In Redsbury gab es fünf Häuser.
Eingepfercht zwischen zwei unergründlich tiefen Seen und einigen mächtigen mit Nadelbäumen bewachsenen Bergen, war das Dorf wohl das Fleckchen Erde, welches man als das „Ende der Welt" bezeichnen konnte. Kurz, bevor man herunterfällt. Denn der Ikigai, der größere der beiden Seen, war so riesig, dass man nicht einmal sehen konnte, was er hinter dem Horizont verbarg. Der Midnight Lake, war der ruhigere der beiden Seen und die einzige Verbindung zur Stadt Snuggford, in der wieder eine normale Zivilisation herrschte. Mit einem Motorboot dauerte es eine gute halbe Stunde, bis man die Stadt erreichte und während der gesamten Zeit sah man nichts anderes als Berge. Berge links, Berge rechts und sowohl vorne als auch hinten blaues Wasser, das sanfte Wellen schlug.Redsbury war einer der Beweise dafür, dass man doch wirklich überall auf der Welt Menschen finden konnte und diese Menschen mit ihren Häusern in diesem Dorf konnten nicht unterschiedlicher sein. Nur durch einen perlmuttfarbenen Strand vom Midnight Lake getrennt, war das erste und wohl auch das beeindruckendste, was man aus der Ferne sehen konnte, eine gewaltige Villa, die dem neureichen Milliardär Chandler Cummings gehörte. Seit seine Frau Charlotte wohl auf sehr eigenartige Weise ums Leben gekommen war, lebte er allein in den dunklen Gemäuern und ließ sich alle zwei Monate eine neue Ladung vom Carmen's Cognac schicken, der edelste seiner Art, wie man unter Kennern sagte.
Seine beiden Söhne Chester und Chase, würden das Anwesen und den ganzen Reichtum bald erben, wenn der müde Chandler nicht bald aufhörte sich aus lauter Kummer ständig zu betrinken.
Der Efeu, der sich ungezügelt an den grauen Mauern hoch hangelte, entsprang einem kleinen Gärtnerhäuschen, direkt nebenan, wo der gescheiterte, aber gutherzige Börsenmakler Maddox Priest lebte, der den Durchbruch vielleicht geschafft hätte, wenn durch ihn der Staat nicht zweimal fast in eine Wirtschaftskrise geraten wäre. Beim zweiten Mal war es angeblich so knapp gewesen, dass nur ein Zauber den Staat vor dem Bankrott bewahrt hatte. Nun züchtete Maddox Begonien und Lilien, was die Bevölkerung beruhigt aufatmen ließ. Noch einen Zauber würde es wohl nicht geben.
Addie hingegen glaubte nicht an irgendwelchen Hokuspokus. Entweder funktionierten die Geschäfte oder nicht und sie brauchte das Glück wohl am meisten, denn ihr Geschäft war der Tod. Ein äußerst dankbarer Beruf, denn er brachte pro Auftrag eine große Summe Geld und willkommene Abwechslung in den Alltag. Die junge Frau wohnte im dritten Haus, das blutrot und in einem kanadischen Stil gebaut war. Es schützte sie zweifellos vor dem Rest der Welt, wenn das nicht schon ihr wuschelig weicher Hund Higgins tat. Er wohnte im vierten Haus. Die Hundehütte mit dem blauen Dach war Higgins ganzer Stolz und er bewachte sie Tag und Nacht, wenn er nicht bei der schwerhörigen alten Eliza war und auf ihre wollig weichen weißen Alpakas aufpasste. Sie wohnte im fünften Häuschen und hatte eine kleine Farm auf der Alpakas, Hühner, Gänse und ein kleiner schwarzer Kater herumliefen.
In der Mitte des Dorfes befand sich ein kleiner Brunnen und um den Dorfplatz herum standen zwölf Eichen, alle fast kahl seit der Herbst gekommen war.Eliza hegte und pflegte ihre Farm so gut es ging, aber sie war inzwischen so alt, dass sie die meiste Zeit vor ihrem alten Ofen saß und ins Kaminfeuer starrte. Um sich nicht unbeliebt zu machen übernahm Addie stets ihre Einkäufe und jedes Mal, wenn die Brünette zurückkam, um ihr Geld wiederzubekommen, begutachtete Eliza mit ihren schwachen Augen die Quittung und beschwerte sich lautstark, wie teuer alles geworden sei.
„Fünf Dabloons für eine Packung Weintrauben und zwölf für Milch und Käse! Die Inflation lässt uns nicht in Ruhe, ob der Maddox was damit zu tun hat?"
„Maddox arbeitet nicht mehr an der Börse, er züchtet Blumen, Eliza."
„Ach ja, richtig... kleine Addie kannst du mal nach meinen Rosen schauen? Meine Blümchen haben immer großen Durst."
Jede Woche, immer.
Jedoch war es zu Addies Vorteil, denn Eliza hatte sie so gern, dass sie der hübschen Mörderin jede Woche entweder ein frisches Brot oder ein paar Socken aus Alpakawolle schenkte.Heute war wieder so ein Tag, aber mit einer kleinen Abwechslung, denn in ein paar Stunden gab es Weihnachtsgeschenke. Addie saß mit Eliza in der kleinen Küche auf der Alpakafarm und bereitete das Weihnachtsessen vor, während aus einem kleinen Radio etwas kratzig Musik ertönte.
Als die Beatles gerade anfingen „Michelle" zu singen, schaute Eliza verwundert zu Addie