Tagesanbruch - IV

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Der Schwertmann stampfte mit schweren Schritten durch das robuste, hochgewachsene Gras. Jedes Mal, wenn er einen Schritt tat, versank er handtief im Erdreich. Er war es leid, aber immerhin besserte sich das Wetter. Die dicken Regenwolken wurden durch den starken Wind schnell auseinander getrieben, so dass er am blassen Morgenhimmel das Leuchten der letzten Sterne sehen konnte. Das Firmament veränderte langsam seine Farbe, verfärbte sich von einem dunklen Blau zu einem blassen Blau-Gelb, dann zu Rosa und schließlich Orange; während rechts von ihm die Sonne als rote Scheibe auftauchte, wurden links von ihm das Feuerrad und die Silbersichel der Zwillingsmonde zu einem Gebilde aus Ring und Halbkreis, das langsam hinter dem Horizont verschwand. Tagesanbruch.

Der Schwertmann war durchnässt, fühlte sich wie ein nasser, streunender Hund und verspürte den Drang sich zu schütteln. Alles war durchweicht und so schwer, als würde er einen Harnisch aus Eisen tragen.
Er hatte geahnt, dass es keine seiner besten Ideen war, die ganze Nacht durchzuwandern, aber in Anbetracht dessen, dass er noch weniger Interesse an einem weiteren Gasthaus mit seinen betrunkenen Gästen und stinkenden Betten hatte, hatte er augenscheinlich das weniger schlimme Übel gewählt. Auch dem letzten Dorf erst vor ein paar Wegminuten hatte er keinerlei Beachtung geschenkt, hatte es sogar weitläufig umrundet, damit die Torwachen gar nicht erst auf ihn aufmerksam wurden - Und genau dieser Umweg beschertem ihm nun bis unter den Schaft dick mit Lehm und Dreck verklumpte Stiefel.

Zielstrebig steuerte er auf den befestigten Weg zu, der sich in unmittelbarer Nähe befand und verspürte mit dem hörbaren Knirschen der Kieselsteine unter seinen Schuhen ein Gefühl der Erleichterung. Wenn er jetzt noch etwas fand, mit dem er den Lehm von seinen Stiefeln kratzen konnte, wäre er schon ein gutes Stück weiter. Er suchte den Wegesrand nach etwas Brauchbarem ab und steuerte dabei immer weiter auf die Weggabelung zu; als er die Schatten der Kreuze zu seinen Füßen erblickte, blieb er jedoch abrupt stehen. Er schaute in die Höhe.
Im Licht der Morgensonne zeichneten sich die Silhouetten dunkel ab, schwarze Flächen mit markanten Konturen auf leuchtend orangem Grund. Die aufgehende Sonne war so hell, dass er seine Augen mit vorgehaltener Hand schützen musste.
Zwei der Kreuze standen etwas abseits, ein großes und ein kleineres; die Gestalten, die daran hingen, waren teilweise schon verwest, den Körpern nach zu urteilen eine Mutter und ihr Kind.
Das dritte Kreuz jedoch befand sich direkt vor ihm, durch seine geschlossenen Finger strömte das Morgenlicht hindurch. Die junge Frau am Kreuz war noch nicht lange tot: Ihre Haut war blass, aber nicht eingefallen, ihre nackten Arme und Beine blutig aufgeschürft, Hand- und Fußgelenke aufgerieben von den Stricken, die sie am Kreuz gefesselt hielten. Das Haar hing ihr in rotblonden Strähnen über die Schultern, die Locken vom Regenwasser hinausgezogen, die grünen, halb geschlossenen Augen waren matt und milchig, ausdruckslos. Man hatte ihr die Kehle aufgeschnitten und sie ausbluten lassen; ihr weißes Kleid war blutgetränkt, aber auch hier hatte der Regen der letzten Tage vieles bereits fortgespült.

In dieser Zeit gab es für Frauen viele Gründe an den Pfahl gebunden zu werden. Ein hartnäckiges Gerücht über hexerische oder druidische Fähigkeiten oder ein Bündnis mit den Schwarzen Landen reichten bereits aus, manchmal aber auch schon in der falschen Stadt zu leben, oder dem falschen Mann versprochen zu sein. Grüne Augen, rotblondes Haar; auch wenn Hexen meist verbrannt oder an unbekannte Orte verschleppt wurden, lag die Vermutung nahe, weshalb sie an den Pfahl gestellt worden war.

Einen Moment lang sah der Schwertmann ihr noch ins Gesicht: Ihr Mund war blutig, die Lippen gleichermaßen aufgequollen und gerissen, ein roter Fleck inmitten der bleichen Haut des Gesichtes. Der Anblick erinnerte ihn an eine frisch aufgeblühte Rose –
Das Bild eines Rosengartens stieg vor seinem geistigen Augen empor; blutrote Rosen auf dunkelgrünem Grund, tiefgrüne Efeuranken auf weiß gekalktem Gestein, schneeweiße Wolken auf strahlend blauem Sommerhimmel. Kontraste, egal wohin man schaute, so leuchtend, dass es beinahe schmerzte, den Blick nicht abzuwenden – Dann, ein Mädchen.
Schwarzes Haar, blaue Augen, bleiche Haut, und im ersten Moment war an ihrem Anblick nichts Ungewöhnliches. Erst bei genauem Hinsehen wurde es deutlich: Das Haar war nass und hing in tropfenden Strähnen über die schmalen Schultern, das Blau der Augen war unterlegt mit Blut, färbte es beinahe in ein Lila, die Haut war aufgequollen, rissig, blass vor Kälte und Nässe. Aus ihrem geöffneten Mund tropfte Wasser, floss in kleinen Bächen hinaus -

Der Schwertmann schüttelte die Erinnerung ab und ging weiter. Er versuchte den süßlichen Geruch zu ignorieren, als er an der anderen Frau und ihrem Kind vorbei ging und schaute nicht mehr zurück. Stattdessen wandte er seinen Blick entschlossen Richtung des nördlich abzweigenden Weges; das Schloss sollte in Sichtweite sein, wenn er die Hügelkuppel erreicht hatte. 

Verblassendes LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt