Kapitel 91

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„Man, ist das hier alles voll gerümpelt." Genia lief um einen alten Tisch herum und fuhr mit ihrem Finger darüber. Der Finger war dick mit schwarzem Staub bedeckt. „Das ist aber ein richtig antiker Tisch, der hier unten vergammelt. Der ist bestimmt richtig was wert." „Mama hat diese alten Möbel geliebt." Ja, Ina konnte sich noch gut daran erinnern, wie die Augen ihrer Mutter immer geglänzt hatten, wenn sie ihr erzählt hatte, dass die Möbel alle von ihrem Urgroßvater stammten, der Tischler gewesen war und sie alle selbst extra für dieses Haus angefertigt hatte. Ihre Mutter hatte es auch nicht nur Frau Senger überlassen die Möbel abzustauben. „Mama hat als ich klein war immer mit mir zusammen die Möbel mit einer Politur abgerieben." Wie hatte ihre Mutter damals gesagt? „Sie meinte, man muss sich um alles liebevoll kümmern, sonst verliert es seinen Glanz. Das ist bei Möbeln so wie auch im Leben." Genia nickte nachdenklich. „Deine Mutter war eine schlaue Frau." Plötzlich schüttelte sie den Kopf. „Irgendwie ist das immer komisch. Weil ich ja weiß, dass ich deine Mutter bin, hört sich das an als würde ich von mir im Passiv und in der Vergangenheit sprechen. Wie hieß deine Mutter eigentlich?" Ina musste schmunzeln. Ja, da hatte Genia recht. Irgendwie war es schon etwas verwirrend, wenn man plötzlich zwei Mütter hatte. „Sie hieß Mona." „Das ist ein schöner Name." „Genia aber auch. In deinem Namen stecken übrigens auch alle Buchstaben von meinem Namen." Genia schaute sie erstaunt an. „Stimmt! Das ist mir noch gar nicht aufgefallen." „Meinst du, ob Papa mir den Namen gegeben hat und er ihn deshalb ausgesucht hat?" Genia zuckte mit den Schultern. „Das wäre möglich. Aber das werden wir wohl nie erfahren." Sie bezweifelte, dass ihr Mutter den Namen ausgesucht hatte. Also wird es wohl Conny gewesen sein. Trotzdem bezweifelte sie, dass er wirklich soweit gedacht hatte, einen Teil ihrer Mutter ihr im Namen mitzugeben. Viel wahrscheinlicher war, dass er so einen kurzen Namen aus Effektivitätsgründen gewählt hatte. „Wieso stehen hier eigentlich die ganzen Möbel im Keller und gammeln vor sich hin? Das ist ein echtes Verbrechen", wechselte Genia das Thema. Ina strich mit ihrem Finger liebevoll über die Verzierung am Rand eines Schminktischs. „Da hast du recht. Aber nach Mamas Tod hat Papa die ganze Villa neu von einem Innenarchitekten einrichten lassen. Er hat alle alten Möbel hier in den Keller verbannt." Das erklärte auch, warum die Einrichtung wie aus einem der Wohnmagazine aussah, aber keinerlei Gemütlichkeit ausstrahlte. Genia kannte das noch aus dem Haus ihrer Eltern, in dem sie aufgewachsen war. Man traute sich fast nicht auf das Sofa zu setzen, damit man nicht Unordnung in die dort dekorativ ausgerichteten Kissen brachte. „Wieso hat er das gemacht?" Die alten Möbel luden mit Sicherheit viel eher dazu ein, es sich dort bequem zu machen. Schon alleine das Holz strahlte viel mehr Wärme aus, als dieses ganze kalte Chrom und Glas. Ina zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich hat ihn alles viel zu sehr an Mama erinnert." Oder er hatte endlich freie Hand seine eigenen Vorstellungen umzusetzen. Das vermutete Genia eher. Conny war niemand, der zurückschaute. Für ihn ging es nur nach vorne.....und das ohne Rücksicht auf Verluste. Das hatte er ja damals bei ihr bewiesen. „Es ist wirklich schade um die Möbel. Willst du sie dir nicht vielleicht wieder oben hinstellen?" Ina schüttelte den Kopf. „Nein, mich würden sie auch viel zu sehr an früher erinnern, genau wie Natascha. Ich will aber vielleicht auch alles neu einrichten." Ina tippte sich mit dem Zeigefinger an den Mund. „Aber was hältst du davon, wenn ich sie der Stiftung spende. Wir könnten eine große Auktion machen. Das wäre doch viel toller als so eine Spendengala. Und es bringt bestimmt auch etwas Geld ein." Genia nickte. Klar wäre das eine super Sache, die ihr mit Sicherheit besser lag als so eine Gala. Außerdem hatte sie dann auch das Gefühl, dass die Leute auch einen realen Gegenwert für ihr Geld bekamen, das sie bereit waren auszugeben. Trotzdem war sie sich nicht sicher, ob das so okay war. „Bist du dir ganz sicher, dass du sie nicht behalten willst? Oder das Natascha sie vielleicht irgendwann haben möchte?" Die Kleine hatte ja schließlich auch Anspruch darauf. „Natascha sind die Möbel egal. Da bin ich mir sicher. Und für die Möbel wäre es doch auch schön, wenn sie wieder irgendwo richtig zur Geltung kommen würden. Ich bin mir sicher, Mama würde das auch wollen. Sie hätte auch garantiert deine Stiftung unterstützt."  Okay, dann würde Genia auf keinen Fall nein sagen. „Aber den alten Sekretär im Wohnzimmer hat dein Vater schon stehen gelassen." Ina nickte. „Ja, an dem hat Mama immer besonders gehangen. Er war ihr Lieblingsstück und sie hat dort stundenlang gesessen und ihre Tagebücher geschrieben oder ihre Post erledigt." Genia verzog ihr Gesicht. Es passte nicht zu dem Bild von Conny, das sie hatte, dass er aus Erinnerungsgründen so etwas stehen ließ. Die ganze Zeit hatte sie sich schon gefragt, warum das Teil dort stand, obwohl es überhaupt nicht zum Rest der Einrichtung passte. Conny war Perfektionist. Da passte etwas nicht. Sie schaute Ina an und noch bevor sie ihr ihre Gedanken mitteilen konnte, zog die sie am Arm. „Komm! Wir müssen den Sekretär untersuchen. Bestimmt gibt es dort ein Fach, wo der Schlüssel passt." Wieder fiel ihr der Streit ihrer Eltern um diesen Schlüssel ein.  „Papa wäre niemals hier runter in den Keller gegangen, um etwas in den Safe zu legen. Nein, das hätte ja unnötig Zeit gekostet. Und Mama hat den Keller gehasst, weil sie Angst vor Spinnen, Mäusen und Ratten hatte." Wie zur Bestätigung raschelte es neben ihnen und beide beschleunigten ihre Schritte. Ja, das Geheimnis musste in dem Sekretär versteckt sein.

Schuss und Treffer -  in der zweiten Mannschaft   ✔️    Teil 13Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt