Annalena
„Kommst du?", fragte Wincent mich und nahm meine Hand.
„Was hast du vor?" Ich kannte inzwischen seine leicht verrückten Aktionen.
Ich hasste Überraschungen, aber Wincent klang in seiner Nachricht heute Mittag so euphorisch, dass ich ihm das Treffen nicht ausschlagen konnte. Vor allem, weil ich es einfach liebte, mit ihm zusammen zu sein. Ablenkung tat mir wahrscheinlich eh gut.
„Wir probieren etwas Neues aus. Also ich hab das zumindest noch nie gemacht." Er klang leicht nervös, was mich nicht wirklich beruhigte.
„Okay...", erwiderte ich langsam.
„Ich geb dir einen Tipp. Es ist dunkel. Und für dich vermutlich kinderleicht."
Ich stieg mit Wincents Hilfe ins Auto ein. So langsam wusste ich, wie es ging. Zumindest bei diesem Auto. Ich wusste sehr wohl, dass er mehr als eins hatte und das machte mir noch ein bisschen Sorgen. Sollte er einmal mit einem anderen Auto kommen, könnte es peinlich werden. Hoffentlich warnte er mich dann vor.
„Dunkel? Und leicht für mich?", fragte ich, als ich hörte, wie er auf der Fahrerseite einstieg.
„Ja." Er startete den Motor.
Die ganze Fahrt über rätselte ich, kam aber nicht drauf. Was hatte dieser Mann schon wieder geplant? Wo fuhren wir hin?
„Bitte sag mir endlich, was du vor hast", bettelte ich, als er mir verriet, dass wir fast da waren. Diese Info brachte mir nur so gar nichts, denn ich wusste nicht einmal, wo wir waren.
„Okay. Weil wir eh da sind", sagte Wincent und stellte den Motor ab. „Kennst du ‚Dialog im Dunkeln'?"
Ich schnappte nach Luft. „Ja", bekam ich gerade noch so heraus.
„Du weißt also, was uns erwartet?"
Ich nickte. „Hab ich mal mit Lara gemacht, als wir uns gerade angefreundet hatten."
„Dann steht es ja jetzt schon zwei zu null für dich." Ich hörte, dass Wincent lächelte.
„Ich dachte, du liebst neue Herausforderungen", neckte ich ihn.
„Definitiv. Also los?"
„Ja."
Wincent stieg aus und stand wenige Sekunden später neben meiner Tür und half mir aus dem Auto. Jetzt hatte er es eilig, dachte ich und musste automatisch lächeln.Wincent
Dass Anna bereits zwei Vorteile hatte, wurmte mich etwas. Doch davon wollte ich mir diesen Abend nicht kaputtmachen lassen. Immerhin hatte ich das hier nicht umsonst ausgesucht.
Mit Anna an der Hand ging ich auf den Eingang zu und mein Herz begann nun doch etwas schneller zu schlagen. Natürlich hatte ich mich im Internet belesen, aber was mich nun wirklich erwartete, wusste ich nicht. Am meisten Respekt hatte ich davor, nichts mehr zu sehen. Näher als hier konnte ich Anna nie kommen und deswegen waren wie hier. Nicht nur als Liebe zu ihr, wollte ich einmal diese Erfahrung machen, sondern auch für mich. Ich wollte wissen, wie ich ihr helfen konnte. Und das ging nur, wenn ich einmal wie sie war. Wenn auch nur für einige Stunden.
„Bist du bereit?", fragte ich Anna.
„Ja. Und du?"
„Ich auch." Glaube ich.
Tatsächlich stellte sich heraus, dass ich im Dunkeln definitiv ein Dorftrottel war. Ständig standen irgendwelche Gegenstände in meinem Weg. Leise fluchte ich immer wieder vor mich hin und hoffte, dass Anna es nicht mitbekam. Ich hatte jetzt schon einen riesigen Respekt davor, dass es ihr im Grunde jeden Tag so ging. Nicht zu wissen, wo man sich im Raum befand, was vor einem war und um einen herum, war echt der Horror für mich. Ich hörte zwar Annas Schritte, meine eigenen, das Geräusch, wenn ich wieder gegen etwas lief, Rascheln, Gespräche und all so etwas. Doch wirklich helfen tat mir das alles nicht. Eher im Gegenteil.
Als ich zum gefühlt hundertsten Mal gegen etwas lief, fluchte ich etwas lauter. Wahrscheinlich hatte ich morgen überall blaue Flecke. Ja, es war meine Idee, aber woher sollte ich denn wissen, dass das so schwer war?
Ich hörte, wie Anna, die nur wenig vor mir lief, versuchte, ihr Lachen zu unterdrücken. Ganz offensichtlich amüsierte sie sich die ganze Zeit schon auf meine Kosten.
„Hauptsache du hast Spaß", murmelte ich. Wirklich böse war ich natürlich nicht. Anna konnte ja nichts dafür, dass sie das alles gewohnt war und sich besser anstellte als ich.
„So, hier ist ihr Tisch", sagte ein Kellner, als wir im Restaurant-Teil angekommen waren.
Jetzt begann der schwerste Part dieses Abends. Gut, eigentlich hatte ich überlegt, die Gelegenheit von diesem besonderen Date zu nutzen und ihr meine Liebe zu gestehen. Allerdings war das hier drin definitiv keine gute Idee.
Ich tastete nach der Stuhllehne und von dort aus versuchte ich herauszufinden, wo ich mich hinsetzen konnte. Auf noch mehr Peinlichkeiten hatte ich nämlich nicht so wirklich Lust.
„Und? Wie war das Treffen mit deiner Managerin?", fragte Anna mich.
„Ganz gut. Bis zur Tour habe ich erst einmal wenig vor, aber das wollte ich so. Und danach geht es dann auch schon direkt mit den Weihnachtsvorbereitungen weiter", erzählte ich.
„Weihnachten? Wann endet denn deine Tour?"
„Im September sind die letzten Konzerte dieses Jahr."
„Und da bist du schon in Weihnachtsstimmung?" Anna war eindeutig überrascht.
Naja, nicht jeder war wie ich. Meinetwegen konnte Weihnachten nicht früh genug sein. Ich könnte das ganze Jahr über Weihnachten feiern.
„Ja. Eigentlich bin ich das schon seit Februar", schockte ich Anna mit der nächsten Tatsache.
„Was? Wieso?"
„Als mein Album fertig war, haben wir schon das Studio geschmückt. Und dann haben wir noch 15 neue Songs geschrieben. Aber pssst."
„Neue Musik? Was...?"
„Es wird ein Weihnachtsalbum geben", verriet ich ihr. „Das mussten wir halt schon Anfang des Jahres schreiben."
„Ihr seid doch verrückt."
„Vielleicht ein bisschen", gab ich lachend zu. „Aber du scheinst es auch zu sein."
„Wieso? Weil ich mit dir hier im Dunkeln sitze und esse?"
„Auch. Aber eigentlich, weil du mir blind vertraust. Ich meine, ich habe den Zweitschlüssel zu deiner Wohnung in der Tasche, kenne bereits deinen Vater und seine Wohnung und du bist mitgekommen. Dabei wusstest du gar nicht, wo wir hinfahren."
„Naja, du bist trotz meiner ganzen Probleme immer noch hier. Fritz liebt dich abgöttisch und bisher hast du mir keinen Anlass gegeben, dir zu misstrauen", konterte Anna.
Mir fiel keine passende Antwort mehr ein, weswegen ich mich meinem Essen widmen wollte. Doch das, was ich zwischen die Finger bekam, fühlte sich sehr seltsam an. Erschrocken zuckte ich zurück.
„Was ist?", fragte Anna sofort.
„Nichts."
„Sicher?"
„Hab mich nur erschrocken. Alles gut."
„Vor was?"
„Ich glaube, das ist Deko."
„Hier gibt es niemals Deko. Wie willst du das denn im Dunkeln erkennen? Es war bestimmt Obst, denn das haben sie immer da."
„Obst? Kann ich mir nicht vorstellen."
Ich hörte Annas Hand über den Tisch wandern und im nächsten Moment lachte sie.
„Was hab ich verpasst?"
„Wincent, du kannst das essen. Das ist nur Ananas."
„Niemals. Du verarschst mich."
„Nein, wirklich. Du kannst mir da schon vertrauen. Wie Ananas schmeckt, weiß ich ganz knapp noch."
Ich war noch nicht ganz überzeugt.
„Hier. Probier."
Schemenhaft erkannte ich, dass sie mir ein Stück reichte.
Ich griff danach und biss ein kleines Stückchen ab. Es war wirklich Ananas. Wie hatte Anna das schon vorher gewusst?Annalena
„Du weißt gar nicht, wie viel mir dieser Abend heute bedeutet hat", sagte ich und strahlte Wincent an.
Wie gerne würde ich ihn mal richtig sehen können. Natürlich hatte ich ein Bild im Kopf, wie er aussah, aber ich wusste es eben nicht zu einhundert Prozent.
„Oh doch. Ich glaube, ich weiß es", erwiderte Wincent. „Und ich habe nur noch mehr Respekt vor dem, was du Tag für Tag machst."
„Naja..."
„Sag nichts", bat er mich. „Ich weiß, dass du damit geboren wurdest. Natürlich lernt man, damit umzugehen, aber es ist eine Leistung. Also irgendwie. Du hast ja gemerkt, wie blöd ich mich anstelle, wenn ich nichts mehr sehe. So jeden Tag zu durchleben kann ich mir gar nicht vorstellen."
„Du kannst es ja mal ausprobieren", schlug ich automatisch vor. „Also, wenn du mal frei hast."
„Sehr gerne." Wincent klang regelrecht begeistert. „Aber du musst mir helfen."
„Klar."
„Danke, dass du mir deine Welt zeigen willst", sagte er aufrichtig.
„Danke, dass du es willst. Auch wenn ich deine Welt niemals kennenlernen werde", antwortete ich genauso ehrlich.
„Vielleicht nicht im Ganzen, aber ich werde dir so viel zeigen, wie ich kann", versprach er.
„Danke." Ein einfaches Wort, was gerade all das ausdrückte, was in mir vorging.
Ich spürte, wie Wincent seine Hände auf meine Wangen legte. Sein Atem strich über mein Gesicht und dann lagen seine Lippen sanft auf meinen. Der Kuss besiegelte unser gegenseitiges Versprechen.
„Wollen wir nach Hause?", fragte er irgendwann an meinen Lippen.
„Ja", hauchte ich ihm entgegen.
„Okay". Er küsste mich nochmal kurz und nahm dann meine Hand.
Auf dem Weg zu seinem Auto erzählte er mir, wie die Stadt im Dunkeln aussah. Er beschrieb mir ganz detailliert die Konturen von Gebäuden und die bunten Lichter. Vor meinem inneren Auge entstanden Bilder, die ich nie wieder vergessen würde. Es war ganz sicher nicht so, wie Wincent es sah, aber es reicht mir.
„Wince", sagte ich, als er stehen blieb und die Autotür öffnete.
„Ja?" Er stand direkt vor mir. Ich spürte seinen Atem und seine Stimme war ganz nah.
„Ich liebe dich."
„Ich liebe dich auch, Anna."
Ich tastete nach seiner Hand und zog ihn an mich. Er half mir, indem er meine Hände auf seine Schultern legte. Seine wanderten an meine Hüfte und dann küsste er mich. Ich ließ mich einfach fallen und genoss die Wärme, die durch meinen ganzen Körper floss.
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Bin ich für sie blind?
Fanfiction„Sag mir, bin ich für sie blind?" Wincent ist verwirrt. Seit seinem Konzert in Berlin, wo Mats Anna kennengelernt hat, scheint sie ihn regelrecht bei seinen Auftritten zu verfolgen. Das zumindest erfährt er von Mats, denn er selbst bemerkt es gar ni...