10.

1 0 0
                                    

Durch die Blätter des Waldes sah ich sie. Blutrote Haare. Ich war durch die vielen Bäume gut versteckt, weshalb sie mich erst nicht bemerkte. Sie sah sich um, so als wüsste sie, dass ich hier irgendwo sein musste. Ich wollte sie besser sehen und trat ein wenig an sie heran. Durch das Rascheln des Laubs bemerkte sie mich. Ihre Augen weiteten sich und sie blickte mich auf einmal direkt an. Ihre dunkelblauen Augen sahen mir direkt in die Seele. Ein paar Sekunden starrten wir einander nur an, bis sie dann mit ein paar vorsichtigen Schritten auf mich zu lief. So als hätte sie Angst vor mir. Als sie mir gegenüber war blieb sie stehen. „Wie ist dein Name?", fragte sie. Ich konnte weder ihre Absichten noch ihre Einstellung mir gegenüber erraten. „Harry Bauer." Ich war niemand dessen Identität gewahrt hätte werden müssen, auch wenn sie mir alles andere als vertrauensselig wirkte. „Du vertraust mir ohne Hintergedanken deinen Namen an?", gab sie spöttisch zurück. Wieso fragte sie, wenn sie nicht davon ausgegangen war, dass ich ihr tatsächlich antworten würde? „Ich habe nichts zu verheimlichen. Wieso sollte ich mir die Mühe machen meine Identität zu verbergen?" Nichts in ihrer Mimik veränderte sich, doch ich konnte etwas in ihren Augen aufblitzen sehen, was ich nicht zuordnen konnte. „Und wie ist dein Name?", gab ich die Frage zurück. Entweder hatte sie mich nicht gehört oder sie ignorierte die Frage einfach, denn sie drehte sich ungehindert um und lief davon. Ich tippte auf das Zweite. Nettes Mädchen. Während ich ihr dabei zusah, wie sie sich langsam von mir entfernte, rief sie mir noch zu, ich sollte mich bereit machen, mein Heim zu verlassen. Ohne mir eine Möglichkeit zur Antwort zu geben, lief sie einfach weiter. In mir wuchs eine solche Wut auf sie, dass ich die Hände zu Fäusten ballte. Wieso genau wusste ich selber nicht.

Ich öffnete die Augen und fand mich in meinem Bett wieder. Das Bettlacken hatte mehrere Löcher, aus denen das Stroh hervorquoll. Wie automatisch stand ich auf und lief aus meiner Hütte. Ich dachte immer noch an diesen merkwürdigen Traum. Der Geruch von Kuhfladen gab mir ein heimisches Gefühl. Ich lief an den Ställen vorbei und streichelte kurz Maximilian, mein Lieblingspferd und gab ihm einen Apfel. Maximilian verschlang ihn schnell, worauf ich lächeln musste. „Braver Junge", flüsterte ich und ging dann weiter. Am Gemeinschaftsbrunnen wusch ich mein Gesicht und merkte erst da, dass ich meinen Eimer vergessen hatte. „Verdammt." Dieser Tag startete mal wieder super. Auf halben Weg zurück kam mir Camille entgegen. Sie war meine Kindheitsfreundin und würde meine Frau werden. Sie war wunderschön, auch wenn sie einige Narben am Körper, sowohl wie im Gesicht hatte. Sie war die schönste Frau der Welt für mich. Ihr Vater ließ sie spüren, wie unglücklich er darüber war, welch ein Leben sie führen mussten. Die Mutter war bei der Geburt verstorben, weshalb er alleine sie und ihren kleinen Bruder versorgen musste.

Eines Tages würde ich sie heiraten und aus diesem Haus retten. Das hatte ich mir geschworen.

„Harry...könntest du mich in die Stadt bringen?", fragte sie mit ihrem Bittgesicht, von dem sie wusste ich könnte nicht widerstehen. „Ich war durch das Erbe eines Verwandten, den ich nie kennen gelernt hatte, der einzige Besitzer in der Gegend mit einem intakten Karren. „Meinetwegen. Ich fahre in einer Stunde los. Wir treffen uns an der Wegkreuzung am Sägewerk." Sie nickte kurz und verschwand vor sich hinsummend. Ich spürte eine Wärme in mir und musste lächeln.

Camille hatte sich ihr safrangelbes Kleid angezogen, dass sie sich zu ihrem 18. Geburtstag von einem Geld kaufte, von dem ich weder wusste, woher sie es hatte, noch wollte ich es wissen. Zusätzlich roch sie stark parfümiert. Veilchen und Jasmin, wie sie mir erklärt hatte. Neben ihr kannte ich niemanden, der Parfüms trug. Einige Frauen badeten traditionell vor der Hochzeit in Rosenwasser, doch ansonsten wurde kaum auf den Geruch geachtet. Als ob wir nicht wichtigere Sorgen hätten, hatte meine Mutter sich beschwert. Sie mochte Camille, doch seit ich ihr davon erzählt hatte war sie ihr gegenüber misstrauisch. Ich war es auch, doch ich wollte die Beziehung zwischen uns nicht aufs Spiel setzen, also beließ ich es dabei.

ErbsündeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt