21. Oktober 2022: Herz Ass an Deck

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„Du bist nicht wegen ihm hier draußen." Während ich noch fassungslos auf meine Fesseln starrte, sah Hongjoong gelangweilt zu Noah rüber. Dann zog er unvermittelt an dem Seil und ich stolperte prompt gegen ihn.

Oh Gott. Ich schien nicht nur das Denken, sondern auch das Laufen und Schlucken verlernt zu haben; meine Füße waren taub und mein Kehlkopf klemmte fest vor Angst.

Der herbe Geruch von Leder und Ozean hüllte mich ein, während meine Wange an seiner Kleidung scheuerte.

Seine harte Brust hob und senkte sich direkt vor meinen Augen und zu allem Überfluss bot die offene Weste tiefe Einblicke. Seine Haut schimmerte darunter wie reines Papier und an den gewagtesten Stellen, blitzte tiefschwarze Tinte hervor. Mein Blick folgte den feinen Konturen seiner Muskeln und den edlen Tintenlinien, die sich über seinen Körper zogen, wie einer Geheimschrift, die es zu entschlüsseln galt. Mein ganzer Unterleib wurde seltsam flatterig und nicht nur mein Gesicht, sondern jede Pore meines Körpers glühte lichterloh. Als mir bewusst wurde, was da gerade passierte, drehte ich mit einem Ruck den Kopf auf die andere Seite.

Ein Fehler.

Leider begriff ich das erst, als meine Nasenspitze gegen seinen nackten Oberarm stieß. Meine Pupillen mühten sich beim Scharfstellen, doch die dunkelschwarzen Konturen und Schemen formten sich wie von selbst zu einem Motiv. Ich erkannte es sofort: Es war ein filigranes Abbild meines Anhängers; brillant gezeichnet und exakt bis zum letzten Nadelstich. Die Tinte glänzte auf seiner Haut kostbarer, als ein schwarzer Diamant und es schien, als wollte sie mich mit ihrem Glanz verhöhnen.

Nicht die Tinte. Er will es.

Der Schock knickte mir die Beine weg und meine Finger krallten sich trotz der Fesseln haltsuchend in seine Weste. Das Tattoo war die perfekte Kopie. Aus filigranen Linien und geheimnisvollen Schatten formten sich die Drehscheiben und Zeiger des Sternenmessers wie mit einem 3-D Effekt zu exakt meinem Astrolabium.

Die Schönheit und Perfektion der Details raubte mir den Atem und gleichzeitig war es ein Albtraum. In dem Moment war ich dankbar, dass meine Hände gefesselt waren; ich wäre sonst der Versuchung erlegen, mit den Fingerspitzen darüber zu streichen.

Ich wollte es berühren. Ihn berühren. Seine Muskeln traten unter der Zeichnung hervor und ließen sie so plastisch erscheinen, dass ich sicher war, dass man die Tintenlinien mit den Fingern erspüren könnte.

Unter dem Sternenmesser umspannte eine Seekarte seinen gesamten Oberarm. Und dort, wo bei dem echten Astrolabium mein Lederband in einer kleinen Öse befestigt war, entwandt sich ein Seil, das seinen definierten Muskeln bis hinab zu seinem Unterarm nachfolgte, sich kurz oberhalb seiner Ellenbeuge um einen Anker schlang, wie eine Kletterrose um ein Holzspalier und sich schließlich mit dem Tau aus der Abbildung auf seinem Unterarm zu einem Gesamtkunstwerk vereinigte.

Spucke sammelte sich in meinem Mund und ich schluckte sie mühsam hinunter.

„Du bist hier, um mir etwas zu geben", flüsterte er, wie als müsse er mich an etwas erinnern.

Ich war verloren zwischen nackter Haut und pechschwarzer Farbe und er wusste es.

Den Fakt, dass ich quasi hilflos in seinen Arm hing, nutzte er schamlos aus. Er beugte sich über mich wie ein Raubtier; bereit seiner Beute die Reißzähne in die Kehle zu schlagen. In seinen Augen blitzte der Jagdhunger. Er war heiß auf die Trophäe und er würde sie bekommen. In der Erwartung von spitzen Zähnen auf meiner Haut zog ich scharf die Luft ein. Stattdessen strich sein Zeigefinger mir sacht eine struppige Strähne hinters Ohr.

Oh.

Und ich dachte, er würde ...

Er hielt mich leicht wie eine Feder. „Du weißt, dass es meins ist." Sein Finger strich über das Lederband an meinem Hals und sein heiseres Flüstern raubte mir das letzte Bisschen Verstand und den letzten Rest Besonnenheit gleichzeitig.

Oh Gott, ja es war seins und trotzdem war ich bereit, darum zu kämpfen. Und wenn es um seiner Aufmerksamkeit willen wahr.

Jetzt rächte es sich wohl, dass ich nie wirklich die Beachtung von Jungen erfahren hatte. Meine Hoffnungen was Noah betraf, hatten in dieser Nacht ihr jähes Ende gefunden. Drei Jahre lang hatten sie wie Seifenblasen in den faszinierendsten Farbtönen geschillert, sodass ich ihnen nachträumte, ohne die geringste Chance, sie jemals zufassen zubekommen; doch heute waren sie vor meiner Nase zerplatzt. Einfach so. Mit einem stechendem Plop, der außer einer merkwürdig bitteren Leere nichts zurückgelassen hatte. Der Kuss mit Christian zählte erst gar nicht - er war das Resultat eines Partyspiels und danach nie mehr Thema zwischen uns gewesen. Da konnte der Piratenkönig behaupten, was er wollte.

Ich wusste, dass es dumm war und doch ...
Hongjoong gab mir das, wonach ich mich schon lange sehnte. Das Gefühl, nach dem sich jedes Mädchen heimlich sehnt:

Das Empfinden, die Einzige zu sein. Die Einzige, die ihm seine Wünsche erfüllen kann.
Auch wenn es ihm nur um einen Gegenstand ging.

Ich hatte ihn.

Und es war kein gewöhnlicher Gegenstand.

Ein Teil von mir steckte in diesem Anhänger, vielleicht sogar mein Herz.

Und so sehr wie der Piratenkönig diesen Sternenmesser haben wollte, musste es noch eine andere Bewandtnis dafür geben.

Ich erinnerte mich, wie der Zeiger sich plötzlich von selbst gedreht hatte. Es hatte mir in der letzten Sekunde den Arsch gerettet. Ich verdankte dem Ding mein Leben.

Dann kam mir die Sanduhr in den Sinn, die Hongjoong aus der Luft gezaubert hatte und hörte die Schläge der merkwürdigen Glasenuhr in meinem Kopf, die noch keiner von uns zu Gesicht bekommen hatte; deren Klang aber das ganze Schiff erfüllte. Und auch der kleine Gegenstand, den Hongjoong aus seinem Hemd gefischt hatte, bevor er die Rumflasche in die Luft gezeichnet hatte, war mir in Erinnerung geblieben.

Konnte es sein, dass das Astrolabium magisch war und dass es noch andere dieser Objekte an Bord gab?

Der plötzliche Drang mich umzusehen durchfuhr meine Glieder und brachte meinen Kopf zum wackeln. Doch Hongjoongs Hand spannte sich fest um meinen Hinterkopf und unterdrückte die Bewegung im Keim.

„Du solltest nicht so viel denken, sondern es mir jetzt einfach geben." Seine Stimme war kein sanftes Flüstern mehr, sondern eine Warnung; so klar und gefährlich, wie hochprozentiger Alkohol. Und bei mir zeigte sie die gleiche Wirkung: Ich fühlte ich mich plötzlich total beschwipst. Das euphorische Gefühl, rührte zwar mehr von meiner Entdeckung, als von seiner Drohung; aber trotzdem.

Ich hatte Bock auf ein neues Spiel.

Ich lag in seinen Armen und fühlte mich unverwundbar. Traumhaft.

Das Feuer in meinem Inneren hatte an Kraft gewonnen und diese übertrug sich nun zusehends auf meine Beine und verlieh ihnen neue Standfestigkeit. Ich drückte mich von Hongjoong weg, soweit, wie er es zu ließ. Unsere Nasenspitzen berührten sich fast und in seinen Augen züngelte die Gier. Dennoch bog ich den Kopf noch ein Stück weiter zurück und reckte das Kinn. „Dann hol es dir doch!" Ich zischte ihm die Worte ins Gesicht, denn meiner Stimme traute ich nicht. Bereits nach wenigen Schlucken Alkohol wurde sie piepsig und schwach und das konnte ich in meinem Zustand gerade weiß Gott nicht gebrauchen.

Ich machte auf dicke Hose. Aber im Hinterstübchen meines Hirns lauerte der Verdacht, mehr als ein Ass im Ärmel zu haben. Ich wartete nur auf die passende Eingebung, um die richtige Karte zu zücken und auszuspielen.

„Das werde ich. Da kannst du dir sicher sein." Seine Augen verengten sich zu Schlitzen und seine Wimpern umrandeten seinen Blick wie spitze Messerklingen. Instinktiv zuckte ich zurück, doch geschlagen gab ich mich nicht.

Ich war bereit, mit verdeckten Karten zu spielen. Mein Gegner kannte mein Blatt, ich jedoch nicht. Und dennoch war ich sicher, dass ich verdammt gute Karten hatte.

Zeit zu pokern. Herzblatt.



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So hier ist es ^.^

Ich wünsche euch wie immer viel Spaß damit ^.^

Bis bald :)

Und vielen Dank an euch alle <3


Der Ruf des Meeres (Ateez, Hongjoong)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt