Ich wache zum ersten Mal neben meinem Chef auf, ohne daraufhin in Panik wegen potenzieller Konsequenzen zu fallen. Das ist nicht zu fassen! Mein Bauch kribbelt bei der Realisierung, dass es wirklich sein Oberkörper ist, an den ich mich gerade drücke. Aber ich bin mir sicher, dass er kein Hemd anhatte, als er sich zu mir gelegt hat. Und auch keine Anzughose. Ich ziehe meine Augenbrauen zusammen, als ich zu ihm aufblicke. Er hingegen lächelt sanft. "Guten Morgen, Shirin." "Warum liegst du in Hemd und Hose neben mir?" Hat er auch Lackschuhe an? Ich ziehe die Decke weg, aber zum Glück trägt er nur Socken. "Ich war unterwegs nach dem Sport. Willst du dich fertigmachen für das Frühstück?" "Was hast du erledigt, während normale Menschen schlafen?" Seine Lippen zucken amüsiert. "Ich bin gern produktiv, Shirin." "Entspannst du je?" "Tue ich doch gerade." "In Hemd und Anzughose?", hake ich skeptisch nach. Miran scheint sich heute nicht von mir aus der Fassung bringen zu lassen. Sein Lächeln bleibt nach wie vor bestehen, als er mir einen Kuss auf den Scheitel gibt. "Das Frühstück wartet, Shirin." Also gut. Ich strecke mich murrend und quietschend, gehe dann meine Zähne putzen und mein Gesicht waschen. Wenn ich ehrlich bin, könnte ich mich wieder hinlegen und noch eine Runde schlummern, aber Miran scheint heute sehr motiviert zu sein. Beim Heraustreten sehe ich ihn nämlich auf der Bettkante sitzen.
"Stehen Termine an?" "Tatsächlich." Meine Augen weiten sich. Wie? Warum weiß ich nichts. Oh Mann, was habe ich jetzt verpeilt? Ich trotte seufzend zu meinem Koffer, aber was soll die Kiste? Die sieht hochwertig in diesem wunderschönen, hellen Grün. "Was ist das?" Miran scheint nur darauf gewartet zu haben, dass ich es bemerke. "Ein kleines Geschenk. Öffne es nach dem Frühstück. Heute wird es wärmer." Er kann doch kein Geschenk auf meinen Koffer legen und fordern, dass ich es nicht öffne! "Aber wozu die große Kiste für etwas Kleines?" Er möchte zum Sprechen ansetzen, hält aber schmunzelnd inne und fährt sich über seine Stirn. Was? Ich schüttele fragend den Kopf. "Schon gut, Shirin. Wir haben noch genug Zeit, deine Sprache aufzubessern." Was soll das heißen? Ich beobachte ihn skeptisch bei seinem Weg zu mir und meinem Koffer. Manchmal sind mir unsere Größenunterschiede nicht bewusst, aber heute ist wieder einer der Tage, an dem ich realisiere, wie riesig er doch ist. Zudem spielt sich wieder die bekannte Geigenabfolge aus Mohabbatein in meinen Gedanken ab. Stellvertretend stellt Miran für mich das Geschenk auf dem Bett ab und öffnet meinen Koffer für mich. "Möchtest du noch irgendwohin?" "Eigentlich nur auf den Camden Market und vielleicht in eine Drogerie. Hier gibt es sicherlich viel mehr Auswahl an Lippenstiften." Mein Kulturbeutel ist mit sieben Lippenstiften und neun Liplinern gefüllt und doch fühle ich mich nicht ausreichend versorgt.
Ich bedanke mich lächelnd, als er die Tür für mich aufhält beim Hinaustreten aus meinem Zimmer. Noch trage ich meine Haare in einem neu geflochtenen Zopf und ich weiß, dass ihn das ein wenig enttäuscht, aber ich konnte meine Tat damit rechtfertigen, dass wir das Frühstück sonst verpassen würden. Wenn ich ehrlich bin, war ich ziemlich gestresst, als ich im Badezimmer meine Haare neu frisiert habe. Die Tür habe ich nicht abgeschlossen und jede Sekunde hatte ich das Gefühl, er könnte reinplatzen. Dabei sollte ich doch wissen, dass er immer anklopft. Auch beim Frühstück spricht er kein einziges Mal über mein Haar oder deutet etwas in die Richtung an. Viel mehr nutzt er die Zeit, um mich beim Essen meines Avocadobrotes zu beobachten, während er seinen Kaffee trinkt. "Als Guacamole wäre es besser", murmele ich kauend. "Wir können auch zu Costco und dir Guacamole kaufen", bietet er mir an, doch ich winke nur ab. Dann habe ich mehr Platz für diese tollen Pistaziencroissants, bei denen Miran anfangs besorgt war. Ich bemerke auch immer wieder, wie er den Teller näher zu sich schiebt, aus Angst, ich erleide eine Kreuzreaktion. Mein Hals juckt nur leicht oder schwillt unbedrohlich an, wenn sie noch ganz frisch sind und von der dünnen, pink-lila Haut umgeben, die man erst aufreißen muss.
"Was steht für heute eigentlich an?" "Ich möchte dich in einen Park führen. Heute ist das ideale Wetter dafür." "Den Park hier?" Aus meinem Fenster habe ich eine wundervolle Sicht auf so viel Natur. "Nein. Einen, der dir besser gefallen wird." Jetzt macht er mich aber neugierig. Ich trinke einen Schluck Orangensaft und nehme mir dann das Croissant zur Hand. Dabei bemerke ich seine Blicke auf meinen Händen, die das Gebäck teilen. Er atmet tief ein, als ich die Hälfte zu meinem Mund führe. "Mir wird nichts passieren, Miran", murmele ich mit vollem Mund, doch das scheint ihn nicht zu besänftigen. Sein kritischer Blick bleibt bestehen, bis ich den ersten Bissen heruntergeschluckt habe und siehe da! Ich kann noch atmen. Sehr gut sogar. "Tief durchatmen." Das tut er jetzt, wenn auch gestresst. "Du machst mich fertig, Shirin." "Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass ich nicht auf Pistazien reagiere!" "Aber es können Kreuzreaktionen entstehen." "Aber ich habe mein ganzes Leben lang Pistazien gegessen. Mir geht es gut und wenn nicht, habe ich mein Epipen bei mir." Ich greife lächelnd nach seiner Hand, um sie zu drücken. "Es ist alles gut", versichere ich und nehme mir einen Streifen der geschnittenen Avocado von meinem Brot, um sie so zu essen. Das Brot hat mich nicht sonderlich überzeugt, aber das Croissant umso mehr.
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Tollpatschige Liebe
RomanceShirin ist auf dem Weg einen neuen Abschnitt in ihrem Leben zu beginnen. Weg aus der Kleinstadt, welche man schon als Dorf bezeichnen kann. Mit ihren 25 Jahren ist Shirin bereit für die Großstadt und will in einem Unternehmen tätig werden. Sie ist v...