Mein kaputtes Herz

Matteo

Eigentlich hätte dieses Buch schon viel mehr Geschichten, aber keine beschäftigt mich so sehr wie die folgende. Auch wenn diese die aktuellste ist (Stand: 15.08.2023), werden die anderen vielleicht noch folgen.

Vor etwas mehr als zwei Monaten war unsere erste gemeinsame Schicht. Zu dritt haben wir in dem kleinen Café gearbeitet. Mir fällt schon nicht mehr ein, wer der dritte war, weil ich mich nur noch an dich erinnere. Am Tag zuvor hatte ich auch Dienst und der Kommentar unserer Chefin war: „Matteo, unsere Prince Charming". Ich dachte mir, dass ich es wohl mit einem Typen zu tun bekäme, der viel...Kontakt mit Frauen habe und beschloss gleich, dass ich dir die kalte Schulter zeigen würde.

Tja.

Du kamst zu spät, wärst fast gar nicht gekommen, weil du Probleme mit deinem Rücken hattest. Eine Verletzung durch deinen Sport. Als du dann auftauchtest, beachtete ich dich zunächst nicht, weil ich ohnehin sehr beschäftigt war. Aber als ich mich dann umdrehte und du mich anlächeltest, war es, als würde die Zeit stehen bleiben. Lange dachte ich, dass Filme und Bücher hier übertreiben– wer löst schon so eine heftige Reaktion aus...

Aber ab da war es um mich geschehen. Die acht Stunden, die wir miteinander arbeiteten...

Dein Humor, dein freundlicher Umgang mit der Kundschaft, deine Verpeiltheit, dein sprachliches Talent...

In meinem ganzen Leben war ich bisher drei Mal verknallt gewesen: in einen Sänger, einen Autoren und den Schülersprecher damals in der zehnten. Jedes Mal jemand, der weit genug entfernt war, als dass es was ernstes hätte werden können. Jedes Mal jemand, mit dem ich nie sprechen musste, den ich nicht in meinem Umfeld hatte.

Und jetzt... Nie habe ich so für jemand greifbaren gefühlt.

Und das beunruhigendste: noch nie habe ich mich so wohl bei jemandem gefühlt.

Ich habe viele Macken und unsicher-vermeidende Tendenzen. Ich scheue sowohl körperliche als auch emotionale Nähe. Ich bin nur bei meinen Eltern und meinen Geschwistern so, wie ich wirklich bin. Oder so wirklich, wie ich mich traue zu sein. Ich halte viel geheim, verstecke mich. Kann bei anderen nicht locker, witzig oder spontan sein. Kann nicht verträumt, entspannt oder weich sein. Kann nicht laut, energiegeladen oder wild sein. All das bin ich manchmal und traue es mich nicht auszuleben. Warum? Ich weiß es nicht, aber ich arbeite daran es herauszufinden und zu überwinden. Ich arbeite an mir.

Und bei dir fällt mir so viel leichter, es zu wollen.

Die zufälligen Körperkontakte, das Scherzen, das wahnsinnig reibungslose Zusammenarbeiten. Es war faszinierend, noch nie habe ich so einfach und elegant in einem Team gearbeitet.

Ich liebe das Gefühl. Die vollkommene Zufriedenheit. Deine Nähe.

In den vergangenen zwei Monaten haben wir noch zwei Mal zusammengearbeitet. Einmal bist du für jemanden eingesprungen, einmal habe ich getauscht. Nie war es geplant gewesen.

Beim zweiten Mal war dein bester Freund dabei und die Atmosphäre war noch viel entspannter. Ich wollte nicht heimgehen. Hätte den ganzen Abend mit euch, mit dir verbringen können. Es war unglaublich witzig und gemütlich.

Danach hatten wir über What'sApp Kontakt, weil ich endlich einen Vorwand gefunden habe, um dir zu schreiben. Du warst mit deinem besten Freund in Schweden, ich fahre in einer Woche mit meiner Familie dorthin. Kein sonderlich guter Grund, um dir zu schreiben, aber es hat funktioniert. Zumindest von meiner Seite aus, deine Antworten kamen zwar immer schnell, aber häufig sehr einsilbig. Ich weiß nicht, was ich daraus lesen soll.

Beim dritten Mal, gestern, war es seltsam, wir hatten kaum Zeit zu reden, dabei hätte ich das sehr gerne. Geredet. Darüber, was ich fühle und wie es mich anstrengt. Denn das ist das Problem. Diese Gefühle für dich strengen mich an. Ich denke immer an dich, was vor allem die Prüfungsphase nicht grade erleichtert hat. Ich möchte dir von Sachen erzählen, die mir passiert sind. Ich möchte, dass du mir von den Sachen erzählt, die dir passiert sind. Ich checke deinen Online-Status auf What'sApp, möchte sehen, dass du mir wieder schreibst.

Ich suche nach einem Zeichen, irgendeinem Zeichen, dass es eine oder keine Zukunft gibt. Irgendetwas, damit diese Gefühle aufhören.

Es ist schön verknallt zu sein, aber es tut so weh.

Mein Kopf, meine Seele, mein Herz sind in Gedanken so oft bei ihm, dass ich mich nicht erholen kann.

Jedes Mal, wenn ich im Café bin, hoffe ich, dass du aus irgendeinem Grund vorbeikommst.

Jedes Mal, wenn ich zur Uni gehe, hoffe ich, dass ich dich auf dem Campus sehe.

Jedes Mal, wenn ich in der Stadt unterwegs bin, hoffe ich, dass ich auf dich treffe.

Jedes Mal, wenn ich etwas mit Freunden unternehme, hoffe ich, dass dich jemand kennt und mitnimmt.

Ich kann meine Gedanken nicht kontrollieren, sie kontrollieren mich. Und ich mag das nicht. Ich erkenne mich selbst nicht wieder. Normalerweise reicht ein kleines Manko, um eine beginnende Verknalltheit auszulöschen, aber nicht bei dir.

Ich hab keinen Zugang zu meinen Gefühlen, ich lerne zwar immer mehr sie zu benennen, aber manchmal überschwemmen sie mich geradezu. Ich wirke im Grunde sehr rational und beherrscht, aber in mir brodelt es immer. Brodelt es so lange, bis sie ausbrechen und ich innerlich unglaublich unruhig werde.

Gerade eben bin ich sowohl unruhig als auch absolut energielos. Ich sitze den ganzen Tag im Bett, habe ein bittersüßes Buch gelesen, was meine Stimmung zu sehr beeinflusst hat und grüble.

Gestern war ich noch der Meinung, dass ich dir schreiben sollte, schließlich sehe ich dich die nächsten zwei Wochen nicht, weil ich in Schweden bin. Heute morgen wollte ich das nicht mehr, weil es alles so unangenehm machen würde. Die Leute im Café sind wie eine Familie, zu der ich dazugestoßen bin. Jetzt will ich dir schreiben, weil ich sonst platze. Jetzt schreibe ich hier, sodass meine Worte zwar gelesen werden, aber nichts kaputt machen. Nichts außer meine ohnehin schon kaputte Emotionalität.

Ich werde diese Gefühle begraben. Hoffentlich. Vielleicht. Ich will diese Gefühle nicht begraben.

Ich werde sie überwinden. Vielleicht.

Vielleicht schreibe ich dir doch noch. Ich weiß es nicht.