Zufällige Berührungen

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Dass mich Emilia, nachdem mir unweigerlich dieses Stöhnen entwichen war, nicht mehr in Ruhe lassen würde, hätte mir eigentlich klar sein müssen.
Ständig berührten sich - rein zufällig - unsere Finger oder Arme. Ich versuchte ihr so gut es ging aus dem Weg zu gehen. Allerdings gestaltete sich das nicht so ganz einfach, da sie fast täglich beim Nachsitzen saß und ich meist eine ganze Stunde alleine mit ihr verbringen musste. Ich war versucht ihr kein Nachsitzen mehr aufzubrummen, doch das warf noch mehr Fragen auf.
Also ließ ich ihre Annäherungsversuche über mich ergehen. Meist ging ich dann nach der Schule erst einmal eine ausgedehnte Runde laufen, um die Anspannung wieder los zu werden.

"Hi", sagte Emilia und stand grinsend vor mir. Wieder einmal warteten quälende 45 Minuten auf mich.
"Hallo", sagte ich und schloss genervt den Klassenraum auf.
Heute setzte sich Emilia direkt vor das Lehrerpult. Konnte sie sich nicht wenigstens in die letzte Reihe setzen? Dann könnte ich wenigstens so tun, als wäre sie nicht da.
"Was steht heute an?", fragte sie mich.
"Was?", fragte ich verwirrt.
"Welche Aufgaben soll ich heute erledigen?", fragte sie mich.
In dem Moment fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich hatte vergessen ihr Aufgaben mitzubringen. Wie konnte mir das nur passieren? Ich musste ihr aber unbedingt etwas zu arbeiten geben, sonst würde sie die gesamte Stunde damit verbringen mich zu provozieren. Zum Glück kam mir eine rettende Idee.
"Du hilfst mir heute dabei die Mathetests der Fünftklässler zu korrigieren", sagte ich.
Verwundert sah sie mich an. Dann verzogen sich ihre Mundwinkel zu einem breiten Grinsen. "So bekommt man also eine billige Arbeitskraft?", fragte sie.
"Wegen dir sitze ich überhaupt hier. Also kannst du ruhig mal was für mich tun", sagte ich.
"Ich tu auch gerne noch was ganz anderes für dich", sagte sie und grinste mich schelmisch an.
Ich überging den Kommentar und holte die Tests aus meiner Tasche. Die Hälfte gab ich Emilia.
"Wenn es richtig ist, machst du einen Stempel darauf. Ansonsten unterstreich das falsche Ergebnis. Sag mir nachher, was sie falsch gemacht haben, okay?", sagte ich.
"Stempel? Das ist ja wie in der Grundschule", sagte Emilia.
"Die sind ja auch noch klein", sagte ich.
Emilia nickte und machte sich dann an die Arbeit.
Aus den Augenwinkeln beobachtete ich sie dabei, wie sie den ersten Test las.
Sie zog ihre Stirn zusammen. "Also, soll ich das alles nachrechnen?", fragte sie.
"Ja", sagte ich.
"Im Kopf?", fragte sie mich.
Ich grinste. "Kannst du das nicht?", fragte ich sie. Diesmal wollte ich sie provozieren. "Doch. Aber das dauert ja voll lange", sagte sie.
"Dann nimm dein Handy", sagte ich. Das ließ sich Emilia nicht zweimal sagen.
Eine ganze Weile arbeiteten wir schweigend.
"Ähm ... ich weiß nicht, ob das richtig ist", murmelte Emilia und sah mich fragend an. Ich stand auf und kam um das Pult herum, um einen Blick auf das Blatt zu werfen. "Also, das Ergebnis ist richtig. Aber irgendwie ist die Rechnung komisch", sagte sie.
Ich sah mir die Aufgabe an. "Er hat abgeschrieben. Mit der Rechnung kommt er nicht auf das Ergebnis", sagte ich.
"Und jetzt?", fragte Emilia.
"Sind die anderen Aufgaben richtig?", fragte ich.
Emilia nickte.
"Dann mach ein falsch dran", sagte ich.
"Der kriegt keinen Ärger?", fragte Emilia überrascht.
"Es ist nur ein Test, um zu sehen, was sie schon können. Der wird nicht benotet", sagte ich.
Plötzlich hob Emilia ihren Kopf und sah mir in die Augen. Wieder einmal waren wir uns viel zu nah.
"Alles gut bei dir?", fragte mich Emilia.
"Mhm", sagte ich ohne den Blick von ihr zu nehmen.
"Warum atmest du dann so schwer?", fragte sie mich. Weil mein verdammtes Herz wie wild schlägt, wenn du in meiner Nähe bist!
Doch das sagte ich ihr nicht.
"Es ist stickig hier drinnen", log ich.
"Meinst du nicht eher heiß?", fragte sie mich. Emilia grinste mich wissend an. Sie wusste ganz genau, warum ich so reagierte.
"Halt die Klappe!", zischte ich.
Und dann verlor ich beinahe meinen inneren Kampf. Sie löste etwas in mir aus, was nicht sein durfte. Wenn sie in meiner Nähe war, hämmerte mein Herz in meiner Brust wie ein Presslufthammer. Konzentrieren konnte ich mich sowieso nicht mehr.
Ich brachte schnell etwas Abstand zwischen uns.
"Angst vor deinen eigenen Gefühlen?", fragte sie mich.
"Ich hab dir schonmal gesagt, dass ich Frau Yılmaz für dich bin", sagte ich.
"Na gut. FRAU YILMAZ, haben SIE  Angst vor IHREN eigenen Gefühlen?", fragte sie.
"Nein. Aber ich will dich auch nicht verletzen. Trotzdem bin ich hetero. Ich steh nicht auf Frauen", sagte ich. Konnte sie das nicht langsam mal verstehen?
"Du verletzt mich nicht. Du belügst dich nur selber. Aber ich kann auf dich warten", sagte sie. Dann stand sie auf und ging. Mit offenem Mund starrte ich ihr hinterher.
Sie war anders als ihre Mitschüler. Sie sagte, was sie fühlte und sie spielte keine Spielchen.
Und ich hatte Angst. Angst vor dem Tag, an dem ich meine Beherrschung verlor und mich ihr hingab. Angst vor dem Tag, an dem mir alles egal wurde und ich alles aufs Spiel setzte. Und ich hatte Angst vor ihr. Ein Blick genügte, um auf meine verletzte Seele schauen zu können und das tat sie von dem Tag an, an dem wir uns kennengelernt hatten. Ich hatte Angst davor, was sie noch alles entdecken könnte.

What happens in Vegas, stays in VegasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt