!", sagt er lächelnd. Ich stöhne einmal genervt auf und setze mich dann darein. Ich bin gesund genug, um zu laufen. Ich brauche definitiv kein Rollstuhl aber dagegen angehen bringt auch nichts, wenn man so einen sturen Arzt vor sich hat, wie Phil.
Zusammen mit ihn und der Schwester stehe ich im Fahrstuhl und betrachte die Schilder, für die jeweiligen Stationen. Ich verstehe immer noch nicht, wie man freiwillig in diese Irrenanstalt hier gehen kann, geschweige denn hier zu arbeiten. Das ist die reinste Folter hier. „An was denkst du, hm?", unterbricht Phil meinen Gedankengang. „Wie man freiwillig hierher kommen kann. Diese Ärzte sind doch nur darauf aus, einen wehzutun und mit Medikamenten voll zu pumpen, bis man Tod umfällt.", spreche ich das aus, was eigentlich nicht für diese Ohren bestimmt war. Sofort schnellt meine Hand an meinen Mund und drückt diesen zu, damit ich bloß keinen weiteren Ton sage. Bevor Phil fragen kann, öffnen sich die Fahrstuhltüren und Schwester Birgit schiebt mich auf die Kinderstation. Anstatt Tabea hat heute eine andere Ärztin Dienst. Sie ist auch recht jung und hat langes blondes Haar, welches zu einem Zopf geflochten ist. Mit einem strahlenden Lächeln kommt sie auf uns zu. „Hallo Herzinger mein Name, du musst Olivia sein. Stimmt das?", fragt sie, woraufhin ich nur nicke. Ich will jede Konversation mit diesen Anhängern Satans ausweichen. „Liv ist ihr Name.", korrigiert Phil sie. Ich bedanke mich mit einem Lächeln bei ihm.
Während die Ärztin sich die Berichte durchliest, kniet Phil sich zu mir und nimmt meine Hand. Ich schaue ihn fragend an, denn verstehen tue ich diese Geste nicht. „Was meinst du damit, dass Ärzte nur darauf aus sind einem wehzutun und mit Medikamenten voll zu pumpen bis man Tod umfällt?", fragt er besorgt. Aha, anscheinend hat ihn das doch keine Ruhe gelassen. Kein Wunder, denn ich sage sowas ausgerechnet in der Gegenwart eines Arztes. Auf seine Frage hin, hebe ich nur die Schultern, auch wenn ich die Antwort weiß. „Du kannst mit mir...", beginnt er, doch wird von Dr. Herzinger unterbrochen. „So Liv. Gleich ist erstmal Abendbrotzeit. Danach würde ich gerne noch ein EKG schreiben und morgen ein Belastungs-EKG, sowie ein Ultraschall von deinem Herzen machen. Schwester Birgit begleitet dich nun auf dein Zimmer und zeigt dir alles. Wir holen dich dann, wenn es soweit ist."

Das Zimmer sieht aus, wie das vom letzten Mal, nur habe ich dieses Mal eine Zimmernachbarin. „Liv, das ist Laura, deine Zimmernachbarin. Laura, das ist Liv.", stellt die Schwester uns gegenseitig vor. Phil begrüßt sie auch freundlich und setzt sich dann zu mir aufs Bett. „Ich werde eben schnell ins Heim fahren und dir was zum anziehen holen. Noch irgendwelche Wünsche, was ich mitbringen soll?", fragt er, woraufhin ich den Kopf schüttle.

„Und weshalb bist du hier?", fragt mich meine Zimmernachbarin neugierig, als Schwester Birgit uns das Essen gebracht hat. Ich warte noch, bis sie wieder weg ist. „Herzprobleme.", antworte ich. Wegen dem Suizidversuch bin ich ja nicht hier gelandet. Da sollte ich dann in der Klapse sitzen. „Oh.", kommt nur von ihr, während sie skeptisch auf ihr Brot starrt. Jetzt fällt mir erst auf, wie schön sie ist. Sie hat hellblonde Haare, fast weiß, die ihr bis zur Hüfte gehen und leichte Wellen formen. Außerdem hat sie hellblaue Augen und eine extrem sportliche Figur. Das komplette Gegenteil von mir. Ich habe schulterlange braune Haare, die glatt sind. Mein Körper ist nicht sportlich aber auch nicht dick. Die einzige Gemeinsamkeit sind wohl die hellblauen Augen. „Und du? Weshalb bist du hier?", frage ich interessiert. Sie starrt weiterhin auf ihr Brot und hebt dann ihren Blick, um mich anzusehen. „Essstörung. Hab nicht mehr gegessen und bin dann in der Schule ohnmächtig geworden. Hier im Krankenhaus haben sie festgestellt, dass mir einiges an Nährstoffen fehlt und bekomme deswegen die hier.", sagt sie und zeigt auf die vielen Infusionen neben ihrem Bett. Oh wow, damit habe ich nicht gerechnet. Sie sieht so perfekt aus und hat so eine schlimme Krankheit. „Das tut mir leid für dich. Ich hoffe, es geht dir schnell besser.", antworte ich. Sie nickt und legt ihren Blick dann wieder auf die Brotscheibe. Ich sage nichts dazu, da ich weiß, dass das eh nichts bringt. Meine beste Freundin Jolina, mit der ich momentan keinen Kontakt pflege, hatte auch mal eine Essstörung. Ich habe immer versucht, sie zum Essen zu ermutigen, doch habe ich damit einiges schlimmer gemacht. Essgestörte können sowas nur mit sich selber ausmachen da hilft dann auch kein gutes zureden. „Ach muss dir nicht leidtun. Die Ärzte geben einem echt gute Laune hier. Das macht das ganze viel erträglicher.", sagt sie stolz und nimmt dann ihr Buch in die Hand, um darin zu lesen. Das Essen lässt sie so stehen, ohne auch nur etwas davon berührt zu haben.
Plötzlich klopft es und Phil kommt rein. Wie schnell war er denn bitte? Das waren höchstens 20 Minuten. „Bist du geflogen?", frage ich verwirrt, was ihm zu einem leichten Lächeln zwingt. „Nicht ganz. Hab ein paar Abkürzungen genommen.", antwortet er schmunzelnd und stellt meinen Rucksack auf einem Stuhl ab. Etwa zehn Minuten später kommt Schwester Birgit, um das Essen abzuholen. Ihr skeptischer Blick fällt auf Laura, die nur teilnahmslos in ihr Buch schaut. „Frau Doktor wird das erfahren Laura.", sagt sie mit einem strengen Unterton und deutet auf den vollen Teller. „Meinetwegen.", antwortet Laura schulterzuckend. Kopfschüttelnd geht die Schwester raus. „Man die Ärzte machen hier echt ein Drama um nichts. Manchmal können die echt nerven.", sagt sie, obwohl sie vor einigen Minuten noch der Meinung war, dass die Ärzte hier unterhaltsam sind. „Glaube mir, wir Ärzte wollen echt nur das beste für euch.", antwortet Phil. Zum ersten Mal sieht sie von ihrem Buch hoch und schaut Phil erschrocken an. „Sind sie etwa...", beginnt sie, was Phil durch ein Nicken beantwortet. „Meistens als Notarzt im Rettungsdienst aber ab und zu auch in der Notaufnahme. Keine Angst, dein Geheimnis bleibt bei mir.", sagt er zwinkernd, was Laura einen erleichterten Seufzer entlockt. Dann kommt auch schon Dr. Herzinger rein.

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Man liest sich im nächsten Teil:)

Der Grund zum kämpfen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt