Hier mal ein bisschen was aus Aimées Gedanken :)
Zu Hause, in meiner kleinen Wohnung in dem Komplex mit den Studentenwohnungen, angekommen, ziehe ich sofort meine Jacke und meine Schuhe aus und werfe mich auf mein Bett. Der Tag ist viel zu anstrengend gewesen. Mein Kopf schmerzt, meine Ohren piepen wieder einmal und ich bin müde. Nur, um meinen Rucksack abzustellen und meine Hände zu waschen, stehe ich noch einmal auf.
Meine winzige Wohnung gleicht vom Aufbau her eher einem größeren Hotelzimmer. Ich habe ein Bett, ein Badezimmer mit Dusche und eine winzige Küchenzeile mit Mikrowelle, Wasserkocher und Kühlschrank. Aber das reicht mir. Lieber wohne ich auf so eine Art und Weise alleine, als mir eine WG mit anderen Menschen teilen zu müssen, die womöglich alle total extrovertiert und verrückt nach Partys
Als ich meine Hände wasche, betrachte ich mich kurz im Spiegel. Augenringe habe ich sowieso, weil ich in den letzten drei Nächten aufgrund von Nervosität und Albträumen kaum mehr als jeweils vier oder fünf Stunden geschlafen habe. Aber ich bin auch blass und sehe allgemein müde aus. Ich meine, ich bin auch müde. Und als ich den Wasserhahn abstelle und gerade die Ärmel meiner Bluse wieder hinunterziehen will, fällt mein Blick auf meine mittlerweile nur noch ganz dünnen, weiß verkrusteten Narben.
Ich bin wieder in so einem konfusen, seltsamen Zustand, wie damals. Und sogar die einfachsten Dinge sind für mich zu schwer gewesen. Zur Vorlesung und zur Bibliothek. Eigentlich schafft das doch jeder normale Mensch ganz einfach - nur ich bin wieder einmal zu schwach, zu schnell überreizt. Ich bin wieder falsch.
Seufzend gehe ich wieder zu meinem Bett, stolpere dabei fast über meinen Rucksack und einen der Umzugskartons, der noch mitten im Zimmer herumsteht. Ich schließe einmal kurz meine Augen, das Piepen in meinem Kopf wird aber nicht weniger. Also lasse ich mich einfach auf mein weiches Bett fallen und kuschele mich in meine Bettdecke.
Meinen Kopf vergrabe ich an dem Kissen und langsam spüre ich, wie meine Nase beginnt, zu laufen und meine Augen sich von innen mit Tränen füllen. Ich darf nicht schon wieder heulen. Ich soll es nicht, weil es einfach nur noch erbärmlich ist, dass mich ein einfacher Tag wie dieser so sehr fertig macht, dass ich schon um kurz vor vierzehn Uhr heulend in meinem Bett liege. Es ist schlimm. Unangenehm.
Und dann muss ich auch noch an die Worte meiner Professorin heute denken. Sie erwartet von uns, dass wir Einsatz und Interesse zeigen, dass wir uns anstrengen und dass wir uns nicht nur eingeschrieben haben, weil wir es 'mal ausprobieren' wollen. Außerdem die Tatsache, dass 30% aller Studierenden ihr Physikstudium innerhalb des ersten Semesters abbrechen. So wie ich in diesem Moment in meinem Bett liege, meine Knie eng an meinen Körper gezogen. Und ich mit Tränen in den Augen die Wand anstarre unf fürchte, dass ich eine der vielen Personen sein werde, die nicht einmal das erste der sechs Semester schafft.
Ich bin doch viel zu schwach und viel zu überfordert, um volle Leistung zu erbringen. Was dachte ich mir nur dabei, in eine Großstadt zu ziehen und ein Studium zu beginnen? Ich hätte auch weiter in unserer Kleinstadt in der Nähe von Oranienburg leben und langsam aber ganz gewiss versauern können.
***
Einen Tag später geht es mir immer noch nicht sonderlich besser. Ich bin mit Kopfschmerzen aufgewacht und das allererste, was ich zu Gesicht bekommen habe, ist das Chaos in meiner kleinen Wohnung gewesen. Die nicht fertig ausgepackten Umzugskartons, die ganzen Hefte, Physikbücher und andere Dinge, die herumliegen. Schon beim Aufstehen bin ich überfordert. Aber wenigstens heute, wenigstens am Donnerstag, habe ich einen freien Tag und dementsprechend Zeit, um aufzuräumen. Oder immerhin hätte ich das.
Ich stehe mit meiner Kaffeetasse in meinen zitternden Händen an meinem kleinen Küchentisch, an welchem nur zwei Menschen Platz finden und betrachte die Umzugskartons. Eigentlich fühle ich mich viel zu müde und zu schwach, um alles auszupacken und in die Regale und Schränke einzuräumen, aber ich muss. Ansonsten würde mein Leben jetzt schon, in den ersten wirklichen Tagen hier in Berlin, den Bach hinuntergehen.
Und egal, wie erschöpft ich bin, egal wie sehr mein Kopf schmerzt und ich mich zu nichts fähig fühle, will ich das nicht. Außerdem muss ich mich sowieso wieder ein wenig zusammenreißen. Immerhin steht am nächsten Morgen schon die nächste Vorlesung an. Dann starten wir richtig in das Thema, die Einführung in die moderne Physik, ein. Und ich will keinesfalls fehlen.
Denn ich kann mir vorstellen, dass es vor allem bei Prof. Dr. Taghavi nicht gut ankommt, wenn man häufig und über einen längeren Zeitraum fehlt.Nach dem Aufräumen, was bis kurz nach fünfzehn Uhr gedauert hat, liege ich wieder auf meinem Bett. Ich höre bewusst keine Musik oder ein Hörbuch. Ich höre mir die Hintergrundgeräusche an, welche durch das Fensterglas hindurch aus den Straßen der Großstadt an meine Ohren dringen.
Autos hupen, hin und wieder die Sirenen von Krankenwagen und Polizei. Und manchmal höre ich auch die Gespräche der Personen draußen, die an dem Wohnkomplex vorbeigehen und sich über irgendetwas unterhalten. Manchmal sind es andere Studierende, deren Gespräche oft von Vorlesungen, anstrengenden Prüfungen oder Studentenpartys unterhalten. In anderen Momenten, vor allem am späten Nachmittag, gehen auch ältere Personen vorbei. Meistens, weil sie in den Läden um den Wohnkomplex herum einkaufen waren.
Ich höre unterschiedlichste Menschen, die über die verschiedensten Themen sprechen. Manche unterhalten sich auf Englisch, manche auf Französisch. Das kann ich zuordnen. Einige Personen sprechen Sprachen, bei denen ich rate, welche es wohl sein könnte. Oft sind es Sprachen wie Türkisch, Russisch, Spanisch oder Arabisch. Manchmal auch Sprachen, die ich gar nicht zuordnen kann.
Und ich liebe es, einfach in meinem Bett zu liegen und der Geräuschkulisse der Stadt zuzuhören. Solange ich nicht selbst in ihr gefangen bin, gibt es für mich nichts Schöneres, als das Leben der Stadt zu hören - die Menschen, die vielen verschiedenen Sprachen und Kulturen. Die verschiedenen Themen, die den Menschen ganz individuell wichtig sind. Und ich, oft müde und kurz davor, salzige Tränen auf dem Stoff meiner Bettwäsche zu vergießen, höre kleine Ausschnitte aus diesen Gesprächen. Auch, wenn ich manche der Sprachen nicht einmal verstehe.
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Andromeda
RomanceAimée ist schon immer eher introvertiert und sensibel, konnte sich nur schwer an neue Lebensumstände anpassen und ist von vielen Dingen überfordert. Trotzdem beginnt sie nun, mit 20 Jahren, ein Physikstudium an einer Universität in Berlin. Physik zu...