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Als Baran nach seiner Meldung das Büro von König Simon verließ, hatte die Sonne schon fast die Wipfel der Bäume erreicht.
Mit gemischten Gefühlen hatte er seinen neuen Auftrag entgegengenommen.
„Ich möchte, dass du unsere Gefangene bewachst", hatte der König ihm aufgetragen.
Und so war der Hauptmann nun auf dem Weg in den Kerker. Seine eine Hand hatte er in die Tasche seiner Hose geschoben, die Finger um das Holzherz geschlossen. Mit keinem Wort hatte er das Schmuckstück gegenüber seinem König erwähnt.
Noch immer wusste er nicht, was es damit auf sich hatte. Dass ER die Bewachung des Mädchens übernehmen sollte, kam ihm daher durchaus entgegen.
Am Zugang zum Kerker stoppte er und klopfte an die versperrte Tür. Eine Klappe öffnete sich und ein junger Vampir schaute heraus.
„Ach du hast Dienst, Farog", stellte er zufrieden fest. „Ich muss zu dem Werwolfmädchen. Ich soll ihre Bewachung persönlich übernehmen."
Der Vampir schloss die Klappe und öffnete die Tür, um seinen Vorgesetzten eintreten zu lassen.
Im gleichen Moment kam Sebastian mit einem Tablett um die Ecke und verneigte sich leicht.
„Guten Morgen, Hauptmann Baran."

Baran warf einen prüfenden Blick auf das Tablett.
„Für das Werwolfmädchen?", hakte er nach.
Sebastian nickte. „Ja, Hauptmann. Mir wurde gesagt, dass Ihr die Bewachung übernehmt, ich mich aber um das Essen kümmern soll."
Baran nickte. „Dann kommt. Dann könnt Ihr mir auch gleich zeigen, wo die Zelle liegt."
Gemeinsam traten sie auf den Flur und Sebastian ging voraus.
„Wie verhält sich das Mädchen bisher?"
Die Wache zuckte leicht die Schultern. „Dazu kann ich noch nicht viel sagen. Fürst Levin hat sie gemeinsam mit Kiran und Lorin hierher gebracht. Da war das Mädchen bewusstlos."
„Ich habe ihr eine ganze Phiole Wolfswurz gegeben. Andernfalls wäre es schwer geworden, sie her zu bringen. Sie hat gekämpft wie ein kleiner Teufel."
Sebastian lächelte schwach. „Was ja irgendwie verständlich ist. Das Mädchen kann einem schon ein bisschen leidtun."
Baran schmunzelte. „Ihr seid ein Mensch. Natürlich empfindet Ihr so. Aber in diesem Fall habt Ihr recht. Sie ist noch ein halbes Kind. Sie wird Angst haben."
„Wo ich vorhin noch einmal nach ihr gesehen habe, schien sie langsam wieder zu sich zu kommen."
Abrupt blieb Baran stehen. „Wann habt Ihr nach ihr gesehen?"
„Direkt bevor ich losgegangen bin, um das Frühstück zu holen. Solange sie tief geschlafen hat, war das ja nicht nötig."
„Da habt Ihr auch wieder recht. Allerdings ist es etwas früh zum Aufwachen bei der Menge Wolfswurz."
Baran runzelte nachdenklich die Stirn.
Sebastian drehte sich zu dem Vampir um. „Sie hat sich dennoch sehr ruhig verhalten. Ich habe lediglich gemerkt, dass sie angefangen hat, sich in den Fesseln zu winden und zu stöhnen."
Erneut runzelte der Hauptmann die Stirn. Doch noch bevor er etwas sagen konnte, nickte Sebastian in Richtung einer Tür. „Hier ist es. Dort liegt ihre Zelle."

Baran trat näher an die Zellentür heran und öffnete das kleine Fenster.
Als er einen Blick hindurch warf, sog er scharf die Luft ein.
„Schlüssel!", forderte er sofort.
Während Sebastian mit einer Hand das Tablett balancierte, löste er mit der anderen den Schlüsselbund von seinem Gürtel und reichte ihn dem Vampir.
Im nächsten Augenblick hatte dieser die Zelle bereits betreten.
Tia hing an die Wand gefesselt in den Fesseln. An Händen und Füßen trug sie schwere Eisen aus Silber. Selbst um den Hals hatte ihr jemand eine Silberschelle gelegt. Die Ketten waren so kurz gehalten, dass Tia unfähig war, auch nur die kleinste Bewegung zu machen. Ihre Füße hingen beinahe in der Luft, lediglich die Zehen berührten noch den Boden.
Tias Kopf hing erschöpft auf ihrer Brust. Als die Tür sich öffnete, hob sie ihn langsam und schwerfällig an.
Die Augen halb geschlossen suchte sie ihren Besucher, ließ den Kopf dann jedoch wieder kraftlos nach unten sinken.

Wütend drehte Baran sich zu Sebastian um.
„Wer hat das Mädchen derart an die Wand gebunden?"
Sebastian beeilte sich, das Tablett auf ein kleines Tischchen zu stellen.
„Fürst Levin hat Kiran und Lorin angewiesen, sie derart bewegungsunfähig an die Wand zu fesseln. Die beiden waren nicht begeistert, aber Fürst Levin hat nicht mit sich reden lassen."
Baran knurrte leicht.
„Er meinte, er will sichergehen, dass sie keine Schwierigkeiten macht", ergänzte Sebastian.
Der Hauptmann schnaubte auf. „Wie soll das Mädchen denn Schwierigkeiten machen? Sie war bewusstlos. Und es war klar, dass sie auch nach dem Aufwachen erst einmal geschwächt sein wird. Ich werde mit Fürst Levin reden müssen. Und auch mit Kiran und Lorin."
Baran trat näher an Tia heran. Instinktiv drückte sie sich enger an die Wand.
Der Vampir seufzte. „Passen die Schlüssel auch für die Fesseln, Sebastian?"
Die Wache trat neben ihn. „Ja. Der kleine Schlüssel hier ist für die Fesseln."
Baran nickte zufrieden. „Ich möchte, dass du sie stützt, während ich sie losbinde.

Die Julius-Chroniken - Teil 2: Die GeiselWo Geschichten leben. Entdecke jetzt