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Wincent

Fuck! Was hatte ich ihr gerade angeboten? Ich hatte doch von diesem ganzen Kram absolut keinen Plan. Ich fand Menschen natürlich immer noch am schönsten.
„Ähm... Du kannst es einfach abmachen. Er checkt es sowieso, wenn ich Make-up drauf habe", antwortete Anna und ich war etwas erleichtert.
„Okay." Ich sah mich im Bad um und fand dann etwas, was so aussah, als könnte es hilfreich sein.
Tatsächlich ging es ganz gut und einige Minuten später hatte ich wieder die Anna vor mir, die ich kannte. Gut, sie sah wirklich etwas mitgenommen aus, was wir ihrem Vater erst einmal irgendwie erklären mussten. Ich war immer noch für die Wahrheit, aber ich wusste, dass ich Anna nicht so schnell davon überzeugen konnte. Irgendwo verstand ich sie auch, aber es half ihr perspektivisch nicht weiter.
„Bereit für Frühstück?", fragte ich sie.
„Ich glaube nicht. Hab keinen Hunger", kam als Antwort.
„Du hast vor..." Ich sah kurz auf mein Handy. „... dreieinhalb Stunden Schokolade in Mengen gegessen und hast jetzt keinen Hunger?"
„Ich denke, ich gehe einfach wieder ins Bett", murmelte sie.
„Anna. Du hast gestern schon nichts gegessen. Komm schon, nur ein kleines bisschen etwas."
„Ich will nichts essen."
„Anna, bitte. Nur ein halbes Brötchen. Oder eine Scheibe Toast", bettelte ich.
Wenn sie nichts aß, würde sie wieder in den Kreislauf abrutschen, vor dem ich sie bewahren wollte.
„Ich habe wirklich keinen Hunger. Sorry."
„Dann isst du aber heute Abend etwas."
„Okay."
Sie wollte aus dem Bad gehen.
„Anna?"
Sie blieb stehen und drehte sich zu mir um.
„Wenn etwas ist, meld dich bitte, okay?"
„Mach ich."
Ich sah ihr nach, wie sie wieder ins Schlafzimmer ging. Fritz folgte ihr und so ging ich in die Küche zurück. Tim saß noch immer am Tisch und las Zeitung.
„Und?", fragte er.
„Sie will noch nichts essen, sondern ist wieder schlafen gegangen", antwortete ich.
„Komisch. So müde kenne ich sie gar nicht."
Irgendwie bekam ich ein schlechtes Gewissen, als ich mich wieder an den Tisch setzte. Annas Vater hatte die Wahrheit verdient, aber es war nicht meine Aufgabe, ihm das zu sagen. Ich musste es irgendwie schaffen, Anna davon zu überzeugen, es selbst zu tun. Und das so bald wie möglich. Vielleicht fiel Marco heute Abend ja etwas ein, obwohl ich ihm auf keinen Fall sagen würde, worum es ging. Anna hatte es mir anvertraut und ich würde das für mich behalten.
Tim vertiefte das Thema zu meiner Erleichterung auch nicht weiter und wir unterhielten uns während des Frühstücks über meine Autos. Immerhin waren wir gestern nicht mehr dazu gekommen. Und mit Tim konnte man ganz entspannt quatschen. Also als Schwiegervater nahm ich ihn.
Stopp! Wincent! Zügel deine Gedanken!

Annalena

Ich nickte wirklich nochmal kurz weg, zumindest bis Fritz einen Aufstand in meinem Zimmer veranstaltete. Konnte er nicht einmal schlafen, wenn es drauf ankam?
„Anna?", kam es leise von Wincent.
Ich gab etwas Undeutliches von mir.
„Ich fahr ans Set, okay? Dein Vater ist ja da und ansonsten kannst du dich immer melden."
„Okay", murmelte ich.
„Bis dann und pass auf dich auf, Maus", sagte Wincent und gab mir einen Kuss auf die Stirn.
„Ciao. Viel Spaß", erwiderte ich.
Ich hörte noch, wie Wincent kurz mit meinem Vater sprach, dann bellte Fritz und als letztes wurde die Tür ins Schloss gezogen. Kurz darauf hörte ich sich nähernde Hundepfoten und ging davon aus, dass Fritz sich wieder neben das Bett gelegt hatte. Ich war so fertig, dass mir die Augen zufielen und ich lange schlief.
Gegen Mittag wachte ich wieder auf und stellte fest, dass ich in Wincents Anwesenheit deutlich besser geschlafen hatte. Dennoch fühlte ich mich etwas besser. Vorsichtig stand ich auf und ging ins Badezimmer. Anschließend zog es mich in die Küche, denn dort war der Wasservorrat. Allerdings kam ich nicht bis dahin, denn ich hörte meinen Vater reden. Offenbar telefonierte er mit jemandem. Ich blieb stehen.
„Ich bin seit gestern wieder Zuhause... Ja... Alles gut. Wir kommen zurecht... Heute Abend?... Bier?... Klingt gut. Machen wir so... Dann bis später, Klaus."
Nein! Klaus heute Abend hier bedeutete, dass ich weg musste. Erstens mochte Fritz keine fremden Männer und zweitens konnte ich unmöglich hier sein. Meine Albträume, die Angst alleine zu sein. Das ging nicht.
Ich lief in die Küche und dachte fieberhaft über eine Lösung nach. Und es gab eigentlich nur eine einzige.
Mit zwei Flaschen Wasser ging ich in mein Zimmer zurück. Die Flaschen stellte ich auf den Schreibtisch und dann nahm ich mein Handy zur Hand. Kurz überlegte ich, aber schließlich ließ ich den Chat öffnen und eine Sprachnachricht starten.
„Hey Wincent. Keine Sorge, mir geht es soweit gut. Ich wollte nur mal fragen, was du heute Abend machst. Mein Vater bekommt Besuch und da will ich eigentlich nicht Zuhause sein... Ich weiß, das klingt vielleicht etwas komisch, aber kann ich bei dir übernachten? Ich weiß nicht, ob ich das alleine sein kann... Gut, ab morgen Abend muss ich das eh, aber da bin ich wieder in Berlin. Das wird leichter. Glaub ich."
Ich legte mein Handy wieder weg, da Wincent sicherlich noch beim Dreh war. Da sah er bestimmt nicht auf sein Handy. Alleine sein konnte ich wirklich nicht mehr, stellte ich fest und hatte mich gerade dazu durchgerungen, Fritz aufs Bett zu lassen. Allerdings klopfte es in diesem Moment an der Zimmertür.
„Anna?"
„Ja?"
„Darf ich rein?", fragte mein Vater.
„Klar."
Ich hörte die Tür aufgehen und dann einige Schritte.
„Hast du etwas vor für heute?", wollte er wissen.
„Nein. Noch nicht."
„Hast du Lust auf ein bisschen frische Luft? Wir könnten ein wenig in die Innenstadt gehen. Seit du weggezogen bist, waren wir da nicht mehr."
„Klingt sehr schön", antwortete ich und meinte es auch wirklich so.
„Super. Ach, kann Steffi mitkommen?"
„Natürlich, Papa. Da brauchst du nicht fragen", lachte ich.
„Gut. Dann sag ich ihr Bescheid."
„Ich ziehe mich in der Zwischenzeit mal an", antwortete ich.
„Alles klar." Mein Vater ließ mich alleine und ich ging zu meinem Koffer und nahm Klamotten heraus.
Dann lief ich ins Bad und machte mich fertig. Allerdings hatte ich mal wieder meine Smartwatch im Schlafzimmer liegen lassen und ging zurück.
„Du hast eine neue Nachricht", verkündete mein Telefon.
Schnell griff ich danach und ließ sie öffnen.
„Hey Anna. Das freut mich wirklich. Heute Abend kommt mein bester Freund aus Eutin nach Hamburg, aber das ist nicht so wild. Ich kann mit ihm ja in die Hotelbar gehen, wenn du alleine sein willst... Vorausgesetzt, das ist okay. Ich bin auf jeden Fall nicht so weit weg... Sag mal, wie kommst du morgen nach Hause? Soll ich dich mitnehmen? Ich muss eh nach Berlin. Ich würde nach dem Dreh einfach zu dir kommen und dann ziehen wir los, okay? Bis später."
Mein Herz machte einen kleinen Sprung. Dieser Mann war einfach zu gut für diese Welt. Und vor allem zu gut für mich.
„Das klingt nach einem tollen Plan. Genieß ruhig die Zeit mit deinem besten Freund. Da will ich gar nicht stören... Und was Berlin angeht. Das wäre super nett. Nochmal Zug fahren muss ich nicht unbedingt haben. Ich freue mich auf nachher. Ich mache jetzt mit Papa, Fritz und Steffi die Innenstadt unsicher."
Während ich auf eine Antwort wartete, nahm ich meine Smartwatch vom Nachttisch und band sie mir um. Sie vibrierte kurz und da wusste ich, dass eine neue Nachricht angekommen war. Genau dafür liebte ich meine Uhr.

„Du machst die Innenstadt unsicher? Dann ist ja gut, dass ich gleich wieder ins Studio muss." Er lachte und die Schmetterlinge in meinem Bauch tanzten. „Ich wünsche dir ganz viel Spaß. Ich freue mich auch auf heute Abend. Vergiss essen und trinken bitte nicht."
Also das mit dem Essen konnte schwer werden, aber das verriet ich ihm natürlich nicht.
„Danke. Viel Spaß bei der Arbeit."
„Anna?! Kommst du?", rief mein Vater.
Ich packte das Handy ein und ging in den Flur. Fritz folgte mir und stand kaum still, während ich meine Schuhe anzog und ihn dann anleinte.
„Hier die Leckerlis", sagte mein Vater und reichte mir die Tasche.
„Danke."
„Können wir?"
„Ja. Ich hab alles", antwortete ich und dann ging ich mit ihm und Fritz die Treppen nach unten.
„Hallo Anna", wurde ich unten von Steffi begrüßt und sie umarmte mich kurz.
„Hey Steffi."
„Bereit?", fragte sie und ich nickte.

Bin ich für sie blind? Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt