Ich kreischte auf. Mein Gesicht war komplett nass und mein Kissen hatte sich mit Wasser vollgesogen. Da hatte mir mein Bruder doch wirklich einen Eimer eiskaltes Wasser über den Kopf geschüttet.
"Verschwinde aus meinem Zimmer, du Arschloch!", schrie ich Luki an. Er lachte nur schallend und ging dann wieder raus. Da ich gestern meinen Wecker geschrottet hatte - frag mich nicht wie, ich hatte keine Ahnung - hatte ich ihn beauftragt mich zu wecken. Allerdings hatte ich da an nettere Methoden gedacht und nicht an dieses tötend kalte Wasser.
Mühsam stand ich auf und lief ins Bad, wo ich mir erstmal ein Handtuch schnappte und mich abtrocknete. Wach war ich immerhin schon mal. Ich machte mich fertig und aß unten mein Frühstück. Mum und der Typ schliefen noch oder waren schon bei der Arbeit. Ich wusste es nicht, und ehrlich gesagt interessierte es mich auch nicht. Mit Luki machte ich mich auf den Weg zum Bus, der uns zur Schule brachte, wo ich auf der Treppe mal wieder auf Sophie traf.
"Guten Morgen", zwitscherte sie und lächelte mich an.
"Morgen", murrte ich und stellte fest, dass meine gute Laune nicht sehr groß war. Als wir ganz oben angekommen waren - warum mussten unsere Klassenräume auch ganz oben liegen?! - sah ich auch schon Mara und lief auf sie zu. Gestern abend hatte ich sie noch angerufen und ihr alles über Stephen erzählt, also wusste sie jetzt auch Bescheid.
"Morgen", begrüßte Mara mich fröhlich. Sie war gut gelaunt, obwohl das, genau wie bei mir, eher selten der Fall war. Statt ihr ebenfalls einen guten Morgen zu wünschen, klagte ich: "Mein Bruder hat mich heute morgen mit einem Eimer eiskaltem Wasser geweckt. Kannst du ihn bitte erschießen?" Doch statt dem mitfühlenden Gesichtsausdruck, den ich erhoffte hatte, warf sie ihren Kopf nach hinten und brach in schallendes Gelächter aus, was ich erwartet hatte. Ich warf ihr trotzdem einen bösen Blick zu.
"Sorry, aber das kann ich mir so perfekt vorstellen, wie du total nass schreiend aufwachst und Luki sich den Arsch ablacht", brachte Mara unter ihrem Lachanfall raus. Ich fiel in ihr Lachen ein, auch wenn es mich immer noch aufregte. Als ein Lehrer kam und unser Klassenzimmer aufsperrte, gingen wir rein und setzten uns auf unsere Plätze. Da wir Französisch hatten und unser Lehrer meinte, dass Mara und ich zu viel redeten, saß ich jetzt auf der anderen Seite des Klassenraums wie Mara.
Als der Unterricht anfing, lenkte ich mich ab indem ich meinen Block mit unnötigem Zeug voll kritzelte, und mich anstrengte um nicht einzuschlafen. Als die drei Stunden vor der Pause (zwei Stunden Französisch und eine Stunde Musik) vorbei waren, trafen Mara und ich uns vorm Musiksaal.
"Opferpause?", fragte sie grinsend. Ich grinste zurück und antwortete: "Opferpause." Eine Opferpause war für uns in einem komplett verlassenen Gang - oder in einem Gang in dem die nervigen 5-Klässler rum rannte, schrien und die ganze Zeit über unsere Füße fielen - zu sitzen und zu reden. Diesmal suchten wir uns den Gang im Keller aus, wo wirklich nie jemand vorbei kam. Ich rutschte an der Wand runter auf den Boden und Mara machte es mir nach.
"Hab ich dir eigentlich schon erzählt, dass ich am Samstag auf einen Box Wettkampf geh?", fragte ich und grinste meine beste Freundin an.
"Nein, aber jetzt", lachte sie. "Machst du da mit oder schaust du zu?"
"Ich schau zu! Nie im Leben würde ich da mitmachen!"
"Warum?"
"Ich weiß nicht. Boxen ist nicht richtig mein Hobby, verstehst du? Es ist nur zum runterkommen." Mara nickte verständnisvoll.
"Jetzt mal ein ganz anderes Thema", fing Mara an. "Wenn du nicht darüber reden willst, versteh ichs. Aber ich kapier einfach nicht, warum der Typ von deiner Mum dich so behandelt. Ich meine, er kennt dich doch nicht und jeder normale Mensch würde versuchen, mit den Kindern seiner Freundin klar zu kommen oder?"
"Ja, ich weiß. Das hab ich mich auch schon gefragt. Vielleicht ist er aber auch einfach komplett böse." Mara warf mir diesen 'Dein Ernst?!-Blick' zu und schüttelte dann den Kopf.
"Was denn?", rief ich aus.
"Als ob er komplett böse ist", widersprach sie mir.
"Dann sag mir was anderes realistisches!" Konnte sie nicht mehr, da es in diesem Moment gongte und somit die Pause vorbei war. Zusammen liefen wir zu unserem Klassenzimmer und überlebten mit Mühe und Not die letzten drei Schulstunden.
Als ich zu Hause ankam, war niemand da, weshalb ich mich in mein Zimmer legte und Musik hörte. Irgendwann hörte ich ein paar Mal die Tür auf und zu gehen und später wurde ich zum Essen gerufen. Erst hatte ich keine Lust mit dem Typ und Mum zu essen, aber am Ende siegte dann doch mein Hunger. Als ich ins Esszimmer kam, machte ich mir nicht einmal die Mühe, höflich zu sein und die anderen zu begrüßen. Stephen saß neben meiner Mutter und ich setzte mich neben Luki, womit ich schön weit weg von ihm war.
"Hallo Layla!", begrüßte Stephen mich. Ich sah kurz auf, aber wendete mich dann meinem Essen zu, es gab Gulasch. Ich hasste Gulasch. Nach ein paar Happen wollte ich nichts mehr und schob den Teller von mir weg.
"Schmeckt's dir etwa nicht?", fragte Stephen und sah mich mit einem komischen Blick an, den ich nicht deuten konnte.
"Kein Hunger", antwortete ich knapp. Dann stand ich auf, schüttete das restliche Gulasch in den Topf, der vor mir stand und ging nach oben. Dort schnappte ich mir mein Handy und legte mich auf mein Bett.
Schon was vor heute? Ich will hier weg. , schrieb ich Mara. Nur ein paar Minuten später kam ihre Antwort.
Ne, magst du herkommen?
Ich schrieb zurück, dass ich gerne kam und wir verabredeten uns für drei Uhr. Als ich auf die Uhr sah, stellte ich fest, dass es halb zwei war. Leise schlich ich runter und stieg auf mein Fahrrad. Ich musste zuerst was essen gehen, weil ich vom Gulasch nur wenig gegessen hatte und noch immer Hunger hatte. Als ich am McDonalds ankam, kaufte ich mir einen riesigen Burger und eine kleine Packung Pommes. Nachdem ich alles aufgegessen hatte, schwang ich mich wieder auf mein Rad und fuhr zu Mara."Wo warst du wieder?" Ich kam gerade zur Tür rein als mein Arm wiedermal gepackt wurde. Was interessierte es Stephen immer, wo ich war? Ich drehte mich um und sah in diese funkelnden Augen. Ihr grün war genau das selbe wie das von meinen Augen. Momentan sahen sie nichtmal aggressiv aus und ich stellte mir vor, wie er nett war, mit einer Tochter schöne Sachen unternahm und ihr kein einziges Mal wehtat. Stephens fordernde Stimme holte mich dann aber wieder in die Realität zurück. "Du bist nicht so gesprächig, was?", sagte er. Nein, dieser netten Vater mit der Tochter existiert nicht. Ich schluckte und versuchte meinen Arm zu befreien. Zu meinem Überraschen lockerte er den Griff, ließ mich aber noch nicht los.
"Ich will wissen, wo du warst", wiederholte er.
"Mara", sagte ich knapp. Stephen nickte und ließ mich langsam los.
Ungefähr so ging das die ganze Woche lang, nur dass er mich nicht mehr fragte wo ich war. Aber ich verstand nicht wieso er mich so behandelte. Jedesmal wenn er versuchte mit mir zu reden, zerdrückte er meinen Arm und wunderte sich dann warum er keine Antwort bekam, oder er erzählte mir, dass mein Bruder ja bessere Manieren hatte und er sich noch Regeln für mich ausdenken musste. Regeln?! Und mittlerweile nervte mich mein Bruder auch schon mit seinem ach so tollen Benehmen. Außerdem stand er, genau wie meine Mutter, immer nur daneben wenn Stephen mir weh tat und sagte nie etwas. Ich wollte weg von meiner Familie, ich wollte einfach weg von hier..
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Aber er ist mein Cousin!
Romance'Daniel war gut aussehend, das Gegenteil von mir, und zwei Jahre älter. Er war beliebt, wieder das Gegenteil von mir. Und das wichtigste und schlimmste war, er war mein Cousin. Ich wusste also von Anfang an, dass ich nie eine Chance hatte...'