Versteckspiel

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Am nächsten Morgen wachte ich neben Emilia auf. Vorsichtig weckte ich sie.
„Wie geht es dir?", fragte ich sie.
„Besser", flüsterte sie. „Danke, dass du da bist", sagte sie.
„Immer", sagte ich.
„Deine Eltern?", fragte ich vorsichtig. Ich war darauf gefasst mich gleich im Kleiderschrank zu verstecken oder aus dem Fenster zu klettern.
„Keine Sorge. Die kommen erst Morgen wieder. Die sind das ganze Wochenende weg", sagte sie.
„Ich bin froh, dass du es mir erzählt hast", flüsterte ich.
„Ich auch", flüsterte Emilia.
„Bringst du deshalb Kindern schwimmen bei?", fragte ich.
„Ja. Ich will, dass sie sich retten können und dass sie die Gefahren richtig einschätzen können", sagte sie.
„Das ist wichtig, was du machst", sagte ich.
„Versprich mir, dass du richtig schwimmen lernst", sagte sie.
„Ich verspreche es dir", sagte ich.
„Danach hatte ich keine Lust mehr im Verein zu schwimmen", sagte sie.
Ich nickte. Ich konnte es verstehen. „Musst du ja auch nicht", sagte ich.
„Du bist die Erste, die das sagt. Nach Paulis Tod wollten alle, dass ich weiter schwimme. Ich bin dann ins Internat abgehauen, weil ich das alles nicht mehr ausgehalten habe. Die Schuld. Die Erwartungen", sagte sie.
Ich küsste sie auf die Nase. „Du bist nicht schuld", wiederholte ich.
„Das hast du gestern schon gesagt", sagte Emilia.
„Und ich sage das so oft, bis du es glaubst", sagte ich.
Emilia lachte leise.
„Ich liebe dich", sagte sie. In dem Moment wünschte ich mir nichts Sehnlicher als es erwidern zu können. Ich fühlte es, ich konnte es nur nicht aussprechen.
„Du zeigst es mir", sagte Emilia. Manchmal war es als könnte sie Gedanken lesen.
„Soll ich es dir zeigen?", fragte ich und grinste verführerisch.
Als Emilia nicht antwortete, legte ich vorsichtig meine Lippen auf ihre.
„Deine Eltern sind ganz sicher nicht da?", fragte ich.
„Zu hundert Prozent", antwortete Emilia.
Ich presste fordernd meine Lippen auf Emilias. Das überraschte sie so sehr, dass ihr ein Stöhnen entwich. Ich löste mich von ihren Lippen und sah sie triumphierend grinsend an. Emilia sah mich finster an. Schnell küsste ich sie, um sie zu beschwichtigen. Dann fuhr ich mit meinen Händen unter ihr Shirt und begann ihre Brüste zu kneten. Emilia entwich ein zweites Stöhnen.
Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. „Emilia, was-" Blitzschnell zog ich die Bettdecke über meinen Kopf, um mich vor Emilias Mutter zu verstecken, aber wahrscheinlich war es zwecklos.
„Ihr seid in 5 Minuten in der Küche. Angezogen", sagte ihre Mutter. Dann hörte ich die Zimmertür schließen. Emilia zog mir die Decke vom Kopf. Entsetzt starrte ich sie an. „Scheiße", murmelte Emilia.
Wie konnte das nur passieren? Wie konnten ich es nur soweit kommen lassen? Wie konnten wir nur so unvorsichtig sein? Was hatte ich mir bloß dabei gedacht? Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Das war mein Ende.
„Ich kann alles verlieren. Ich kann ins Gefängnis wandern", flüsterte ich.
Emilia schüttelte ihren Kopf. „Das würde sie nie tun", sagte sie. Doch ich konnte ihr nicht glauben. Ihre Mutter würde uns wohl kaum unterstützen und mich davon kommen lassen. Jedes Elternteil würde mich hinter Gittern sehen wollen.
„Was machen wir jetzt?", fragte ich.
„Wir gehen in die Küche und erklären es meiner Mutter", sagte Emilia.
Eine andere Wahl hatten wir sowieso nicht.
Auf der Treppe griff Emilia nach meiner Hand, aber ich entzog sie ihr wieder. Fragend sah sie mich an. „Wir sollten sie nicht noch provozieren", flüsterte ich.
Mein Herz schlug wie verrückt, als ich hinter Emilia die Küche betrat. Zögernd setzte ich mich neben sie an den Tisch. Am liebsten  wäre ich einfach im Erdboden verschwunden. Noch nie in meinem Leben habe ich mich so unwohl gefühlt. Ich geriet nie in Ärger. Das war eine völlig neue Situation für mich.
„WAS FÄLLT IHNEN EIGENTLICH EIN? SIE SIND IHRE LEHRERIN! SIE IST IHRE SCHUTZBEFOHLENE! ES IST VERBOTEN! ICH KÖNNTE SIE ANZEIGEN!", schrie Emilias Mutter.  Ich wurde immer kleiner. Ich sackte in meinem Stuhl buchstäblich zusammen.
„Mama, so ist das nicht", sagte Emilia.
„WIE KÖNNEN SIE SO ETWAS MACHEN? HABEN SIE DENN GAR KEINE SKRUPEL? SIE SIND DOCH-"
„MAMA!", schrie Emilia. Dann endlich verstummte ihre Mutter. Sie sah ihre Tochter seufzend an. „Ich bin von dir so einiges gewöhnt. Aber das hier, Emilia, das setzt allem noch die Krone auf", polterte sie.
„Mama, wir sind verheiratet", sagte Emilia. „Leyla ist die Frau, die ich in Vegas geheiratet habe", sagte sie.
„Das wird ja immer besser. Sie sind nicht nur skrupellos sondern auch noch verantwortungslos", sagte ihre Mutter.
„Mama, so ist das nicht. Sie hat mich nie zu etwas gezwungen. Wir lieben uns. Und Leyla ist nicht verantwortungslos. Sie bricht nie Regeln. Sie wollte das nicht, aber unsere Gefühle sind zu stark. Ich will nicht mehr ohne sie sein", sagte Emilia. Ihre Mutter schwieg. Sie sah zwischen uns hin und her. An ihrem Blick konnte ich sehen,  dass ihr die ganze Situation völlig gegen den Strich ging. Wäre ich Mutter würde ich wahrscheinlich genauso reagieren. Ich hatte wahrscheinlich kaum eine Chance sie von mir zu überzeugen. Aber ich konnte Emilia nicht verlieren. Ich musste es einfach versuchen.
„Darf ich etwas sagen?", fragte ich. Ich wagte es kaum Emilias Mutter anzusehen. Trotzdem sah ich, dass sie mir mit einer Handbewegung zu verstehen gab fortzufahren.
„Sie haben recht. Das, was wir tun - oder vielmehr was ich tue - ist nicht zu rechtfertigen. Es gibt dieses Gesetz, das uns eine Beziehung verbietet und das macht Sinn. Ich kann Emilia nicht mehr fair beurteilen. Ich sollte das nicht tun. Ich wollte nie eine Lehrerin sein, die so etwas tut. Ich kann mich kaum noch im Spiegel ansehen. Es ist falsch und trotzdem fühlt es sich nicht so an. Ich hab gegen meine Gefühle angekämpft. Ich hatte vor Emilia schon andere Beziehungen. Aber mit ihr - so etwas habe ich noch nie erlebt. So habe ich noch nie gefühlt. Ich weiß, dass ich sie die Richtige ist. Ich will entweder sie oder keine. Ich will mit ihr alt werden", sagte ich. Das war der reinste Seelenstriptease. So etwas hatte ich noch nie über jemanden oder zu jemandem gesagt. Ich betete, dass ich das nicht bereuen würde.
„Mama, ich liebe sie. Bitte, mach mir das nicht kaputt", sagte sie. Dann griff sie doch nach meiner Hand.
Emilias Mutter starrte unsere verschränkten Hände an. Mit jeder Sekunde, die verstrich, wuchs die Anspannung.
Emilias Mutter atmete hörbar aus. „Ich kann nicht so tun, als hätte ich nicht bemerkt, dass du dich in den letzten Wochen verändert hast. Zum Positiven. Und ich schätze, dass es Ihr Verdienst ist. Ich kann sehen, dass Sie ihr guttun. Sie ist das erste Mal seit Jahren wieder glücklich und ich kann ihr das nicht kaputt machen. Aber wenn Sie ihr wehtun, mach ich Sie fertig", sagte Emilias Mutter. Emilia grinste. Aber ich war mir sicher, dass es ihr voller Ernst war.
„Ihr müsst vorsichtig sein. Und mit vorsichtig mein ich verdammt vorsichtig. Ihr dürft nicht eine Sekunde nachlässig sein. Ihr müsst ständig aufpassen", sagte ihre Mutter.
„Das machen wir, Mama", versicherte Emilia ihr.
„Das habe ich gesehen", sagte sie.
„Das war eine Ausnahme. Gestern war ein beschissener Tag und ich brauchte sie", sagte Emilia zu ihrer Mutter.
Die beiden sahen sich an und Emilias Mutter nickte.
„Es darf keine zweite Ausnahme geben. Das ist zu riskant. Und bevor ihr euch in irgendwelchen Blockhütten im Wald trefft, kommt ihr hierher", sagte sie.
„Ich hab eine Wohnung", sagte ich.
„Ich bekomme die Adresse. Ich muss wissen, wo sie ist", sagte Emilias Mutter.
„Darf ich?", fragte ich und deutete auf den Notizblock auf der Fensterbank. Emilias Mutter nickte. Also schrieb ich meine Adresse und meine Telefonnummer auf.
„Ich sollte dann besser fahren. Danke, Frau Wagner", sagte ich. Sie nickte bloß.
„Mama, kann ich mitfahren?", fragte Emilia.
Emilias Mutter sah sie erstaunt an. Dann hob sie abwehrend die Hände. „Meinetwegen mach", sagte sie dann.
„Danke", sagte Emilia, gab ihrer Mutter in Küsschen.
Getrennt voneinander und inkognito verließen wir nacheinander das Haus. An einer Bushaltestelle sammelte ich Emilia wieder ein.

What happens in Vegas, stays in VegasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt