Strandtag

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"Morgen, Schatz", flüsterte Emilia und gab mir einen Kuss.
Sie war bereits vollständig angezogen.
"Wie spät ist es?", fragte ich, als ich die Sonnenstrahlen bemerkte.
"Fast Mittag", antwortete sie.
"Was?", fragte ich. Ich konnte unmöglich 12 Stunden geschlafen haben.
"War wohl sehr anstrengend", murmelte Emilia und lächelte verschmitzt.
"Du hast mich viermal kommen lassen", sagte ich.
"Geplant waren zwei", sagte sie.
Daraufhin wurde ich rot.
"Warum bist du angezogen?", fragte ich sie.
"Wenn wir das ganze Wochenende im Bett verbringen wollen, hätten wir uns auch in deiner Wohnung treffen können. Ich will an den Strand", sagte sie.
Skeptisch sah ich sie an. "Ich geh nicht schwimmen", sagte ich.
"Dabei habe ich dir extra ein paar Schwimmflügel besorgt", sagte sie.
"Du bist fies", sagte ich.
Emilia beugte sich zu mir herunter, um mich zu küssen. Doch ich drehte mich weg. Ich wollte sie schmollen lassen, obwohl ich nichts lieber hätte als ihre Lippen auf meinen zu spüren.
"Ich bring es dir bei", sagte sie. Dann vereinigte sie doch unsere Lippen.
"Schwimmen?", fragte ich.
"Ja", bestätigte sie.
"Ich bin eine gute Schwimmerin", sagte sie.
Ich stöhnte. Natürlich war sie das. Emilia war eine Sportskanone.
"Warum kannst du nicht schwimmen?", fragte Emilia.
"Weil es mir keiner beigebracht hat", sagte ich. Emilia fing meinen Blick auf. Dann nickte sie. Sie hatte mich verstanden.
"Ich bringe es dir bei", wiederholte Emilia.
"Und wenn ich das nicht will?", fragte ich.
"Schatz, du musst schwimmen können. Das ist zu gefährlich", sagte sie.
Ich nickte, weil ich wusste, dass sie recht hatte. Jährlich ertranken Leute und meistens konnten sie sogar schwimmen.
"Na schön. Aber nicht heute Abend. Da haben wir was vor", sagte ich.
"Ach ja?", fragte Emilia.
"Ja", sagte ich und nickte zustimmend. "Wir gehen aus. Das ist unsere einzige Gelegenheit ein ganz normales Paar zu sein", sagte ich.
Emilia grinste. Ich wusste, dass ihr die Idee genauso gefiel wie mir.
"Ich tanze nicht", sagte Emilia.
"Das werden wir noch sehen", sagte ich.
Dann kletterte ich endlich aus dem Bett. Ich merkte, wie mich Emilia grinsend abcheckte, während ich nackt vor dem Kleiderschrank stand. Grinsend drehte ich meinen Kopf zu ihr. "Ich dachte, du wolltest zum Strand", sagte ich und schlüpfte in meinen Bikini.
"Hot", sagte sie, als sie mich im Bikini sah. Ich sah an mir herunter. Der Bikini stand mir gut, aber mit diesem Wort würde ich mich selber nie beschreiben.
"Mhm", murmelte ich. "Ich glaub, ich hab zugenommen", sagte ich.
"Gefällt mir besser", sagte Emilia und strich mit ihrem Finger über meine Kurven.
"Lass das. Sonst kommen wir heute nirgendwo mehr hin", sagte ich.
"Ganz wie Sie wünschen, Frau Yılmaz", sagte sie und nahm ihren Finger von meinem Bauch.
"Sehr gnädig von Ihnen, Frau Yılmaz", sagte ich.
Ich warf mir ein Kleid über und sammelte meine Strickjacke vom Boden auf.
In der Küche kochte ich mir noch einen Kaffee, nahm mir eine Banane und verließ dann mit Emilia das Haus.
"Wie schaffst du es bloß immer nicht zu frühstücken?", fragte sie.
"Elefantenmagen", antwortete ich.

Bis zum Strand war es nicht weit. Wir suchten uns ein Plätzchen im Schatten und bereiteten unsere Strandhandtücher aus.
Ich konnte meine Augen kaum von Emilia lassen. Sie trug einen schwarzen Bikini und sah darin verboten gut aus. Dann fiel mein Blick aber auf ihr Tattoo auf ihrem Unterarm.
"Was bedeutet das?", fragte ich.
Doch Emilia schwieg. Sie schien in einer anderen Welt zu sein. Ihrem Blick nach zu urteilen, war sie deutlich düsterer als diese.
"Ist das ein Datum?", fragte ich.
"Was war am 23.4.2019?", fragte ich.
"Du kannst römische Zahlen lesen?", fragte sie leise.
"Ich bin Mathelehrerin", antwortete ich.
Keine Antwort von Emilia.
"Was war an dem Tag?", fragte ich. Mit meinem Finger fuhr ich die Zahlen auf ihrem Unterarm nach.
"Du kannst es googlen. Aber du wirst nichts finden", sagte sie.
"Ich hatte nicht vor es zu googlen. Ich schnüffel dir nicht hinterher, Schatz. Wenn du nicht darüber reden willst, akzeptier ich das", sagte ich.
"Ich liebe dich", flüsterte Emilia.
Ich legte meinen Arm um sie und zog sie zu mir. Emilia seufzte. Ich wusste, dass sie es auch von mir hören wollte, aber ich konnte nicht.
"Es tut mir Leid", sagte ich.
"Das reicht mit ernsten Gesprächen für heute. Gehen wir schwimmen?", fragte Emilia und stand auf. Sie streckte mir die Hand entgegen, um mir vom Boden hoch zu helfen.
"Emilia", sagte ich.
"Ja, Leyla?", fragte sie.
"Du weißt, dass ich nicht ins Wasser gehen kann", sagte ich.
"Ich bin bei dir und wir gehen auch nicht weit. Die anderen Leute stehen auch nur im Meer", sagte sie.
Ich folgte ihrem Blick. Ich könnte mich einfach dazu stellen und keinem würde auffallen, dass ich nicht schwimmen konnte.
"Aber wir gehen wirklich nicht tief", sagte ich.
"Versprochen", sagte sie.
Also griff ich nach ihrer Hand und ließ mich vom Handtuch hochziehen. Während wir langsam aufs Wasser zugingen, schlug mein Herz immer schneller. Was wäre, wenn eine Welle käme? Könnte Emilia mich noch an Land ziehen? Was wäre, wenn da irgendwelche Tiere herumschwammen? Ich konnte nicht vor ihnen fliehen, weil ich nicht schwimmen konnte. Was wäre, wenn Emilia plötzlich unterging? Ich könnte sie nicht retten. Auf einmal fiel es mir wie Schuppen von den Augen: ich musste dringend schwimmen lernen. Solange ich es nicht tat, war es wirklich gefährlich.
„Lass mich ja nicht los", flüsterte ich Emilia zu.
„Niemals", versprach sie und verstärkte den Griff um meine Hand. Sie ging tatsächlich nicht weit ins Meer. Ich konnte noch stehen und das Wasser reichte mir kaum bis zu den Knien. Es fühlte sich herrlich an. Das Wasser schwappte in kleinen Babywellen gegen meine Beine. Da es erst Anfang des Sommers war, war es noch sehr kalt, aber ich konnte verstehen, warum die Leute im Sommer das Meer liebten. Es war sicherlich eine angenehme Abkühlung.
„Schau mal, es gibt hier sogar Fische", sagte Emilia begeistert. Vor Schreck sprang ich hinter sie. Das brachte Emilia natürlich sofort zum Lachen. „Die tun dir nichts", sagte sie. Vorsichtig folgte ich mit meinen Augen ihrem Zeigefinger und entdeckte einen Schwarm kleiner Fische. Sie waren bunt. Jeder hatte eine andere Farbe.
„Sie sind so schön", murmelte ich.
„Es ist schon erstaunlich", meinte Emilia.
„Was denn?", fragte ich.
„Die Fische dürfen alle Farben des Regenbogens haben und wir bewundern sie. Aber sobald wir Menschen etwas von der Norm abweichen und anders sind, schießen wir uns in den sozialen Selbstmord", sagte sie.
Ich sah sie an. In Situationen wie diesen fragte ich mich, wie es sein konnte, dass niemand sah, wie verletzlich und sensibel sie war. Alle glaubten ihr die Version, die sie in der Schule verkaufte. Sie wurde für ihr Verhalten verurteilt, obwohl sie eigentlich eine wunderschöne Seele hatte.
„Wir Menschen dürfen auch in allen Farben des Regenbogens strahlen. Es gibt nur leider einige Menschen, die das nicht sehen können. Aber das ist nicht dein Problem, sondern ihres. Du bist wundervoll", sagte ich und küsste sie.
Als wir den Kuss beendeten, sah ich ihr lange in die Augen. Ich war noch nie glücklicher gewesen als in diesem Augenblick. Hier stand ich nun Mitten im Meer und knutschte mit meiner Ehefrau und es fühlte sich an wie das normalste der Welt. Hier musste ich niemandem erklären, wer ich war oder wer Emilia war. Hier waren wir nicht verboten. Hier konnten wir einfach wir selbst sein.
Plötzlich stand ein Mädchen vor uns. „Seid ihr zusammen?", fragte sie uns.
„Ja", antwortete ich.
Ich konnte nicht abschätzen, was jetzt kommen würde. Sie war noch klein. Vielleicht 12. Sie hatte bestimmt noch nicht viel Erfahrung mit der Liebe gesammelt. Aber vielleicht hatte ihr jemand eingeredet, dass das abartig war.
„Wir sind sogar verheiratet", sagte Emilia.
Das Mädchen lächelte Emilia an. „Cool. Ich will später auch eine Frau heiraten", sagte sie. Erstaunt sah ich sie an. Wusste sie in dem jungen Alter schon, dass sie lesbisch war?
„Dann lad uns zur Hochzeit ein", sagte Emilia.
„Das mach ich", sagte das Mädchen. Dann lief sie zurück ans Ufer. Ich beobachtete sie, wie sie zurück zu anderen Teenagern in ihrem Alter lief.
„Wenn ich in dem Alter schon gewusst hätte, dass ich auf Frauen stehe, ...", murmelte ich.
„...dann hätten wir uns nie kennengelernt", beendete Emilia meinen Satz.
„Mir hätte immer was gefehlt", sagte ich.
„Zeig es mir", sagte ich.
„Was?", fragte Emilia.
„Schwimmen", sagte ich.
„Hier? Ich dachte, dir ist das peinlich", sagte sie.
„Nicht solange du hier bist", sagte ich.
„Okay. Komm", sagte sie. Vorsichtig ging sie mit mir tiefer ins Wasser. Dabei behielt sie mich die ganze Zeit im Auge. Wahrscheinlich wollte sie abschätzen, wie weit wir noch gehen konnten.
Als das Wasser mir bis zum Bauchnabel reichte, blieb sie stehen. „Leg dich auf den Rücken", sagte Emilia.
„Auf den Rücken? Ich dachte, du bringst mir Brustschwimmen bei", sagte ich.
„Mach ich auch. Aber erstmal musst du wissen, wie du dich retten kannst", sagte Emilia.
Ich verstand noch immer kein Wort, dabei war ich Sportlehrerin. Ich dachte immer, man konnte sich retten, wenn man schwamm - egal wie. Brustschwimmen erschien mir dabei am einfachsten.
Abwartend sah Emilia mich an. Ohne ihre Hand loszulassen, legte ich mich auf den Rücken auf ihre Hand. Nach einer Weile nahm sie ihre Hand weg. Das bemerkte ich zunächst gar nicht. Als ich es dann aber doch die Abwesenheit ihrer Hand wahrnahm, wurde ich panisch und trat mit den Beinen schnell ins Wasser. Emilia zog mich sofort wieder auf die Füße.
„Wenn du auf dem Rücken treibst, gehst du nicht unter. Wenn du mal nicht mehr kannst, dreh dich einfach auf den Rücken", sagte sie.
„Ich mach es nochmal?", fragte ich.
Sie nickte. Also ließ ich mich vorsichtig ins Wasser gleiten. Diesmal wusste ich, dass Emilias Hand nicht an meinem Rücken lag, um mich zu halten. Aber das war auch gar nicht nötig. Ich lag auf dem Wasser und konnte mich an der Wasseroberfläche halten. Grinsend sah ich zu Emilia. In ihrem Gesicht spiegelte sich das gleiche Grinsen wieder.
„Und wie geht jetzt Brustschwimmen?", fragte ich.
„Das zeig ich dir im Pool", sagte sie.
Enttäuscht sah ich sie an. Das brachte Emilia bloß zum Lachen.
„Du musst schon etwas Geduld haben. Du lernst das nicht sofort. Außerdem musst du dich am Rand festhalten können", sagte sie.
„Wieso kennst du dich eigentlich so gut aus?", fragte ich sie.
„Ich bin Schwimmtrainerin", sagte sie.
„Was?", fragte ich überrascht.
„Hast du dich nie gefragt, warum ich mich dienstags immer an die Regeln halte und nicht beim Nachsitzen sitze?", fragte sie.
Ich schüttelte meinen Kopf. „Das ist mir gar nicht aufgefallen", sagte ich.
„Ich bringe dienstags einer Gruppe Fünfjähriger schwimmen bei", sagte sie.
Mir klappte der Kiefer nach unten. „Ernsthaft?", fragte ich.
Sie nickte. „Kinder müssen schwimmen können und dieser Dienstagskurs ist für Kinder, deren Familien sich keinen Schwimmkurs leisten können", erzählte sie mir.
„Du machst das ehrenamtlich?", fragte ich überrascht.
„Hey, sei nicht so überrscht! Du weißt doch, dass ich ein herzensguter Mensch bin", sagte sie grinsend.
„Bist du. Und trotzdem bin ich überrascht. Positiv. Ich würde das gerne sehen", sagte ich.
„Leih dir deinen Neffen aus", sagte sie.
„Vielleicht sollte ich zusammen mit ihm den Schwimmkurs machen", sagte ich.
„Dann könnt ihr euch zumindest die Schwimmflügel teilen", sagte sie und stupste mich grinsend an.

What happens in Vegas, stays in VegasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt