Wieder einmal saß Emilia bei mir beim Nachsitzen. Beinahe täglich trafen wir uns in der neunten Stunde. Für gewöhnlich gab ich ihr Aufgaben, die sie dann erledigen sollte. Doch heute änderte ich meine Taktik.
Ich stand an meinem Pult und hielt die Aufgabenblätter in der Hand, die ich für sie vorbereitet hatte. Ich sah auf die Blätter. Dann steckte ich sie wieder in meine Tasche.
Emilia beobachtete mich irritiert. "Chillen wir heute mal?", fragte sie. Hoffnungsvoll grinste sie mich an.
Ich aber schüttelte meinen Kopf. Ich nahm mir einen Stuhl und setzte mich an ihren Tisch. Nun saßen wir uns genau gegenüber. Eine Weile schauten wir uns einfach an. In ihren Augen konnte man sich problemlos verlieren.
"Was verheimlichst du?", flüsterte ich.
"Was?", fragte Emilia.
"Wozu diese ganze Show? Du bist nicht dieses unberechenbare Mädchen, dem alles egal ist und das ständig mit ihren Lehrern aneinandergerät. Ich kenn dich ganz anders. Ich glaube, dass das alles eine Fassade ist. Es gibt irgendetwas, von dem du nicht willst, dass es andere erfahren", sagte ich.
Ein Blick in Emilias Augen verriet mir, dass ich recht hatte.
"Was ist es?", fragte ich.
Ich sah pure Angst in Emilias Augen aufblitzen.
"Ich ... ich", stammelte sie. Sie schluckte schwer. "Da gibt es nichts", sagte sie.
"Du musst es mir nicht sagen, wenn du nicht willst. Aber du sollst wissen, dass ich da bin, wenn du reden willst", sagte ich.
"Du brauchst dir keine Sorgen um mich machen. Ich komme klar", sagte sie.
"Danach habe ich auch nicht gefragt", sagte ich.
"Sind wir fertig? Kann ich gehen?", fragte sie mich. Obwohl die Stunde noch nicht vorbei war, nickte ich.Am nächsten Morgen kam Emilia zu spät. Ohne Entschuldigung oder Erklärung ließ sie sich auf ihren Stuhl fallen und zog ihre Kapuze tief ins Gesicht. Trotzdem erkannte ich ihren Zustand sofort. Wie konnte sie sich das nur antun? Am liebsten hätte ich sie jetzt in den Arm genommen und ihr versprochen, dass alles wieder gut werden würde. Aber vor mir saßen 27 weitere Schüler und die dachten wir würden uns hassen.
Ich erteilte meinen Schülern einige Aufgaben. Emilia machte sich noch nicht einmal die Mühe einen Stift herauszuholen. Stattdessen saß sie auf ihrem Stuhl und starrte ins Leere.
Noch nie in meinem Leben war ich so froh, als es zum Ende der Stunde klingelte.
"Emilia, du bleibst noch hier", sagte ich. Doch sie reagierte nicht. Entweder sie hatte mich nicht gehört oder sie ignorierte mich einfach.
Ich folgte ihr durchs ganze Schulgebäude. Immer wieder rief ich ihren Namen. Doch sie blieb nicht stehen. Erst in der Raucherecke holte ich sie ein. Sie war gerade dabei sich einen Joint zu drehen. Ich riss ihn ihr aus der Hand und warf ihn weg.
"Bist du völlig bescheuert? Hör auf so einen Scheiß zu machen!", sagte ich.
"Lass mich in Ruhe!", zischte sie.
"Nein", sagte ich bestimmt.
"Kümmer dich um dein eigenes Leben!", sagte sie.
"Ich werde nicht dabei zusehen, wie du dein Leben wegwirfst", sagte ich.
"Was kümmert es dich? Ich kann dir doch egal sein", sagte sie.
"Du bist mir nicht egal", erwiderte ich. Überrascht über meine eigene Aussage, riss ich die Augen auf.
"Was?", fragte Emilia und kam einen Schritt auf mich zu.
"Nichts", murmelte ich.
Emilia kam noch einen Schritt auf mich zu. Sie stand nun so nah vor mir, dass unsere Nasenspitzen sich berührten. Ich hatte keine andere Möglichkeit als ihr tief in die Augen zu sehen. Ihre Augen waren so wunderschön. Sie faszinierten mich auf eine Art und Weise, die ich nicht erklären konnte.
Als ich die Spannung nicht mehr aushalten konnte, entwich mir ein leises Stöhnen. Erschrocken starrte ich Emilia an und wich einen Schritt zurück. Doch sie grinste mich bloß an.
"Was war das?", fragte sie.
"Nichts", murmelte ich.
"Hast du Gefühle für mich?", fragte sie mich.
"Blödsinn. Ich steh nicht auf Frauen", sagte ich.
"Das hab ich anders in Erinnerung", sagte sie. Grinsend ließ sie mich stehen.
Nach einem Schockmoment kam ich zurück in die Realität. "Emilia, bitte hör mit den Drogen auf", sagte ich.
Sie zwinkerte mir zu und ließ mich dann endgültig stehen.Das ganze Wochenende tigerte ich in meiner Wohnung auf und ab. Ich konnte mich auf nichts konzentrieren. Selbst meine Unterrichtsvorbereitung hatte ich aufgeschoben.
Emilia geisterte mir die ganze Zeit durch den Kopf. Ich machte mir Sorgen um sie. Ich musste unbedingt wissen, wie es ihr ging. Doch natürlich hörte ich nichts von ihr. Sonntagmittag hielt ich es nicht mehr aus. Ich durchforstete mein Handy nach ihrer Nummer. Ich musste sie von unserer Nacht in Vegas noch gespeichert haben. Tatsächlich fand ich sie auch. Was sollte ich ihr bloß schreiben? Wahrscheinlich sollte ich ihr gar nicht schreiben und ihre Nummer löschen. Alles andere wäre wirklich unprofessionell. Aber ich musste unbedingt ein Lebenszeichen von ihr bekommen.
Hi,
Hier ist
Was sollte ich bloß schreiben? Frau Yılmaz? Über diesen Punkt waren wir längst hinaus. Aber Leyla? Ich zuckte mit den Achseln. Was sollte es? Wir waren verheiratet. Es war sowieso albern.
Hier ist Leyla. Ich wollte mich erkundigen, wie es dir geht?
LG
Ich starrte auf mein Handy. Ich wollte unbedingt eine Nachricht von ihr. Doch sie war offensichtlich nicht online. Was meine Sorge um sie noch wachsen ließ. Was war, wenn ihr was passiert war? Vielleicht hatte sie noch mehr Drogen konsumiert oder sie hatte zu viel getrunken? Oder was war, wenn sie in falsche Hände geriet? Was wenn ein schmieriger alter Lappen sie in ihrem Zustand aufgegabelt hatte?
Erneut lief ich in meiner Wohnung auf und ab. Was sollte ich bloß tun? Ich konnte hier nicht einfach sinnlos rumsitzen. Sollte ich sie suchen? Aber wo sollte ich anfangen? Vielleicht sollte ich ihre Eltern anrufen? Aber das käme sicherlich komisch.Plötzlich klingelte mein Handy. Ich sprintete sofort zum Küchentisch, wo ich es liegen gelassen hatte. Es war tatsächlich Emilia.
Falls du wissen wills ob ich was eingeschmissen hab hab ich nich
Erleichtert ließ ich mich auf einen Küchenstuhl fallen.
Zum Glück
Ich hatte fr einfach nen schlechten tag
Irgendwie schockierte mich ihre Nachricht. Machte sie das öfter? Wenn es ihr nicht gut ging, zu Drogen zu greifen? Mit einem Mal hatte ich das Gefühl, dass es ihr nicht gut ging und dass sie mehr zu tragen hatte als ihre Mitschüler.
Mach das bitte nicht nochmal
Sofort kam Emilias Nachricht zurück. Sie schien wieder ganz die alte zu sein.
Wieso? Sorgst du dich etwa um mich?
Ich seufzte.
Das weißt du doch...
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What happens in Vegas, stays in Vegas
Roman d'amourLeyla reist nach Las Vegas und verbringt dort eine verhängnisvolle Nacht mit der jungen Emilia. Am nächsten Morgen beschließen die beiden getrennte Wege zu gehen und nie wieder ein Wort über die Geschehnisse der letzten Nacht zu verlieren. Was aber...