82. Kapitel

29 4 0
                                    

When I hear your voice, I know I'm finally free ~ Here With Me (marshmello & Chvrches)

Emilia

Alles war weiß. Alles war hell. Alles war schön. Ich war frei. Meine Augen gewöhnten sich schnell an meine helle Umgebung. Ein weißes Nichts. Ich sah mich um. Weit und breit war nicht eine einzige Sache zu erkennen. Nichts außer mir. Ich schaute an mir hinab. Meine Wunden waren verschlossen und mir tat nichts mehr weh. Aber so musste es ja auch sein, wenn man tot war. Man spürte nichts mehr.

Aber wo war ich? War das das, was nach dem Tod kam? Was war das für ein Ort? Was für Gesetze galten hier? War hier noch jemand außer mir? Wo war Benjamin? Müsste er nicht eigentlich neben mir sein? Ich hatte seine Hand gespürt, als ich gestorben war. Warum war er also nicht hier? War hier überhaupt jemand? „Hallo?“, rief ich ins Nirgendwo. Meine Stimme schien unendlich weit zu gehen. So, als könnte man sie noch in einer Entfernung
von fünfzig Kilometern hören.

„Hallo.“ Ein Echo! Dann gab es hier ja doch irgendwo Wände!
„Wie heißt der Bürgermeister von Oberwesel?“, fragte ich und kicherte, als ein „Esel“ zurückkam. Ich kicherte! Ich fühlte mich gut! Fantastisch! „Das macht dir Spaß, oder?“ Ich erschrak. Wer war das? „Hallo?“, fragte ich noch einmal. „Geht das nochmal von vorne los? Aber egal. Ich will mich nicht beschweren. Hallo, Emilia“, sagte eine helle Stimme. Ich drehte mich um mich selbst. „Wo bist du? Wer bist du?“ Ich sah niemanden.

Ein Lachen ertönte von allen Seiten gleichzeitig. „Ich bin überall und nirgendwo. Mein Name ist Fantasia Bolila. Und du bist Emilia Samaluna. Ich habe dich schon erwartet.“ Ich runzelte die Stirn. „Woher kennst du meinen Namen? Und warum hast du mich erwartet? Wo bin ich?“
„Ganz ruhig. Eine Frage nach der anderen. Wir zwei werden sowieso noch ein bisschen Zeit miteinander verbringen müssen. Zunächst einmal: Ich kenne die Namen aller Aniral. Aber wenn ich deinen nicht wüsste, wäre ich dement. Ich habe dich schließlich ausgewählt. An dieser Stelle würde ich dir übrigens von Herzen danken. Du hast mein Zuhause gerettet. Obwohl du wusstest, was passiert, hast du gehandelt, ohne nachzudenken. Respekt.“

Es hörte sich jetzt komisch an, aber ich könnte schwören, sie machte, wo auch immer sie war, eine Verbeugung. „Du hast mich ausgewählt?“, fragte ich verwirrt. „Also bist du so etwas wie eine Göttin?“ Ich setzte mich hin. Es war komisch. Ich spürte keinen Boden, fiel aber auch nicht. Es war, als würde ich schweben. „Wenn du es so nennen willst, dann ja. Ich hatte vor viertausend Jahren eine Vision. Das kommt immer seltener vor. Diese Vision hat ein Mädchen gezeigt, das mutig, selbstlos und tapfer ist. Es kämpfte gegen das Böse, weil es zu stark wurde.

Das Mädchen vertrieb die Schattenseite von der hellen und starb dabei. Es war alleine und nie trauerte jemand um sie. Es gab nicht einmal ein Grab für das Mädchen, das sie alle gerettet hatte. Ich beschloss, dass niemand ein solches Schicksal verdient hatte. Der Tod ist eine Option, wenn es keine anderen mehr gibt. Und selbst dann wird es immer eine Möglichkeit geben, zurückzukehren. Die Aniral entscheiden, ob sie leben oder sterben wollen. Nur wenn sie an Altersschwäche sterben, haben sie darauf leider keinen Einfluss. Da muss ich die Entscheidung meiner Mutter und meines Bruders respektieren.

Ich entschied damals, dass das Mädchen sich nicht entscheiden müsste. Sie musste schon eine schwere Entscheidung treffen, da wollte ich ihr diese ersparen. Ich war mir sicher, dass sie weiterleben wollen würde. Ich stellte ein Salz aus lilanen Kristallen her, das dann erscheinen sollte, wenn das Mädchen seine Eltern verließ um in den Kampf zu ziehen. Damit es Chancen gegen das Böse hat, gab ich ihr Kräfte. Ich gab ihr einen Teil meiner Macht. Ich gab ihr die Kraft der Elemente. Sie sollten ihr helfen und sie beschützen, wenn sie es selbst nicht konnte.

Aber weil ich das Gefühl hatte, selbst nicht genug zu tun, um mein Zuhause zu retten, erschuf ich eine Verbindung zwischen dem Mädchen und mir. Wenn es in Schwierigkeiten geriet, sollte es sich verteidigen können. Es sollte meine direkte Hilfe bekommen. Wenn es zum Endkampf käme, und die Schattenseite und das Mädchen, das das Gleichgewicht wiederherstellen sollte, beide tot da lagen, konnte eine Sache das Mädchen zurückholen. Ein Beweis, der zeigte, dass sie nicht alleine war und geliebt wurde. Denn das würde sie nie sein. Sie würde immer jemanden haben, der sie liebte.

Ich erschuf ein Rätsel und schickte es mit der von mir abgewandelten Mission nach Hause. Die Aniral sollten wissen, was zu tun war. Das Mittel musste nach dem Tod des Mädchens in ihrem Magen sein. Durch eine Wunde am Bauch, die ihr zuvor zugefügt wurde. Dieses Detail hatte ich mir aus der Vision gemerkt und unverändert gelassen. Alles konnte ich auch nicht ändern. Das Mittel würde sie zurückholen. Sie würde weiterleben können und frei von der Last sein, alles in ihrer Hand haben zu müssen. Sie würde ohne meine Kräfte nach Hause zurückkehren und ein Leben leben, in dem sie keine so große Pflicht hatte.“

Ich hielt die Luft an. Was ging hier gerade ab? „Und dann war es soweit“, fuhr sie fort. „Ich merkte, dass die Dunkelheit kurz davor war, mächtiger als das Licht zu werden und suchte ein Kind. Als ich dich im Bauch deiner Mutter sah, wusste ich, dass du stark genug sein würdest, um die Aufgabe zu erfüllen. Doch deine Eltern gaben dich fort, um dich zu beschützen. In dem Moment fing dein Kampf an. Dein Kampf mit den Zweifeln, den Kräften und der Unwissenheit. Das Mittel blieb in Konzulesian, während du in die Menschenwelt zu Mina kamst.

An deinem sechzehnten Geburtstag hatte ich keine Wahl. Ich musste dich nach Hause holen. Du musstest deinem Schicksal entgegentreten. In der Zeit bis zu dem Kampf lerntest du meine Kräfte und dich besser kennen. Ein paar Mal musste ich dich lenken, da du sonst verloren gewesen wärst. Körperlich und psychisch. Einmal musste ich dich mit aller Gewalt zurückholen, damit du dein Zuhause rettest. Du hast es geschafft. Bei dem Kampf heute musste ich dich komplett lenken, da du sonst keine Kraft gehabt hättest.

Ich habe dich aufrecht gehalten, als du selbst dazu nicht mehr in der Lage warst. Doch du warst stark. Am Ende warst du so unglaublich stark, das hat selbst mich überrascht. Du hast Konzulesian und die Menschenwelt fast alleine gerettet, Emilia. Ich bin wahnsinnig stolz auf dich. Und ich habe noch eine gute Nachricht für dich.“ Ich lächelte zaghaft. Ich war mental am Ende. „Welche denn?“

„Deine Eltern haben es geschafft, dir das Mittel zu geben. Du wirst weiterleben können. Nicht mehr lange und du siehst deine Eltern wieder. Ganz zu schweigen von deinen Freunden. Und … Nein. Das sollst du selbst sehen. Aber jetzt ruh dich aus. Entspann dich. Dir passiert hier nichts.“

Neben mir erschien wie aus dem Nichts ein Bett. Es war mindestens doppelt so groß wie das in meinem Zimmer im Schloss. Ich seufzte auf und legte mich hinein. Ich war fertig mit den Nerven. Wie viele Informationen konnte eine einzige Person in eine Rede bringen? Die Antwort war: Zu viele. Aber sie war ja auch keine Person, sondern eine Göttin. Und diese Göttin sagte mir, dass ich wieder leben würde. „Wann?“, fragte ich leise ins Nichts. „Bald“, kam ihre sanfte beruhigende Stimme zurück.

Ich schloss die Augen um zu schlafen. Meine Gedanken waren jedoch zu laut, um zu schlafen. Sie schrien mir in meinen Kopf und doch hörte ich keinen davon. Es war ein Knäuel und es gelang mir nicht, die einzelnen Fäden zu lösen. Ich wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Wie mein Leben nun werden würde. Wäre ich eine Prinzessin? Würde ich im Schloss bei meinen Eltern wohnen? Würde ich überhaupt mit Benjamin zusammen sein dürfen?

Benjamin. Benni. Ben. Ich vermisste ihn. Es kam mir so vor, als wäre er tausende Kilometer weit weg. In Wirklichkeit mussten es unendlich viele sein. Ich nahm an, dass ich mich in einem Zwischenraum zwischen Leben und Tod aufhielt. So etwas wie ein Wartezimmer. Oder so etwas wie der Bahnhof mit Dumbledore im letzten Teil von Harry Potter.

Irgendwann wurden meine Gedanken endlich leiser und ich schlief doch noch ein.

Die Kraft der Elemente - Alles liegt in deiner HandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt