Heimat... anders ließ sich das Gefühl nicht beschreiben, als Josh's Arme sich fest um Gwen schlossen. Ihr bester Freund vergrub sein Gesicht in den roten Locken und wiegte sie leicht hin und her. Dann löste er sich zögernd von der jungen Frau und legte seine Hände an ihre tränenfeuchten Wangen. Seine dunklen Augen suchten in den ihren nach der Vertrautheit, die seit Jahren zwischen ihnen herrschte. Dann nahm er ihre Hand und zog sie unter dem Baum weg.
„Gwenny, mein Mädchen... Du siehst echt scheiße aus!" sagte er und sah sie ernst an. Für ein paar Herzschläge erwiderte Gwendolyn fassungslos seinen Blick, dann brach sie in helles Gelächter aus. Um Josh's Lippen zuckte es und kurz daraufhin kicherte der Omega gemeinsam mit ihr um die Wette. Beide ließen sich rückwärts in die Wildblumen plumpsen und sahen der Wolke von bunten Schmetterlingen zu, wie sie der Wind davontrug.
„Josh?"
„Hm?"
Gwen rollte sich zur Seite und sah ihren besten Freund traurig an. Genauer gesagt, die Markierung eines Alphabisses auf seiner linken Schulter.
„Es tut mir so leid! Wäre ich nicht gewesen, dann hättest du den blonden Scheißkerl nie angegriffen und wärst nicht unvorbereitet und vorzeitig in Hitze geraten. Und dann hättest du auch nicht den Besitzanspruch eines Alphaclans auf dir! Es ist alles meine Schuld!"
Der Omega richtete sich nun ebenfalls auf und schüttelte ruhig den Kopf.
„Nein, Gwen... das ist weder deine Schuld noch meine. Also hör auf, dich fertig zu machen. Vielleicht sollte es einfach so kommen und ich muss zugeben, dass Duncan und sein Zirkel mich tatsächlich positiv überrascht haben. Sie sind anders als die Alpha Clans, die wir uns immer als abschreckende Beispiele angeschaut haben."
„Heißt das, du fühlst dich echt bei denen wohl? Ich meine... Alphas sind besitzergreifende Vollidioten, die nur mit ihren Schwänzen denken!"
Josh grinste schräg und zuckte mit den Achseln. „Ich will jetzt nicht sagen, dass mein Clan nicht mit seinen Schwänzen denkt, aber da ist auch mehr, Gwen. Ich hab mich noch nie so sicher gefühlt wie in dem Moment, als ich zum ersten Mal mein Nest bei ihnen gebaut habe. Sie geben mir Geborgenheit und mehr Schmuseeinheiten als ich vertragen kann, nein! Streich das... Omegas und Epsilons können gar nicht genügend Schmuseeinheiten bekommen. Du siehst, ich komme voll auf meine Kosten! Wenn ich ein Albtraum habe, schnapp ich mir einfach einen meiner Jungs und die kuscheln mich dann dadurch. Sie sorgen für mich und sie sorgen sich UM mich. Vor allem Rafe. Ich weiß, man sieht es ihm nicht an, aber der Mann ist ein Softi... MEIN Softi. Und gleichzeitig mein größter Beschützer."
„Beschützer? Meinst du nicht eher Gefängniswärter?" fragte Gwen bitter.
Josh seufzte leise und machte eine ausholende Bewegung mit der Hand.
„Sieht das hier für dich nach einem Gefängnis aus? Denkst du wirklich, wenn ich in einem Gefängnis sitzen würde, könnte ich hier mit dir auf dieser Wiese liegen, ohne dass mindestens zwei oder drei von ihnen um uns herumstehen und jedes Insekt anknurren, dass mir zu nah kommt... Es ist nicht so wie wir immer gedacht haben. Es ist auch nicht so wie in den Horror Geschichten, die wir uns in den Bibliotheken aus den Geschichtsbüchern reingezogen haben. Omegas und Epsilons sind keine Fickspielzeuge. Wir sind wertvoll für sie... kostbar und sie würden alles tun, um uns zu beschützen... und dafür Sorge tragen, dass es uns gut geht und dass wir glücklich sind. Ist das wirklich so schlimm?"
Unwillig rückte Gwendolyn von ihrem besten Freund ab. Bis vor zwei Stunden hätte sie sich vermutlich einlullen lassen. Aber dann schoss wieder das Bild von Tjorben durch ihren Geist, von seinem Stöhnen, als Sabina ihn auf die Markierung der Epsilon geküsst hatte. Übelkeit stieg in Gwen auf und sie erhob sich schwankend.
„Du klingst, als hättest du eine Gehirnwäsche bekommen! Erinnerst du dich nicht mehr daran, wie sie uns immer behandelt haben... in der Schule oder wenn wir auf Alphas in der Stadt trafen? Sie sind nicht gut! Und sie sind vor allem nicht treu. Denkst du wirklich, dass dein Clan hier die große Ausnahme bildet?"
Tränen ließen ihre Wangen wie Diamanten funkeln und sie verschränkte bockig die Arme vor der Brust. Josh sprang auf und fauchte: „Was soll das, Gwen? Seit wann hörst du auf Vorurteile und Klischees? Warum versuchst du mir das Glück, dass ich gefunden habe, auszureden? Warum versuchst du es schlecht zu machen? Was ist passiert, dass du so unglaublich engstirnig geworden bist?"„Das würde ich auch gerne wissen," sagte eine tiefe Stimme und Gwendolyn wirbelte herum. Hinter ihr stand ein dunkelhäutiger Mann von gut zwei Metern Körpergröße und sah missmutig auf sie herunter.
„Gwen, das ist Rafe. Einer meiner ‚Gefängniswärter', wie du so schön gesagt hast."
Die junge Frau wich vor der Alpha zurück, dann sah sie Josh gekränkt an.
„Ja, wir sind hier völlig allein, nicht wahr? Wo ist der Rest deines ach so tollen und großmütigen Clans, hm?" höhnte Gwen und in Rafe's blitzte es drohend auf. „Vorsichtig, Kleines... Mir gefällt dein Ton nicht!" knurrte der Riese mit seiner unfassbaren tiefen Stimme.
„Pfff..." schnaubte die Epsilon abfällig und stemmte die Fäuste in die Hüften. Dann sah sie wütend zu Josh und sagte kalt: „Du hast ja so recht! Dein Zirkel ist wirklich anders! Absolut nicht überheblich und so fair anderen gegenüber!"
Dann wandte sie sich an den bereits stink wütenden Alpha und zischte: „Und du... Du solltest dich hier echt raushalten! Josh ist seit über 14 Jahren MEIN bester Freund. Hast du gehört? MEINER! Du und deine blöden Mit-Alphas kennt ihn seit fünf verschissenen Minuten und da glaubst du, du hättest irgendein Mitspracherecht? Nur weil ihr eure kümmerlichen Schwänze nicht in der Hose behalten konntet, kann Josh jetzt seinen Berufswunsch als Kinderarzt vergessen, weil er in euren Scheiß-Nest liegen, eure Knoten nehmen und jährlich Nachwuchs in die Welt setzten muss!"
Als das letzte Wort ihrer Schimpftirade ihre Lippen verlassen hatte, wusste Gwen, dass sie den Bogen weeeeeit überspannt hatte.
Klar, sie wusste auch, dass sie Josh Unrecht getan hatte, dass sie ihren Frust, die Wut und den Schmerz über Tjorbens Verrat an ihm ausgelassen hatte, aber sie konnte einfach nicht mehr!
Rafe warf mit einem Wutbrüllen seinen Kopf in den Nacken und Josh rief: „GWEN... LAUF!"
Zeitgleich stürzte der Omega sich auf seinen Alpha, um ihn daran zu hindern, seine eindeutig zutiefst seelisch verletzte beste Freundin in Stücke zu reißen.
Und Gwen machte genau das, was er ihr aufgetragen hatte...
Tränenblind rannte sie durch den Wald und haderte mit sich selbst.
Sie war ja so ein Miststück!
Da warf sie den Alphas vor, ihren besten Freund unfair zu behandeln und was machte sie?
Heulend wich die junge Frau den dicken Baumstämmen aus und verfluchte sich selbst, verfluchte den Clan, der ihr ihren Josh weggenommen hatte und verfluchte Tjorben und die Mistkröten von Cousinen.
Die schwere Feuchtigkeit in der Luft war der erste Hinweis, das donnernde Rauschen des Wildwassers der zweite und Gwen fand sich am Felsvorsprung über dem Fluss wieder.
Betäubt starrte sie in die Ferne, wo die scharfe Kante im Flussbett den Wasserfall anzeigte. Die Sonne glitzerte auf den Wellen der Strömung und kleine Wasservögel schossen geschäftig darüber hinweg um sich die tanzenden Insekten einzuverleiben. Es war so idyllisch... friedlich...„..en!"
Verwirrt drehte Gwendolyn den Kopf in Richtung des Waldes.
„Gweeeeen?"
„Gwendolyn?"
Echt jetzt? Konnte sie nicht einmal eine Stunde für sich haben, in der sie sich in aller Ruhe selbst verachten und hassen konnte? War das wirklich zuviel verlangt?
EINE EINZIGE VERDAMMTE STUNDE?„Kätzchen?!"
Gwen verzog die Lippen zu einem Fauchen, als sie Tjorbens Stimme ausmachte.
Noch waren die Alphas des Königclans weit genug entfernt, aber die junge Frau war sich sicher, dass es dem Tracker Kai nicht schwer fallen würde, sie innerhalb weniger Minuten ausfindig zu machen.
‚Oh, nein! Diesmal nicht!' dachte die Epsilon, drehte sich mit einer schwungvollen Bewegung um und sprang kurzentschlossen in den Fluss, dessen starke Strömung sie auch sofort mit sich riss.
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In einem Feld voller Schmetterlinge
Fantastik„Du bist eine Epsilon, deine Pflicht ist es deinem Alpha-Clan Kinder zu gebären.." Ja, ja, ja... das war ihre Gott verdammte Pflicht, weil sie in der genetischen Lotterie des Lebens die A-Karte gezogen hatte. Gwendolyn hatte jedoch nicht vor, sich...