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Sie ging die dunkle Gasse entlang. Dann die nächste. Überquerte Straßen. Hörte Autos hupen, als sie einfach über eine rote Ampel ging. Sie ging an zerbrochenen Gasflaschen, Erbrochenem und Zigarettenstummeln vorbei.

Manchmal auch an Menschen. Aber eher selten. Dealern, Hausfrauen, Bauarbeitern, Anzugtypen. Entweder sahen diese demonstrativ weg oder gafften sie an. Doch sie ging einfach weiter. Ließ sich nicht beeinflussen. Egal von wem.

Ihr Magen knurrte. Sie hatte für lange Zeit nichts mehr gegessen. Sie konnte sich nichtmal an ihre letzte richtige Mahlzeit erinnern. Doch das juckte sie aber auch nicht im geringste. Sie war erschöpft. Hatte seit Tagen nicht mehr geschlafen. Aber bloß keine Pause machen. Nichts essen und nichts trinken.

Sie sah an sich herab. Abgemagerter Körper, langes, braunschwarzes, strähniges Haar und ihre löchrigen Converse. Seit einiger Zeit, sie wusste nicht mehr wie lange schon, trug sie ein T-shirt mit komischen Zeichen und eine Weste, um ihre Narben zu verdecken.

Seit Monaten machte sie sich schon nicht mehr die Mühe ihr blasses Gesicht zu schminken. Die dunklen Augenringe mit Concealer abzudecken, oder die grünen Augen, die immer so lebendig gewirkt hatten, zu betonen. In ihrem Gesicht wirkten sie müde, fast schon tot. Obwohl es Mitte Sommer war, war sie relativ warm angezogen.

Aus ihrer löchrigen schwarzen Jeans, die mit Schmutzflecken übersät war, holte sie ihr Iphone heraus. Es hatte schon definitiv bessere Zeiten gesehen. Sie checkte ihr Handy. "Hat jemand etwas geschrieben, um mich davon abzuhalten?" Nein. Niemand. Wer sollte ihr auch schon schreiben? Sie öffnete sich niemanden mehr und hat sich die letzte Zeit von ihren anderen Freunden distanziert. Von Freunden konnte man aber nicht reden, schließlich kannten diese nichtmal ihren echten Namen.

Sie hatte viele Namen. Mal nannte sie sich Mondmädchen, mal Limbo, sogar Lulu nannten einige Menschen sie. Doch niemand kannte ihren richtigen, echten Namen den ihre Eltern ihr gegeben hatten. Niemand, bis auf eine Person. Die wichtigste Person in ihrem Leben. Zumindest war derjenige es mal. Bevor er starb.

Normalerweise hatte sie kein Ziel. Streifte einfach so durch die Gassen. Blieb nicht stehen. Doch heute hatte sie eins.

Als sie es erreichte hielt sie kurz inne. Sie schwang sich über das Geländer und stieß laut Luftt aus. Höher als sie dachte. Aber das machte nichts. Schmerz war sie gewohnt. Für sie stand er an der Tagesordnung. Es war ihr egal woher der Schmerz kam.

Sie zögerte einen Moment, rief sich die Gesichter der Menschen in Erinnerung, die sie vermissen würden. Nicht viele. Sie bedeutete nur wenigen Menschen etwas. Sah ihren besten Freund. Taddl. Wie würde er reagieren? Ihre Eltern. Würden sie weinen? Traurig sein? Zuletzt sah sie sein Gesicht. Das Gesicht, dass sie hoffte wiederzusehen. Das Gesicht ihrer wahren Liebe. Sie sah hinunter. Sah den Fluss, der sie zu ihm brachte. Sie hörte das Rauschen des Wassers. Sie mochte Wasser immer schon. Doch heute würde es ihr den Tod bringen. Sie schauderte kurz. Nicht vor Kälte. Vor Angst. Doch dann dachte sie wieder an ihn. Seine Haare, sein Geruch, seine Stimme, sein Charakter. Sein Unfall. Plötzlich wusste, dass sie das richtige tat.

Bevor sie von der Brücke sprang flüsterte sie: "Es tut mir so leid, dass ich nicht rechtzeitig da war. Bis gleich, Ardy. Ich liebe dich. Für immer! "

Viele Namen - Luna Darko (kitthey) ONE SHOTWo Geschichten leben. Entdecke jetzt