Kapitel 1: Madeleine und Otto

68 15 34
                                    

Über der großen Stadt im Westen wachen sie Tag und Nacht: Die großen Wächterengel ihrer Zeit.

Ausgesandt um den Menschen zu helfen. In ihrer eigens ausgewählten Bestimmung vom Himmel herab zu kehren, um den Menschen auf der Erde Beistand, Helfer, Lösungsbringer, Advokat oder guter Freund zu sein.

Die Engel, die auf die Erde kommen, suchen sich ihre Schützlinge selbst aus. Am stärksten sind sie in Gemeinschaften, aber auch einzelne greifen dem Schicksal auf ihre Weise unter die Arme.

Akasha, Svenja, Raya und Eike, eine Gemeinschaft von Engeln, die schon eine ganze Weile ihre Bestimmung in der Erfüllung menschlicher Schicksale gefunden haben, ruhten heute auf einer breiten Wolke und schauten über die zahlreichen Dächer unter denen die vielen verschiedenen Schicksale freudig ihren Lauf nahmen. So, wie jeden Morgen. Es war ein warmer sonniger Tag den keine Wolke trüben konnte.

Gerade zu aufgeregt schauten sie hinunter und beobachteten wie einer nach dem anderen aus seiner Ruhe erwachte.

"Es ist so schön Ihnen zuzusehen", sagte Raya die auf dem Bauch neben Akasha lag und über den Rand der Wolke legte.

Akasha öffnete ihre weißen Schwingen weit bevor sie durch die Luft hinunter in die Stadt gleitete. Keiner kann sie sehen, doch sie kann alle sehen. Die Angestellte, die heute besonders früh auf die Arbeit kam, weil sie noch jung und engagiert ist und die Bohnendosen ins Regal räumen will, bevor sie als erste an der Kasse sitzt, die Anwältin, die schon wieder den Kopf über den selben Klienten schütteln muss, weil er total unorganisiert zum Gespräch erscheint und den Bäcker der, wie jeden Morgen die kichernden Schulkinder aus seiner Bäckerei jagte, weil diese wieder seine Waren angefasst haben.

Akasha liebte es ebenfalls ihnen zuzusehen. Sie liebte es wahrlich. Und wie jeden Morgen schwang sie sich auch heute durch die verwinkelten Straße auf den Weg zu ihrem ältesten Schützling und Muße: Der Alten Madam Madeline.

Madeleine war eine der ältesten Schützlinge Akashas. Eine alte Dame die schon seit langem in Rente war und ihren Lebensabend damit gestaltete den einfachen Dingen des Lebens nachzugehen. Schon lange lebte sie alleine und war talentiert darin sich stets an den noch überbleibenden schönen Dingen des Lebens zu erfreuen wie zum Beispiel eine intakte, gut gemachte Dauerwelle, oder auch einen Gutscheincoupon ihrer Lieblingsessensmarke. Madleine lebte ihr Leben in völliger Stille und wusste garnicht wie viel Weisheit sie in sich vereinte. Man konnte sagen Akasha bewunderte sie dafür, denn das Leben selbst war auch zu Madeleine nicht immer gut gewesen.

Akasha setzte sich vor ein Fenster in ihrem großen Garten am Haus und beobachtete wie die alte Dame in ihrem dicken Ledersessel den immer selben Tee zur immer selben Zeit eingoss: Kamillentee. Dazu aß sie, wie jeden Morgen, ihren Haferbrei und an guten Tagen, so wie es heute einer zu sein schien, gönnte sie sich noch einen Kakao. Dabei schaute Madeleine immer das Frühstücksfernsehen und dachte an ihren Schatz Otto, den sie auch nach seinem zehnten Todestag noch genauso liebte wie an dem Tag ihrer Hochzeit.

Dass sie an Otto dachte wusste allerdings niemand. Nur Akasha sah es ihr an, wegen dem Glanz in ihren Augen und weil sie wusste, dass Otto, als sie sich vor mehr als 50 Jahren kennengelernt hatten, ihr nach ihrer Hochzeit jeden Morgen ihren Haferbrei machte.

Manchmal hatte er noch etwas Obst rein getan. Traube, Pflaume oder auch Datteln. Das mochte Madeleine gar nicht. Doch aß sie ihn dennoch jeden Tag mit Freuden. Denn es kam von ihrem Otto.
Inzwischen und nun da er fort war tat sie diese Früchte selbst manchmal noch in ihr Essen. Nur um sich an ihn zu erinnern.

Es machte Akasha so einen Spaß Madeleine zuzusehen wie sie die immer gleichen Dinge tat und sich die immer gleiche Zufriedenheit in ihrem Gesicht abzeichnete. Madeleine liebte, genau wie sie selbst auch, die Einfachheit.

INVIDIA ✔ | Das Original By NamyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt