Samantha fand Richard später am Lagerfeuer sitzend vor. Sie hatte sehr viel mehr Zeit mit Lady Velton in deren begehbaren Kleiderschrank verbracht, als sie beabsichtigt hatte. Sie hatte noch ein paar Knöpfe, Haken und Ösen angenäht, denn auch wenn Lady Velton die Mode des Regency bewunderte und inzwischen eine ganze Sammlung maßgeschneiderter Kostüme vorzuweisen hatte, fehlte ihr jedes Geschick für Handarbeiten. Anschließend hatte sie Samantha zu einer Tasse Tee eingeladen und gar nicht mehr aufgehört zu reden. Samantha mochte Lady Velton, auch wenn sie ein bisschen schrill war aber dafür auch sehr gutmütig und herzlich. Samantha ließ sie die meiste Zeit reden. Denn immerhin enthob sie das Geplapper davon, viel von sich erzählen zu müssen.
Jetzt stand die Sonne bereits nachmittäglich tief, als Samantha denselben Weg durch den Park nahm, den Richard früher am Tag gegangen war. Auch sei ließ ihre Finger durchs hohe Glas streifen und pflückte aus einer Laune heraus ein paar gelbe und lila Blüten, die sie sich verspielt ins Haar steckte.
Richard saß zwischen lauter uniformierten Männern auf eine schlichten Holzbank an einem Lagerfeuer. Rechts von ihm hockte sein angeblicher Cousin und links der junge als Sergeant gekleidete Mann, dessen helles Haar im Feuerschein rötlich schimmerte, während Richards Haar, seine Brauen und die braunen Augen schwarz wirkten.
In seinen Augenwinkeln zeigten sich Fältchen, als er den Blick hob und Samantha auf sich zukommen sah. Sie trug eines von Lady Veltons Kleidern und einen Schal um die Schultern. Ihr Haar hatte sie aufgesteckt. Er streckte die Hand nach ihr aus und bat den jungen Sergeant etwas Platz zu machen, was dieser bereitwillig tat. Samantha grüßte in die Runde, dankte dem Sergeant und ließ sich neben Richard nieder.
„Keine Hosen?"
„Nein, Kleider sind so viel angenehmer zu tragen", antwortete Samantha und legte die weiten Rockbahnen etwas enger um ihre Beine, um den Stoff vor herumfliegenden Ascheflöckchen zu schützen. „Als ich Lady Velton sagte, dass ich mir das Feldlager anschauen will, nötigte sie mich quasi dazu, eines ihrer Kostüme anzuziehen, damit ich angemessen gekleidet erscheine." Samantha lächelte, dann neigte sie sich zu Richards Ohr, damit die nächsten Worte kein Außenstehender mithören konnte. „Sie hat mich auch überredet, mir ein Ballkleid von sich auszuleihen. Dabei sind wir beim Ball ja längst wieder fort."
„Wir könnten auch noch bis zum Ball bleiben."
„Hast du noch Schmerzen? Willst du deshalb bleiben?"
Richard griff beruhigend ihre Hand, während ihr Blick forschend auf ihm ruhte und ihre Augen im Feuerschein in tiefgrünen Flammen zu stehen schienen. „Nein, aber ich dachte, du möchtest vielleicht noch etwas Zeit mit deinen Freunden verbringen. Sie würden es nicht verstehen, wenn du einfach so verschwindest und ich merke doch, wie sehr es dich belastet, dass Robin dir dein früheres Verschwinden übelnimmt. Doch du hängst an dieser Freundschaft."
Samantha nickte leicht. Sie hatte längst aufgegeben zu ergründen, warum es Richard so leicht fiel sie zu lesen wie in einem offenen Buch. Doch sie dachte an Arthur und sofort kam die Sehnsucht wieder hoch, den kleinen, warmen Körper an sich zu drücken und über sein seidiges Haar zu streichen und seine helle Stimme wieder zu hören. Die Sehnsucht ging mit dem schlechten Gewissen einher, weil sie nicht bereits zurück gegangen war. Sie hätte seit Stunden bei Arthur sein können. Doch Richard war noch nicht wieder ganz auf der Höhe, um schon wieder die Strapazen der Zeitreise auf sich zu nehmen. Auch wenn er keine Schmerzen zu haben schien, war er noch immer blass und die dunklen Schatten um seine Augen waren noch nicht ganz verschwunden. Ein weiterer Tag Ruhe würde ihm nicht schaden und Arthur war bei Hetta gut aufgehoben. Außerdem stimmte es, sie hatte aus der Not heraus jedem erzählt, sie wäre wegen dem Ball hier und wenn sie vorher spurlos verschwand, würden sich ihre Freunde wundern. Außer Lucy und Philipp Latimer, der ihr gerade einen Steingutbecher mit Weißwein in die Hand gedrückt hatte und sich gerade wieder auf der anderen Seite von Richard niederließ.
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Die Schatten von Ferywood
Historical Fiction~ Teil 2 der Ferywood-Saga ~ 1818 - Über 2 Jahre sind seit der schicksalhaften Schlacht von Waterloo vergangen. Richard und Samantha leben als Lord und Lady Velton in Paris. Sie glauben, die Vergangenheit und die Zukunft hinter sich gelassen zu habe...