"Komm schon Liz, Mum möchte los", sprach mein Bruder sanft zu mir und strich mir über meinen Rücken. "Geh doch schonmal vor, ich brauch noch einen kurzen Moment", erwiderte ich matt und Han verließ mein Zimmer. In meinen Händen hielt ich eine Kette, ein silbernes Amulett, bei welchem man den kleinen Anhänger öffnen kann. Ich sah hinein und entdeckte dasselbe Bild, welches ich mir am Tag mindestens fünfmal ansah. Der kleine, verblasste Bildausschnitt meiner Eltern am Tag ihrer Hochzeit.
Erneut füllten sich meine Augen mit Tränen, denn der Tag an dem ich meinen Vater regungslos mit meinen 12 Jahren am Boden vorfand, vergrub sich in meinem Kopf wie tiefe Narben auf der Haut. Schnell wischte ich mir das Gesicht mit den Ärmeln meines oversized-Hoodies trocken. Das Amulett machte ich mir um den Hals während ich mein Zimmer ein letztes Mal musterte. Die hellrosa gestrichenen Wände mit kleinen Macken an den Stellen, an denen ich immer hängen blieb, als ich mit meinem Dad herumgealbert habe. Mein altes, viel zu kleines Bett, welches bei jeder Bewegung knarzte, oder mein Kleiderschrank, mit einer umwerfenden Auswahl an Klamotten die nie jemandem gefiel.
"Dad, falls du mich hören kannst, ich bin noch nicht bereit loszulassen", sagte ich während mir die Tränen die Wange herunterliefen und sich wie brennendes Feuer anfühlten, "ich muss jeden Tag an dich denken, ich will dich nicht zurücklassen. Du bist und bleibst mein Superheld. Bitte pass von oben auf uns auf und sorge dafür dass Mum glücklich wird".
Mit diesen Worten schloss ich die Tür zu meinem Kinderzimmer. Grade als ich einen Fuß vor die Tür setzte, hörte ich meine Mutter von unten rufen, "Liz, komm schon. Unser Flieger geht bald!". Ich warf den Kopf in den Nacken "Gott!" und ließ ihn kurz kreisen "ich komme verdammt". Seitdem Dad nichtmehr da ist, haben meine Mutter und ich kein so gutes Verhältnis mehr. Sie meint ich wäre egoistisch und würde rein aus meinem Bauch heraus handeln, wobei sie der totale Kontrollfreak ist. Dad sagte mir immer ich solle auf mein Bauchgefühl hören und das tue ich. Ich bin eben nichtmehr die kleine, süße Liz die damals alles hat mit sich machen lassen, ich bin eine starke, selbstbewusste Frau. Jedenfalls versuche ich das zu sein.
Fake it 'til you make it.
Als ich an den Treppen angekommen war sah ich meinen Bruder an und kniff meine Augen leicht zusammen. Er tat es mir gleich und wandte seinen Blick von mir ab als er zur Haustür sah.
Ich begab mich schonmal in die Position, gleich den heftigsten Sprint meines Lebens abzulegen.
"Shotgun ich sitz vorne!", brüllte ich und rannte in Richtung Auto. Mein Bruder war vielleicht größer, aber ich war nunmal geschickter und schneller. Sofort riss ich die Tür auf und setzte mich auf den Beifahrersitz, während ich meinem Bruder die Zunge rausstreckte und loslachte. Mein Bruder war die einzige Person, zu der ich ehrlich war und dies auch sein wollte. Er versetzte mir einen leichten Klaps auf die Schulter "Das nächste mal sitz ich vorne, Schwester", zischte er. "Dann musst du halt schneller sein", kicherte ich."Reißt euch zusammen", ermahnte uns meine Mutter, woraufhin ich nur die Augen verdrehte "Nie dürfen wir Spaß haben", murmelte ich. "Wie war das?", "Nichts, ich freue mich auf New York", gab ich angewidert wieder.
Meine Mutter fuhr los in Richtung Autohaus. Wir haben unser Auto verkauft, weil ihr neuer Lover scheinbar so viel Geld haben muss, dass er ihr ein neues schenken kann. Wir hatten noch nie besonders viel Geld, aber wir konnten uns definitiv über Wasser halten. Nachdem wir unser Auto also abgegeben hatten, war somit alles von Dad erloschen, an dem ich noch von ihm festhalten konnte. Mit dem Amulett fest in meiner Faust geballt, setzte ich mich in das Auto von unserem Uber und wir fuhren somit los zum Flughafen. Ein letztes Mal Seoul, ein letztes Mal anständige Gesellschaft sehen und ein letztes Mal an jeder Ecke leckeres Essen finden.
Meine Mum strahlte über beide Ohren als sie auf ihrem Handy herumtippte. Wahrscheinlich schrieb sie gerade mit ihrem Freund. Manchmal wünschte ich mir auch nicht so alleine zu sein, jemanden zu haben der einen wirklich schätzt und dies auch zeigt.
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ME, MYSELF & YOU
RomanceMein Name ist Liz Choi-Smith. Nachdem meine Mutter ihren aktuellen Partner zum Ehemann nahm, schliff sie meinen Bruder Han und mich um die halbe Welt um Jasper in dieser hässlichen, von primitiven und egozentrischen Arschlöchern umgebenen Stadt New...