Sei gegrüßt, Meister

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Diese Nacht ist dunkler, als jede zuvor. Der Regen fällt unbarmherzig vom Himmel, als würde jemand in Strömen weinen. Zu Recht., denke ich finster und werfe einen Blick zu den Wolken hinauf. Denn das, was gestern geschehen war, ist ja auch zum Heulen. Zum Heulen, zum Schreien, zum Sachen-durch-die-Gegend-werfen, zum Ausrasten, zum Verrückt-werden, zum Verzweifeln. Alles auf einmal. Ehrlich gesagt habe ich nie gedacht, dass er das wirklich tun würde. Ich meine, ja, mir IST klar, dass er ein skruppelloser, größenwahnsinniger Mörder ist, aber das... Nein. Aber er hat es getan. Es ist nicht so, dass er Hogwarts niedergebrannt hat. Oder das Ministerium. Nein. Mein ehemaliger Geliebter hat das Kunststück geschafft, den Zaubereiminister von Russland zu töten. Und nun gehört einem seiner Akolythen dieser Posten und dem Rest das russische Ministerium für Zauberei. Sie haben es geschafft - sie haben die Macht über ein Land übernommen. Ein Land, ha! Nicht irgendeins! Russland, das bei den Muggeln unter die sogenannte Sowjetunion fällt, ist das größte Land der Welt - und jetzt gehört es Gellert. Ja, Gellert! Gellert Grindelwald. Meinem ehemaligen Geliebten, jetzigem Massenmörder, Verräter, Gesetzesbrecher, Psychopath sowie ehemaligem Justizflüchtigen. Das Erstaunliche an der Sache ist, dass Gellert sich den Posten des russischen Zaubereiministers nicht selbst unter den Nagel gerissen hat. Sondern ihn einem seiner Akolythen übergab. Aber eigentlich macht das sehr viel Sinn. Denn so hat er trotz allem die Zügel in der Hand, um dieses Land zu steuern, ohne selbst auf die Bildfläche treten zu müssen. Wie vorteilhaft für ihn! Wütend gehe ich weiter, meinen Weg durch den Wald von Hogsmeade, nach Hogwarts. Nach Hause. Die Bäume lichten sich, ich kann nun die dunklen Wolken sehen. Immer noch von meinem Hass auf Gellert geflutet, trete ich aus dem Schutz der Bäume und sofort peitscht mir der Wind als Willkommensgruß eine gehörige Portion Regen über. Na, vielen Dank auch. Gut, dass Nässe nichts ist, was sich nicht mit einem Zauberstabschnippen wieder entfernen lässt. Ich seufze, streiche mir die nassen Haare aus der Stirn und gehe weiter meinen Weg.
Auf Hogwarts' Klippen ist die Luft fast so nass wie ein Wassertropfen, der Schwarze See schäumt und Gischtfetzen fliegen umher. Nein. Diese Nacht ist keine Nacht der Trauer. Es ist eine Nacht des Zorns. Weil Gellert dieses unsägliche Verbrechen begangen und es gewagt hat, die Macht in einem Land an sich zu reißen. Aber anscheinend hat er schon vorher großen Einfluss gehabt, den kein einziges Mitglied unserer Welt in Russland hat auch nur einen Finger gerührt, um Gellerts Akolythen von der Machtübernahme abzuhalten. Im Gegenteil, im Tagesprophet heute morgen ließen sämtliche Befragte verlauten, wie glücklich sie seien, dass die 'helfenden Hände' ihres 'Retters' sie 'aus der Umklammerung' eines 'abscheulichen Tyrannen' gerissen hätten. Das ist eindeutig Unsinn. Der russische Zaubereiminister, Rostonov, ist sicher kein einfacher Mensch gewesen, aber er hat auf der richtigen Seite unserer Welt gestanden - gegen Gellert. Und nun ist er tot. Gerüchte gehen um, dass Gellert selbst ihn getötet und ihm vorher noch eine Triumphrede auf Russisch gehalten hätte. Das halte ich für sehr unwahrscheinlich. Gellert ist Bulgare, kein Russe. Es mag sein, dass er mehrere Sprachen spricht, aber Russisch zählt ganz bestimmt nicht dazu. Außerdem, sofern das stimmt, hat er mir damals, 1899, gesagt, dass er seine Muttersprache regelrecht hasst. Zwar ist Russisch nicht mit Bulgarisch identisch, aber doch verwandt und sofern es stimmt, was er damals zu mir sagte, wird er ganz sicher kein Russisch sprechen, selbst wenn er es kann. Ob er es kann, weiß ich nicht. Ich halte es nur für unwahrscheinlich. Mittlerweile bin ich am höchsten Punkt der Klippen über dem Schwarzen See angelangt. Dunkel, verregnet und kalt ist es und ich bleibe kurz stehen. Mir fällt ein, dass Gellert einmal zu mir gesagt hat 'Die Dunkelheit ist mein neues Königreich'. Das war, nachdem ich ihn das erste Mal nach 1899 wiedersah. Nicht die ersten, die er da zu mir gesagt hat, aber... zweifellos sehr einprägende Worte. Gerade habe ich mich wieder in Bewegung gesetzt, da sticht mir etwas ins Auge.
Oder viel mehr jemand.
Ich kann nur die Silhouette im Dunkeln sehen, nur die Umrisse und doch erkenne ich sie wie meine eigenen. Schlank, ein bisschen größer als ich.
Entsetzen schnürt mir die Luft ab.
Gellert Grindelwald.
Als würde die Tatsache, dass ich hier fünfzehn Meter von ihm entfernt stehe, irgendetwas bedeuten, lässt der Regen nach, die Wolkendecke reißt auf und der fast volle Mond schickt seine Strahlen hinab. Wie zu Stein erstarrt bleibe ich stehen. Kann er mich spüren? Ich weiß es nicht. Er hat dieses seltsame, rätselhafte Gespür für die Anwesenheit von Menschen, sowie deren Emotionen. Er weiß, was die Menschen um ihn herum fühlen, er weiß, wer wo steht. Sofern sie in seiner Nähe sind. Vermutlich kann er sein Gespür auch abschotten, sodass er von manchen Personen auch keine Gefühle wahrnimmt. Dieses Gespür, wie er es hat, ist wie ein ultimativer Lügendetektor. So viel ist der breiten Öffentlichkeit inzwischen auch klar und mir sowieso. Zögernd beiße ich mir auf die Lippe und denke nach. Was soll ich nun tun? Mich vorbeischleichen kann ich vergessen, denn selbst wenn Gellert mich jetzt noch nicht spüren kann, so wird er es können, sobald ich näher an ihm dran bin. Wahrscheinlich kann er auch spüren, ob ich zum Apparieren ansetze - das hat er schon bei so manchen Auftritten in der Öffentlichkeit mit seinen Akolythen bewiesen. Nachdenklich ziehe ich meinen Zauberstab und stelle im selben Moment fest, dass es aufgehört hat, zu regnen. Wachsam mustere ich Gellert, so gut das aus einer Entfernung von fast zwanzig Metern geht. Er hat mir den Rücken zugewandt. Eine Chance habe ich. Zu apparieren, ohne das er es bemerkt. Just in dem Moment, in dem ich meinen Zauberstab hebe und zum Apparieren ansetze, dreht er sich um.
Und sieht mich an.
Bevor ich auch nur blinzeln kann, appariert er selbst und steht vor mir. Drei Meter Luft zwischen uns. Die unterschiedlich farbigen Augen betrachten mich ausdruckslos, seine Gesichtszüge sind ohne jede Emotion. Nach einem kurzen Moment habe ich mich wieder erholt. "Ich gratuliere.", sage ich leise und erwidere seinen Blick spöttisch. "Du hast die Macht, die du wolltest. Jetzt hast du das größte Land unserers Planeten. Sonst noch was? Die Weltherrschaft vielleicht?" Seine rechte Augenbraue wandert nach oben. "Weltherrschaft? Nein. Ich hatte nie vor, die Macht so brutal an mich zu reißen. Aber Rostonov hat mir keine andere Wahl gelassen.", seine Stimme ist rau, sein Akzent schwingt hörbar mit und verzerrt seine Worte leicht. "Nicht?", ich schnaube. "Wieso? War er dir so gefährlich geworden?" "Auf gewisse Weise ja.", Gellert verschränkt die Arme vor der Brust. Ich starre ihn an. Denn zum einen ist er vollkommen trocken (was sich auf den Elderstab zurückführen lässt), zum anderen... Er sieht (mal wieder) verboten gut aus. Von den hochgestochenen Anzügen, die er sonst immer an hat, wenn er sich der Öffentlichkeit zeigt, ist jetzt keine Spur. Natürlich ist das, was er trägt, vollkommen in schwarz gehalten - in welcher Farbe auch sonst? - aber es ist ein viel schlichterer Stil. Anderen Menschen würde das vielleicht schaden, aber ihm steht das schwarze Hemd dermaßen gut, dass ich ihn dafür verschlagen könnte. Im silbernen Licht des Mondes mache ich leicht rot schimmernde Flecken auf dem Stoff aus und erstarre. "Ist das Blut?", frage ich. Er zieht die Augenbrauen leicht nach oben und folgt meinem Blick. "Ja.", antwortet er dann. Mich schüttelt es. "Von wem?" Ein feines Lächeln umspielt seine Mundwinkel, als er den Kopf wieder hebt und mich anblickt. "Von wem wohl?" Natürlich. Von wem denn sonst? Rostonov. Es ist Rostonovs Blut. "Willst du mir jetzt erzählen, dass du das auch zu seiner Ermordung getragen hast?", rufe ich. Gellerts Lippen kräuseln sich, dann grinst er und streicht sich seine aschblonde Strähne zurück. "Es war keine Ermordung. Jedenfalls nicht so, wie du denkst.", erwidert er ruhig, zieht den Elderstab und lässt ihn schnippen. Der Schimmer von getrocknetem Blut verschwindet. "Ach nein?", herausfordernd funkele ich ihn an. "Was dann?" Einen Moment lang sehen seine zweifarbigen Augen mich wortlos an, als würde er abwägen, ob er mir überhaupt eine Antwort gibt. Dann benetzt er seine Lippen und sagt: "Nyvonyr war mein Akolyth." Ich falle aus allen Wolken. Nyvonyr Rostonov... Gellerts Anhänger?! "Aber... Das kann doch nicht sein!", stoße ich hervor. "Und ob. Zu mir gehören mehr, als ihr alle euch vorstellen könnt.", sein Akzent ist verschwunden, aber seine Worte sind nicht hart. Leise und bestimmt, aber ohne Härte. "Okay, okay. Nehmen wir an, ich glaube dir diese Behauptung.", ich atme tief ein. "Warum hast du ihn dann getötet??" "Weil er gefährlich wurde. Wie ich bereits sagte.", gibt er zurück. Da ist ein seltsamer Unterton. Ein kaum merkliches Beben in seinen Worten. "Gefährlich? Wieso? Du bist der Meister deiner Akolythen!"
"Bin ich.", er nickt. "Aber das ist das Problem." Jetzt verstehe ich gar nichts mehr. Ohne ein Wort sehe ich ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. Gellert verdreht die Augen, seine Finger schließen sich um das Handgelenk seines jeweils anderen Arms. "Ich bin ihr Meister.", erklärt er dann. "Das heißt, sie wollen, dass das, was ich vorhabe, gelingt. Das wiederum heißt, dass einige der Meinung sind, selbst Initiative ergreifen zu müssen, um mir den Weg zu ebnen.", er macht eine Pause. "Weiter?", hake ich nach. Er stößt den Atem aus. "Albus! Begreifst du es denn nicht? Nyvonyr wollte deinen Tod! Er wollte dich tot sehen!" Da ist etwas in seiner Stimme. Verzweiflung. "Bitte? Er wollte mich umbringen?", frage ich. Gellerts ungleiche Augen glitzern im Mondlicht. "Ja.", in seiner Antwort liegt etwas Zerbrochenes. "Er hätte dafür gesorgt, dass du stirbst, wenn ich ihn nicht getötet hätte." "Welcher Edelmut!", murmele ich. "Soll ich dir jetzt danken?" Ein Funke blitzt in seinem Blick auf - Schmerz. "Nein. Das erwarte ich keineswegs.", seine Stimme bricht kaum merklich. "Ich wollte nur, dass du es weißt. Mehr nicht." "Gut. Dann weiß ich es jetzt ja.", antworte ich. "Stimmt.", sein Blick wandert über mich, ich sehe, wie seine Kiefermuskeln sich anspannen. "Dann gehe ich." "Tu das. Geh.", stimme ich ihm zu und weiche zurück. Seine Augen flackern leicht. "Willst du das wirklich?", flüstert er. "Dass du gehst?", ich schenke ihm ein bitteres Lächeln. "Ja doch. Warum auch nicht? Zu einem Zeitpunkt, da ich das nicht gewollt habe, hast du mich das nicht gefragt und bist gegangen. Einfach so." Er zuckt kaum sichtbar zusammen. Irgendwie verschafft mir das eine seltsame Genugtuung. "Jetzt verschwinde.", setze ich hinzu. Fast ruckartig nickt er. "Sofort. Eine Sache noch." Abwartend blicke ich ihn an. "Was?"
Innerhalb von Millisekunden macht er einen Schritt auf mich zu, noch einen, neigt sich zu mir hinab und presst seine Lippen auf meine. Sanft und beharrlich zugleich. Auf der einen Seite sanft, wie um mir zu versichern, dass er mir nicht wehtun wird. Auf der anderen Seite beharrlich, um zu verhindern, dass ich mich ihm entziehe. Das hat schon mal geklappt. Wie erstarrt bleibe ich stehen, bevor irgendein Instinkt, oder was auch immer, das Kommando übernimmt und ich den Kuss wie automatisch erwidere. Abrupt reißt er sich von mir los. "Gut. Jetzt kann ich gehen.", verkündet er, zieht den Elderstab und dreht sich von mir weg. Verständnislos blinzele ich. "Du willst mich jetzt einfach so stehen lassen?", frage ich. Mitten in der Bewegung erstarrt er. "Du wolltest doch, dass ich gehe.", seine Stimme ist heiser, nur ein Flüstern. Ein Flüstern, in dem der ganze Schmerz liegt, den ich vorhin in seinen Augen gesehen habe. "Ich weiß.", gebe ich zurück und schlucke, zögere. "Kannst du...", ich schlucke erneut "mich bitte ansehen?" Einen Moment lang bewegt Gellert sich keinen Zentimeter, dann wendet er sich zu mir um, die zweifarbigen Augen treffen meine. Fast sofort verliere ich mich darin und muss mich zusammenreißen, um weitersprechen zu können. "Du hast Rostonov umgebracht, weil er mich umbringen wollte, ja? Aber... warum wollte er mich umbringen?" "Ist doch logisch.", sagt er leise, aber ohne den Oberlehrer-Ton, den er sonst bei solchen Sätzen benutzt. "Du bist mein größter Gegner, die größte Gefahr für mein Ziel. Und Rostonov war der Meinung, dich aus dem Weg räumen zu müssen, um es mir leichter zu machen. Er konnte nicht ahnen, dass ich ihn töten würde." "Die Gerüchte besagen", vorsichtig trete ich zu ihm und lehne, unsicher ob ich das darf, den Kopf gegen seine Schulter "dass du ihm noch eine Triumphrede auf Russisch gehalten hättest." "Ha! Russisch. Ich kann kein Russisch. Ich kann Englisch, Bulgarisch, Deutsch und Französisch, aber Russisch nicht. Obwohl... ich tatsächlich etwas zu ihm gesagt habe.", antwortet Gellert und legt behutsam einen Arm um meine Schultern. "Ja?", frage ich und blinzele zu ihm auf. "Was denn?" "Ich zeige es dir - wenn du erlaubst." Fragend sieht er mich an. Nach kurzem Überlegen nicke ich und lasse zu, dass er seine Gedanken an meine knüpft.

Sei gegrüßt, Meister || Grindeldore OneShotWo Geschichten leben. Entdecke jetzt