Schrei

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Zwei Wochen. Es ist zwei Wochen her, dass Lily mich mit Tränen in den Augen und einer Nachricht, die ihr Leben für immer verändern sollte, geweckt hat. Zwei Wochen. Ich habe zugesehen wie das Licht aus ihren Augen und die Farbe aus ihrer Haut verschwunden ist. Zwei Wochen lang. Sie ist wie ein Zombie - schlurft von einer Klasse zur nächsten. Zwei Wochen lang. Sie spricht nur, wenn man sie anspricht und manchmal nicht einmal dann.
Ich gehe zum Unterricht und mache meine Hausaufgaben. Ich komme meinen Pflichten als Schulsprecher nach und lerne für meine UTZ. Aber egal was ich tue, die Sorge um sie bleibt in meinem Hinterkopf. Ich würde nie erwarten, dass sie in zwei Wochen über so etwas hinwegkommt. Verdammt ich weiss nicht, ob ein Mensch jemals über so etwas hinwegkommen kann, aber ihr Verhalten macht mir Angst. Ich weiss nicht, was ich tun soll.

"Mr. Potter?"
Ich blicke auf und sehe, dass Professor Tate mich erwartungsvoll anstarrt. Mein Mund wird trocken, als ich merke, dass er auf eine Antwort auf eine Frage wartet, die ich nicht gehört habe.
"Ein Irrwicht", flüstert Remus unter seinem Atem.
"Ein Irrwicht Sir", wiederhole ich automatisch.
Tate verengt misstrauisch die Augen, sagt aber dennoch: "Sehr gut Mr. Potter."
Gerade als Professor Tate den Mund öffnet, um seine Vorlesung fortzusetzen und ich meinem Glücksstern danke, dass ich Moony habe, läutet die Glocke. Tate seufzt verärgert über den Zeitmangel, aber die ganze Klasse steht auf, um eilig ihre Sachen zu packen und zum Mittagessen zu gehen.
Ich folge meinen Freunden aus dem Zimmer und sehe über meine Schulter, wie Lily langsam und bedächtig ihre Sachen zusammenpackt. Ein Stechen in meiner Brust lässt mich auf sie warten, aber sie will immer allein sein.

"Also Krone", reisst mich Sirius Stimme aus meinen Gedanken. "Wo in Merlins Namen hast du diese Antwort her? Es kann doch nicht sein, dass du den guten alten Moony hinter dir sitzen hattest, oder?
"Verpiss dich Tatze", murmle ich.
"Moony", fährt Sirius fort. "Du musst anfangen dich öfter neben mich zu setzen."
Remus antwortet, aber ich höre es nicht wirklich. Meine Gedanken sind immer noch im Klassenzimmer bei Lily. Ich muss mich vergewissern, dass es ihr gut geht. Ich kann sie nicht einfach dort zurücklassen. Es kommt mir vor, als hätten wir schon ewig nicht mehr miteinander gesprochen.
"Hey", sage ich und unterbreche das, was Peter sagt, indem ich mich von der Gruppe zurückziehe. "Ich gehe auf die Suche nach Lils. Ich treffe euch in ein paar Minuten beim Mittagessen."
Ich spüre all ihre Blicke auf meinem Rücken, als ich den Weg zurückkehre, den wir gekommen sind. Ich gehe ziemlich schnell zum Klassenzimmer Verteidigung gegen die dunklen Künste und hoffe, dass Lily nicht zu weit weg ist. Als ich näherkomme, höre ich Rufe.
"Du darfst dich nicht bei mir entschuldigen! Das ist deine Schuld! Dein Meister hat das getan! Du hast das getan! Ich hasse dich!"
Ich bleibe stehen und lausche dem Streit.
"Ich habe sie nicht umgebracht Lily!" Lily? Ist das Snape, der bei ihr ist? Wut strömt durch meine Adern und meine Füsse stampfen auf den Boden, während ich renne.
"Das hast du auch getan! Deine Freunde haben es getan! Wie konntest du nur? Wie konntest du einer von ihnen werden? Wie konntest du mir das antun? Warum hast du mich nicht einfach umgebracht Severus? Ich bin ein Schlammblut richtig? Was macht mich da anders?"
"Ich würde niemals..."
"Halt die Klappe! Halt einfach die Klappe! Das ist mir egal!"

Ich stürme durch den Raum und ziehe meinen Zauberstab aus meinem Umhang. Lily steht einige Meter von Snape entfernt die Hände wie ein Kind über die Ohren gepresst. Snape steht mit ausgestreckten Händen vor ihr, als wolle er sie festhalten. Das Blut pocht in meinen Ohren, als ich mich schnell vor sie stelle.
Er lässt seinen Blick über mich gleiten, als wäre ich etwas das an seiner Schuhsohle klebt. Seine kalten schwarzen Augen landen misstrauisch auf meinem Zauberstab. "Das geht dich nichts an Potter", spuckt er.
Ich beisse die Zähne zusammen. "Wenn es Lily betrifft, betrifft es auch mich Schniefelus." Der Spitzname, den Sirius und ich beim ersten Treffen für ihn wählten, kommt mir kalt und hart über die Lippen. Es war lange her, dass ich ihn so genannt hatte, denn ich wusste, dass Lily ihn nicht besonders mochte. Aber die Wut, die sich in meiner Brust aufbaute, liess mich im Moment nicht daran denken.
"Ich sehe nicht, dass sie dich um Hilfe bittet", erwidert Snape und kräuselt kalt die Lippen.
Ich kann nichts anderes tun, als meine juckenden Finger ihn nicht verfluchen zu lassen. "Komm schon Lily", sage ich und reisse meinen Blick von ihm los, um ihre Hand zu nehmen. "Lass uns gehen."

Ich ziehe sie aus dem Zimmer, um so viel Abstand wie möglich zwischen ihnen zu schaffen. "Was sollte das?", frage ich, als wir in der Sicherheit der Gänge sind.
"Nichts", sagt sie kalt und reißt ihre Hand grob aus meinem Griff. Ich brauche dich nicht um mich zu retten."
"Lily ich wollte nur..."
"Lass mich einfach in Ruhe", sagt sie barsch. Ich starre in ihre leeren grünen Augen und fühle, wie der Schmerz meine Brust zerreißt. Ich öffne den Mund, um irgendetwas zu sagen, aber die Worte bleiben mir im Hals stecken. Was soll ich nur sagen? Sie starrt mich einen Moment lang an, Tränen füllen ihre Augen, aber bevor ich einen Schritt nach vorne machen kann, um sie in meine Arme zu schließen dreht sie sich um und geht weg.
Während ich ihren Rücken beobachte, die roten Haare, die sich mit ihren schnellen Schritten wiegen finde ich meine Stimme. "Lily!"
Sie macht auf dem Absatz kehrt, ihr Haar fliegt ihr über die Schulter. "Was?", fragt sie.
"Lass mich helfen", sage ich und höre die Verzweiflung in meiner Stimme. "Sag mir, was ich tun soll?" Ich strecke meine Arme vor mir aus ähnlich wie Snape vor wenigen Augenblicken, aber leider bin ich in dieser Situation genauso hilflos wie Schniefelus.
"Wie kannst du mir helfen James?", verlangt sie mit brüchiger Stimme zu wissen. "Kannst du meine Eltern von den Toten zurückholen? Nein es gibt nichts, was du tun könntest! Es gibt nichts, was irgendjemand tun kann! Du verstehst gar nichts! Du hast einen schönen Blutstatus und Eltern, die noch am Leben sind! Du hast Eltern, die sich gegen dich-weisst-schon-wen verteidigen können! Du hast keine Schwester, die dich hasst! Du verstehst gar nichts! Und das wirst du auch nie! Also lass mich verdammt noch mal in Ruhe!"
Darauf habe ich nichts zu erwidern. Diesmal dreht sie sich um und läuft davon und ich halte sie nicht auf. Ihre Worte hallen in meinem Schädel wider und schmerzen wie pochende Kopfschmerzen. Du hast einen schönen Blutstatus und Eltern, die noch am Leben sind! Du hast Eltern, die sich gegen du-weisst-schon-wen verteidigen können! Du verstehst gar nichts.
Sie hatte recht, ich verstehe nichts. Ich kann mich nicht dazu bringen, zu verstehen, was sie durchmacht, so sehr ich es auch versuche.
Ich fühle mich ziemlich leer, als ich beginne in die entgegengesetzte Richtung zu gehen, in die sie mich verlassen hat. Also lass mich verdammt noch mal in Ruhe. Also lass mich verdammt noch mal in Ruhe. Also lass mich verdammt noch mal in Ruhe. Das sind die Worte die sich wie eine kaputte Schallplatte wiederholen und jedes Mal mehr wehtun, wenn sie mir durch den Kopf gehen. Sind wir fertig? Will sie, dass ich sie für immer allein lasse?

Ich bleibe vor der Grossen Halle stehen und starre auf all die Schüler, die ihrem Leben nachgehen, als ob die Welt um die wichtigste Person der Welt nicht zusammenbrechen würde. Es ist, als wäre alles normal, aber das ist es nicht.
Ich beobachte meine Freunde am Gryffindortisch. Peter nippt an seinem Kürbissaft und liest aufmerksam den Tagespropheten. Remus zerbröselt mit seinen langen blassen Fingern einen Bagel und sieht viel zu angewidert aus, um zu essen. Marlene sitzt mit dem Kopf auf Sirius' Schulter und schläft halb. Sirius beisst in seinen Apfel und beäugt Remus misstrauisch.
Fast wäre ich zu ihnen gegangen. Beinahe. Ich weiss, dass ich im Moment nichts essen kann und keine Lust auf Fragen habe also mache ich mich auf den Weg so wie Lily es getan hat und gehe weg. Ich mache mich auf den Weg zum Gryffindorturm und wünsche mir nichts sehnlicher, als in diesem Moment in mein Bett zu fallen.

Und genau das tue ich, als ich den Schlafsaal erreiche. Ich nehme meine Brille ab und vergrabe mein Gesicht in meinem Kissen. Ich ziehe meine Schuhe aus und rolle mich zu einem Ball zusammen, weil ich nichts mehr will, als zu verschwinden. Nur für eine kleine Weile. Nur um dem Wahnsinn zu entkommen. Ich drücke das Kissen gegen mein Gesicht und stosse einen Schrei aus, um all die Gefühle herauszulassen, die sich, seit wer weiss wie langer Zeit in meiner Brust angestaut haben. Ich lasse es alles heraus.
Als ich endlich aufhöre, ist mein Hals wund und raspelig. Ich atme tief ein und sauge so viel Sauerstoff ein, wie ich kann. Ich schliesse meine Augen fest und möchte schlafen. Ich bin müde; ich bin schon den ganzen Tag müde. Mein Gehirn scheint nie stillzustehen, damit ich mich richtig ausruhen kann.
"Geht's dir besser Kumpel?", fragt eine Stimme. Sirius.
"Nein", antworte ich ins Kissen.
"Willst du darüber reden?"
Ich drehe mich um und sehe ihn vorsichtig neben meinem Bett stehen. Er studiert mein Gesicht.
"Was ist passiert?", fragt er.
"Sie hat mir gesagt ich solle mich verdammt noch mal von ihr fernhalten", antworte ich und meine Stimme klingt sogar für meine eigenen Ohren gebrochen.
"Sie hat es nicht so gemeint Kumpel," antwortet er automatisch.
"Ich glaube schon Sirius", antworte ich, ohne ihm in die Augen sehen zu können.
"James, schau ich..."
"Aber sie hat recht", unterbreche ich ihn. "Ich kann nicht verstehen, was sie durchmacht."
Schliesslich hebe ich meinen Blick, um Sirius anzusehen. Seine grauen Augen bohren sich in meine und ich sehe das Mitgefühl in ihnen. Meine Stimme bricht als ich sage: "Ich weiss nicht mehr, was ich tun soll."

Limerence | A James & Lily Story ( deutsche Übersetzung)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt