Steingesichter. Vom Fallen und Fliegen

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Duvel erinnerte sich nur noch vage an seine Anfänge.

In dem einen Moment war alles dunkel, kalkig und kühl.

Dann ein rhythmisches Hämmern, das ihn bis ins Tiefste durchgerüttelt hatte.

Ab dem Moment wusste er, was Helligkeit war und er all die Zeit vermisst hatte. Er brauchte Jahrzehnte, um Bezeichnungen für die Zeiten, wenn die Welt rund um ihn so düster wurde wie zu Beginn. Doch die Nacht hasste er immer schon. Da er nun wusste, was Licht war, ertrug er die Dunkelheit nicht. Die Welt vor ihm war so groß, hell und bunt. Er wollte keinen Moment mehr verpassen.

Tagsüber saugte er alles, was er wahrnehmen konnte, in sich auf. Ein Steinkopf zu sein, schränkte seinen Bewegungsraum stark ein, aber er machte das Beste draus. Sein Reich umfasste eine gepflasterte Schlucht. Seine Bewohner und andere Gehende fanden sie wohl zu eng, da keine zwei ihrer motorisierten Zweiräder oder eine Gruppe aus kleinen und großen Gehenden auf einmal durchpassten. Zumindest standen sie oft und schrien sich in ihrer Sprache an. Duvel kam die Schlucht unüberwindbar und Meilen entfernt vor. Am Ende von ihr war ein gepflastertes Haus, ähnlich, wie er sich sein eigenes vorstellte. Giebeldach mit süßen, runden Wipfeln, Fassade aus rötlich-braunen Rechtecken und viele, hohe Fenster. Der einzige Unterschied, ihn überwucherten keine grünen Schlingpflanzen. Das würde er spüren. Die Blätter sahen aus, als würden sie kitzeln, sobald sie sich im Wind bewegten. Das schönste Steingesicht, das er je erblickt hatte, wachte über das Haus. Runde Backen, volle Lippen und zu Locken erstarrte Gesteinsfrisur.

„Glaubst du, wir sind kitzelig?", sprach er seine innere Frage laut aus. Dieser folgten sofort Tausend andere: Wie fühlte sich das an? Konnte Stein kitzelig sein? Was war das überhaupt?

Eine Stimme, die er besser kannte als seine eigene, brummte: „Noch nie drüber nachgedacht. Was du für Gedanken wieder hast."

Donderwolk bewachte das Haus direkt neben seinem und existierte, soweit Duvel das beurteilen konnte, ebenso lange wie er. Und ebenso lange hörte er das Brummen, das nicht wagte, zu träumen. Ebenso lange hatte er keinen Blick auf den werfen können, der ihm am wichtigsten war. Oder zweitwichtigsten.

Wie von selbst ging sein Blick zu Pausbäckchen, wie er den Steinkopf betitelte. Ein Gespräch konnten sie über den Graben nicht führen. Er hatte es versucht.

„Du kannst nicht ein Gespräch mit so einer aberwitzigen Frage eröffnen und nicht weiterreden", schimpfte Donderwolk.

„Kann ich sehr wohl", hielt Duvel automatisch dagegen. Auch wenn es in seinem Magen trippelte. Aber vielleicht waren das auch nur seine Bewohner.

„Kannst du nicht!"

„Wohl."

„Nicht!"

„Wohl."

Ein Seufzen wie vor einem Weinanfall des Himmels. „Hat ... Pausbäckchen heute zu dir geschaut?" Donderwolk wusste wirklich zu treffen, wo es wehtat.

„Nein." Hätte Duvel es gekonnt, er hätte seinen Kopf hängen lassen.

Sein Gefährte grummelte etwas Unverständliches, bevor er fragte: „Hast du nicht noch eine deiner unsinnigen Fragen?"

Duvel wusste, was Donderwolk vorhatte. Aber er ließ ihn. Auch, weil er nicht jeden Tag die explizite Erlaubnis hatte, ihn mit Fragen zu löchern. Auch wenn er die brennendste nicht stellte: Fragst du dich auch so oft, wie ich aussehe, wie ich mich über dein Gesicht wundere? Das hätte vielleicht zu einer langen Stille geführt, die er nicht aushielte.

„Können wir etwas anderes werden, als wir jetzt sind? Oder sind wir dazu verdammt, Steingesichter auf Häusern zu bleiben?"

„Ich bereue das jetzt schon", murrte Donderwolk, aber Duvels Laune hob sich.

Steingesichter. Vom Fallen und FliegenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt