Kapitel 14

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Amalia Amaryllis Delacour

Es ist Samstag, der achtzehnte Geburtstag meines Bruders Levin.
Die Sonne steht hoch am Himmel und die saftig grünen Grashalme der Wiese tanzen im Wind. Vögel zwitschern, Xenia lacht und ich grabe meine Fingernägel tiefer in mein Fleisch.

Mit meiner Familie sitzen Xenia und ich im Wohnzimmer der Delacour Villa auf der weißen Couch. Vor uns türmt sich ein Geschenkehaufen, welcher es mit der Höhe des größten Menschen der Welt aufnehmen kann.
Wenn Mutter eines liebt, dann Geschenke.
Zu jedem Festtag wirft sie so viel Geld aus dem Fenster für Dinge, die höchstens dreimal angesehen und einmal benutzt werden, nur um sich selbst das Gewissen zu reinigen. Schließlich ist eine Mutter, die ihre Kinder mit Geschenken überhäuft, eine gute Mutter.

»Du bist so witzig, Levin!«, kichert Xenia, als wäre sie eine Teenagerin.
Ich mag Xenia, wirklich – selbst, wenn man es manchmal nicht glauben würde. Sie ist nett, ist immer für mich da, hat aber auch Biss. Doch mit Jungs kann man sie nicht alleine lassen und erst recht nicht mit meinem kleinen Bruder. Ich würde lieber einen Horrorfilm anschauen als das hier – und ich hasse Horrorfilme fast so sehr wie ich Ellion verabscheue.

Bei dem Gedanken an Ellion, schlägt mein Herz schneller. Sein Gesicht gestern, als ich mit den roten Rosen ihn allein mit seinen Fangirls ließ, hätte ich nur allzu gerne eingerahmt über mein Bett gehängt!

»Komm, Levin, Schatz! Pack das nächste Geschenk aus!« Während Levin Mutters Bitte folgt, lächelt er tapfer in die Kamera, auf der Mutter wie verrückt rumdrückt, so dass ich fast schon glaube, es handele sich um Morse-Code.
Eine ganze weitere Stunde sitze ich hier mit meiner Familie versammelt; mit meiner Freundin, die etwas zu laut bei Levins schlechten Witzen lacht; mit meinem Bruder, der etwas zu zwanghaft versucht, die Stimmung zu heben; meiner Mutter, die etwas zu stolz auf sich selbst ist, um die Atmosphäre zu bemerken; und meinem Vater, der etwas zu angestrengt versucht, meinem Blick auszuweichen, um überhaupt mitzubekommen, dass sein Verhalten seinem Lieblingskind auf die Stimmung schlägt.

Levin war schon immer der Liebling der Familie.

Sobald ich das Teenageralter erreichte, meine Schönheit zum Ausdruck kam und meine Talente sich offenbarten, sah Mutter mich mehr als Konkurrenz anstatt als Tochter. Sie wurde taub und blind für meine Erfolge. Anfangs tat ich es damit ab, dass sie zu bemüht darauf sei, sich ihre anschleichenden Depressionen nicht anmerken zu lassen, um für etwas anderes Augen zu haben als für sich. Doch als schließlich Levin in seiner Fußballmannschaft ein Tor nach dem anderen schoss und ein Schwimmabzeichen nach dem nächsten erlang, da konnte ich mich nicht länger selbst belügen: Meine Mutter feierte jeden dieser Erfolge, als hätte Levin die Welt gerettet.

Und mein Vater? Der hatte von Anfang an nur Augen für meinen kleinen Bruder.
Da Levin gerade mal zwei Jahre jünger als ich ist, habe ich keine Erinnerung an eine Zeit, in der nur ich für Vater zählte. Manchmal, da glaube ich, dass er direkt, nachdem feststand, dass ich ein Mädchen werde, das Interesse an mir verloren hat. Erst als mein Gesicht schmaler, mein Körper ansehnlicher und erwachsener wurde, hat er mich mit anderen Augen gesehen.
Von einem nichtsnutzigen Kind wandelte ich mich in ein Mittel, eine Waffe.

Levin hingegen war schon jeher sein größter Schatz. Selbst als er gestand, nur wenig Interesse am Designen zu haben, hat mein Vater lediglich die Lippen geschürzt, ihm dann auf die Schultern geklopft und gemeint, dass er nicht Designen müsse, um das Unternehmen zu übernehmen.
Erst als Levin sich vor einigen Monaten weigerte, sich in der Fashion Society mit dem Business-Studiengang anzumelden, hat Vater sich auch mehr von ihm zurückgezogen. Obwohl ich für Levin eingestanden bin (und das nicht nur, weil ich ihn dann als Konkurrent los wäre), hat Vater es sich nicht nehmen lassen, ihn anzumelden.

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