Die sechs Wege zum Brunnen

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Info vorweg:

„ ... " = Wörtliche Rede
- ... - = Gedanken
~ ... ~ = Träume

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Da stand ich also - vor den Stufen eines eher heruntergekommenen Gebäudes. Im Hintergrund hörte ich noch das leise Motorengeräusch des Autos meiner Mutter, sie hatte mir nicht einmal tschüss gesagt. Wir hatten generell kein einziges Wort auf der fast fünfstündigen Autofahrt gesprochen.

In Gedanken verloren hatte ich nicht gemerkt, dass die Tür des Gebäudes aufgegangen war. Eine Frau stand nun auf der Treppe und sah zu mir herab. „Choi Y/N?", fragte sie. Erschrocken sah ich auf und brauchte erst mal eine Sekunde, um zu realisieren, dass sie mit mir sprach. „Ja?", antwortete ich ein klein wenig ängstlich. Mit den Worten ,,Bitte folgen Sie mir." ging sie wieder ins Gebäude. Mit einem eher unsicheren Bauchgefühl folgte ich ihr.

Im Eingangsbereich war auf dem Marmorboden eine riesige, mit Blumen und anderen Mustern verzierte Windrose abgebildet. Ich stand auf dem Nord-Pfeil. Der Pfeil, der nach Süden zeigte, wies auf eine weitere Holztür. Die Pfeile für Osten und Westen zeigten auf zwei Treppen die jeweils links und rechts in einem Bogen nach oben führten. Alles sah sehr alt und doch sehr edel aus.

Die mysteriöse, unheimliche Frau war, während ich den Eingang betrachtet hatte, schon weiter durch die Tür mir gegenüber gegangen. Ich folgte ihr mit zügigem Schritt, fast hätte ich sie verloren. Plötzlich standen wir wieder vor einer Tür. Über der Tür hing ein massives Wappen. Ich konnte es mir aber nur kurze Zeit ansehen, da mich schon wieder jemand urplötzlich ansprach. „Ah, Sie müssen Choi Y/N sein, richtig?" Ein Mann saß vor mir an einem Tisch aus schwerem Mahagoniholz. Mit einem freundlichen Gesichtsausdruck deutete er mir an, mich auf einen der zwei Stühle vor ihm zu setzen. Während ich mich setzte, beantwortete ich ihm seine Frage mit einem „Ja". Er sprach weiter: ,,Ihre Mutter hat Sie nur telefonisch angemeldet, deshalb müssten Sie dieses Formular einmal ausfüllen." Er reichte mir einen Zettel und einen Kugelschreiber. Ich begann, das Formular auszufüllen.

Vorname: Y/N
Nachname: Choi
Alter: 17

„Ich werde in drei Monaten 18, soll ich das dazu schreiben?" Der Mann antwortete mit einem Nicken.

Wohnort vor Internat: Busan

Als ich diese Frage las, war ich erst einmal erleichtert. Jetzt wusste ich, dass mich meine Mutter zum Glück nicht in eine Anstalt gesteckt hatte, sondern dass ich in einem Internat war. Die nächste Frage verwirrte mich aber wieder komplett.

Fähigkeit/Gabe:

Ich fragte: „Ähm, Entschuldigung. Was ist mit dieser Frage gemeint?" „Alle Fragen, die Sie nicht beantworten könne, lassen Sie bitte einfach aus.". Und er fügte noch hinzu: „Das gehört alles zum Prozess." Durch diese Aussage war ich wieder unsicher.
-Ist das hier vielleicht doch so eine Art Internat für psychisch Kranke?-

Name der Erziehungsberechtigten Person(en): Choi Sojon

Lebensweise: normal?

Ich wollte nicht noch einmal nachfragen, also schrieb ich einfach nach Gefühl.

Am Ende des Formulars benötigten sie noch meine Unterschrift. Dann gab ich dem Mann den Zettel wieder. „Vielen Dank, Miss Choi. Nr.4 wird Sie nun in Ihr Haus und dort in Ihr Zimmer begleiten." Ich stand auf und wollte meinen Koffer nehmen und meine anderen Sachen, aber ... sie waren alle weg. Ich schaute mich fast schon panisch um. Diese Frau, bei der sich jetzt herausgestellt hatte, dass sie "Nummer 4" hieß, trat an mich heran. „Ich habe Ihre Sachen bereits in Ihr Zimmer gebracht." Erst atmete ich erleichtert aus, doch dann fiel mir auf...
-die Tür....die Bürotür hatte sich kein einziges Mal geöffnet oder geschlossen, während ich hier war. Das hätte ich definitiv gehört! Bin ich vielleicht doch bereit für die Anstalt?-
Da ich aber Angst hatte, als verrückt abgestempelt zu werden, hakte ich auch hier nicht nach, wie sie es geschafft hatte, wenn die Tür nicht geöffnet oder geschlossen wurde.

Ich und diese Nr. 4 verließen das "Büro" des Mannes, dessen Namen ich nicht einmal wusste. Wir gingen einen anderen Flur entlang, an Türen vorbei, an denen so komische Bezeichnungen standen wie: 2A und 1A.
-Sollen das Klassenräume sein oder Behandlungszimmer?-

Plötzlich öffnete Nr. 4 eine unbeschriftete Tür, dahinter ging es wieder nach draußen. Aber eher in eine Art Innenhof. Dieser war komplett leer, kein einziger Mensch war zu sehen.
Dafür befand sich in der Mitte ein großer Brunnen. Rundherum verlief ein Weg. In einer symmetrischen Anordnung standen vier lange Gebäude. Ich stand mit dem Rücken zu dem Gebäude, aus dem wir kamen. Es war das größte von allen. Jeweils links und rechts von mir standen zwei Häuser mit der langen Seite zum Brunnen gerichtet. Uns gegenüber, auf der anderen Seite des Brunnens, stand ein kleines, zweistöckiges Häuschen. Vom Brunnen führten insgesamt sechs Kieswege zu den sechs einzelnen Gebäuden.

Nr. 4 ging schon wieder einfach weiter, und ich musste ihr wieder fast schon hinterherrennen. Sie ging über den Kiesweg zum ersten Gebäude auf der linken Seite. Ich hatte Nr.4 eingeholt und konnte nun die Häuser ein wenig genauer betrachten: Die vier langen Häuser hatten drei Etagen und ich konnte fünf Fenster auf dieser Seite in jeder Etage zählen.

„So, hier wären wir. Bitte merken Sie sich diesen Weg, den wir gegangen sind, vorerst gut. Morgen wird Ihnen jemand anderes den Rest zeigen." Ich schaute Nr.4 etwas verwirrt an. „Ihr Zimmer ist ganz oben, gegenüber der Treppe. Sie können es nicht verfehlen, es steht noch kein Name an der Tür." Sie hielt mir einen Schlüssel hin und öffnete mir die Tür. Ich betrat das Gebäude, drehte mich dann noch einmal um, weil ich noch eine Frage hatte. Aber ... weg. Da stand einfach keiner mehr. Der Innenhof war wie leergefegt.
„Okay, jetzt habe ich Angst.", sprach ich mit mir selbst.

Ich hatte im Grunde keine andere Wahl, als jetzt diese Treppe hoch und in "Mein" Zimmer zu gehen. Hier, rund um dieses Gelände, war kilometerweit nur Wald. Ich war mit meiner Mutter fast eine Stunde lang nur durch Wald gefahren, bevor wir hier ankamen. Also würde es mir auch überhaupt nichts bringen abzuhauen. Gedankenverloren stand ich plötzlich schon am Ende der letzten Treppenstufe. Vor mir befand sich eine unbeschriftete Tür. Auf gut Glück steckte ich den Schlüssel ins Schloss.
-Also das richtige Zimmer hatte ich schon mal gefunden!-
Jetzt hoffte ich nur, dass auch sich noch meine Sachen wirklich da hinter dieser Tür befanden.
Weil sonst ... wüsste ich auch nicht weiter.

Nachdem ich die Tür erfolgreich aufgeschlossen hatte, staunte ich nicht schlecht. Klein war mein Zimmer schon mal nicht. Als ich mich ein wenig umgesehen hatte, entdeckte ich meine Sachen vor und auf dem Bett. Ich atmete erleichtert aus. Anscheinend hatte ich die ganze Zeit vor Angst die Luft angehalten.
Nachdem ich meine Sachen quasi sicherstellen konnte, schaute ich mich etwas entspannter um.

An der Wand gegenüber der Tür befand sich ein Fenster, links daneben stand ein Schreibtisch mit einem Stuhl, auf der Seite gegenüber vom Schreibtisch war das Bett mit meinen Sachen. Am Fußende des Bettes stand ein Kleiderschrank. Außerdem fand ich in dem Zimmer ein kleines Kämmerchen, welches sich als Mini-Badezimmer mit Klo, Waschbecken und Dusche herausstellte. Das fand ich persönlich mega!

Ich räumte meine Sachen vom Bett und ließ mich darauf fallen. „Oh mein Gott, war der Tag komisch!", sagte ich zu mir selber. Bevor ich in Klamotten halb auf dem Bett liegend einschlief.

The Unknown Path Inside || Skz X Reader FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt