„Nimm dir doch noch was von dem Flan." Césars Mutter reichte Linus einen weiteren kleinen Teller, auf dem der Pudding thronte und über den sich die Karamellsauce ergoss. Linus griff zu. Er konnte einfach nicht nein sagen, auch wenn er bis zum Platzen satt war. Césars Mutter, eine kleine kräftige Spanierin, hatte sich in der Küche so viel Mühe mit dem Weihnachtsessen gegeben und sie hatte sich gefreut, dass sogar noch ein Gast mehr an ihrem Tisch Platz nahm, als César ihn einfach unvorangekündigt hier mit angeschleppt hatte. Ja, die Noche buena war in Spanien ganz anders als in Deutschland der Heiligabend. Hier ging es nicht um eine Geschenkeschlacht wie in den meisten deutschen Haushalten. Nein, hier in Spanien ging es darum, nett beisammen zu sitzen und gut zu essen. Und das gut essen war nicht nur ein geflügelter Begriff, sondern eine Tatsache. Linus hatte bereits sieben Gänge hinter sich gebracht und so wie es aussah, war der Flan noch nicht der letzte, denn Césars Mutter verschwand schon wieder in Richtung Küche. „Du musst nicht so ängstlich schauen", grinste ihn César breit an, der wohl Linus Blick bemerkt hatte, der seiner Mutter gefolgt war. „Sie holt jetzt nur noch das Turrón." Turrón! Das war diese leckere Süßigkeit aus Nougat. Also so richtigem Nougat, nicht dieses komische braune Zeug, das man in Deutschland in irgendwelche Schokolade manschte. In Linus Mund lief schon bei dem Gedanken daran das Wasser zusammen und er begann schnell denn Flan aufzulöffeln. „Was machst du denn morgen?" Césars Vater hatte sich ihm zugewandt. „Ich muss abends arbeiten. Sowie heute auch." Sein Blick fiel zu seiner Uhr am Handgelenk. Er hatte noch ein paar Stunden Zeit, bis er anfangen musste. Heute war die Bar erst sehr spät geöffnet, dafür aber mit Sicherheit ziemlich lange bis in den Morgen hinein. Was wohl gerade Ina und Natascha machten? Wahrscheinlich saßen sie bei Genia unter dem Weihnachtsbaum und packten ihre Geschenke aus. Jedenfalls hoffte Linus das. Bei dem Gedanken, dass die beiden ganz alleine in der Villa saßen, rührte sich in ihm etwas, was sich nicht nur nach einem kleinen schlechten Gewissen anfühlte. Nein, das würde garantiert nicht passieren. Dafür würde Inas Mutter und sein Kumpel Luca schon sorgen. Das würden sie niemals zulassen. Andererseits, was war, wenn sie gar nichts von seinem Verschwinden wussten, weil Ina es ihnen nicht gesagt hatte. Das lag durchaus auch im Bereich des Möglichen. Manchmal hatte sie einen völlig deplatzierten Stolz. Es wäre schon möglich, dass sie das alles vertuschen wollte, so wie sie es von ihrem Vater gelernt hatte. Dieser Kerl war ein echter Mistkerl gewesen, den es nie um das Glück seiner Töchter gegangen war. Nein, ihm war es nur immer um sein Ansehen gegangen. „Dann kommst du morgen aber wieder zu uns zum Essen." Césars Vater wandte sich an seinen Sohn. „Du sorgst dafür, dass er hier morgen Abend wieder mit am Tisch sitzt." So bestimmt wie er das sagte, stand nicht in Frage, wer hier in der Familie das Sagen hatte. Auch alle anderen am Tisch nickten nur. „Ja, du musst morgen unbedingt wieder kommen. Mamas gegrillter Fisch und das Lamm sind einfach unglaublich", schwärmte ihm Césars jüngere Schwester vor. Auch ihr Mann nickte sofort zustimmend, genau wie der ältere Bruder und seine Frau. Linus war sich hier am Tisch vom ersten Augenblick an vorgekommen, als gehörte er einfach dazu. Das war auch so etwas.....diese unglaubliche Gastfreundschaft der Spanier. Ein Grund warum er sich hier in Barcelona so wohl fühlte. Alles war so viel leichter, viel weniger verkniffen. Hier fühlte er sich immer absolut frei. Er musste an die Weihnachtsfeste zu Hause in Hamburg denken. Seine Eltern hatten sich auch immer Mühe gegeben, etwas Besonderes für ihn und seine Schwestern auf die Beine zu stellen. Auch wenn das Geld manchmal knapp war, hatte jeder von ihnen einen seiner Wünsche erfüllt bekommen. Und seine Mutter hatte immer eine große Gans auf den Tisch gebracht. Damals war Linus gar nicht klar gewesen, dass sie dafür extra Überstunden gemacht hatte. Er musste nachher unbedingt noch bei ihnen anrufen. Vielleicht ....nein sicher konnten sie ihm dann auch die Nummer von Ina geben. Er hatte mittlerweile genug Abstand bekommen, um mit ihr auch zu sprechen. Wahrscheinlich würde sie wütend reagieren. Das war auch ihr gutes Recht nach seinem Abgang. Trotzdem musste er ihr seine Gründe erklären, damit sie ihn verstand und auf ihn wartete.....okay, vielleicht nicht alle Gründe. Er wollte einfach nicht über damals sprechen. Aber er wollte ihr schon versichern, dass er zu ihr zurückkam, sobald es ihm wieder richtig gut ging und er stabil war. Denn es ging ihm wirklich schon viel besser. Er hatte seine Albträume hier definitiv abgeschüttelt. Er wollte sich nur noch sicher sein, dass das auch so blieb. „Was schaust du so nachdenklich? Weißt du nicht, welches Stück Turrón du nehmen sollst?" César stupste ihn mit seinem Ellbogen in die Rippen. „Nein, ich habe nur gerade an meine Familie gedacht." „Hast du sie schon angerufen und ihnen feliz Navidad gewünscht?", mischte sich Césars Mutter ein, die gerade die Platte mit dem Turrón vor ihnen abgestellt hatte. Linus schüttelte seinen Kopf. Sofort fing sie an mit ihrer Hand Richtung Tür zu wedeln. „Dann mach das jetzt sofort. Deine Mutter wird schon warten." Ihre Stimme duldete keinen Widerspruch. „Ich hebe dir was von der Leckerei auf", zwinkerte César ihm zu. „Da würde ich mich bei dem Fresssack nicht darauf verlassen.", lachte seine Schwester als Linus aus dem Raum verschwand. Als er vor der Tür stand, umgab ihn eine milde Luft. 15 Grad schätzungsweise. Ob in Deutschland wohl Schnee lag? Seine Mutter hoffte jedes Jahr darauf und war in Hamburg fast immer auf verlorenem Posten. Vielleicht sollte er sie nächstes Jahr mal in die Berge einladen. Vielleicht in die Pyrenäen, wenn er noch hier war. Wollte er so lange bleiben? Nein, wahrscheinlich nicht. Dazu fehlte ihm Ina viel zu sehr. Linus zog sein neues Handy aus der Tasche und wählte die Festnetznummer von seinen Eltern. In der Leitung tutete es......
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Schuss und Treffer - in der zweiten Mannschaft ✔️ Teil 13
RomanceLinus und Ina sind schon seit zwei Jahren ein Paar. Gemeinsam führen sie das Bauunternehmen von Inas Vater, der seit seinem Herzinfarkt ein Pflegefall ist. Für Ina war der Weg in die Firma schon von kleinauf vorgezeichnet. Linus hatte sich sein Lebe...