32 - Nachts im Museum

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Richards tiefe Stimme trug weit. Samantha und Robin konnten ihn hören, als sie sich dem Feuer näherten. Er saß inmitten der uniformierten Männer und erzählte. Er sprach von nach Schwefel riechendem Pulverdampf, der einem das Atmen und das Sehen schwer machte. Er sprach von dem Eindruck, den der Anblick der massierten französischen Kolonnen machten. Von der Gefahr, die von der Kavallerie ausging. Wie es sich anfühlte, Befehle auszuführen, an denen man zweifelte, Befehle zu erteilen, die Menschenleben kosteten. Voranzugehen, wenn man eigentlich weglaufen möchte. Von der Furcht, die man unter keinen Umständen zeigen durfte, weil es die Moral der ganzen Truppe gefährdet hätte und es von den Offizieren erwartet wurde, mit gutem Beispiel voranzugehen. Aufrecht zu stehen, während Kanonenkugeln wie Sternschnuppen über den Himmel rasten. Wie man durch Erfahrung lernte zu erkennen, wann eine Kanonenkugel direkt auf einen zuflog und nur hoffen konnte, sie würde einen Schritt rechts oder links von einem einschlagen, einen anderen treffen.

Samantha schluckte schwer und das leichte Frösteln, das sie verspürte, seit Robin ihr den seltsamen Reim aufgesagt hatte, vertiefte sich.

„Das hat er alles erlebt, nicht wahr?", fragte Robin in die Stille. Samantha zuckte zusammen. Für einen Augenblick war sie vollkommen gefangen gewesen, in dem, was sie Richard sagen hörte. In Erinnerungen, die nicht die ihren waren und die sich doch mit dem, was sie erlebt hatte, seltsam deckten, es ergänzten. Bilder aus einem Traum, beißender Rauch, Tote, schrecklich Verwundete in einem Lazarett. Sie war versunken im Klang seiner geliebten Stimme, die Dinge offenbarte, die er ansonsten gerne vor ihr verborgen hielt.

„Ja", brachte sie mit einem leichten Räuspern hervor. Sie schluckte erneut.

„Oh Mann", murmelte Robin. Seine Begeisterung von vorhin war ehrlicher Betroffenheit gewichen. Es blickte Samantha von der Seite her an, aber sie straffte die Schultern und setzte ein Lächeln auf. Auch sie hatte gelernt, den Schein zu wahren. Dann trat sie mit Robin an ihrer Seite in den Lichtkegel, den das Feuer warf, während es im Park inzwischen vollkommen dunkel war.

Richard verstummte, als er sie bemerkte. Sein ernster Ausdruck wich einem sehr viel weicheren und er rückte zur Seite, damit sie sie sich neben ihn setzen konnte. Robin fand etwas weiter weg vom Feuer einen Platz und sah mit ernster Miene zu ihnen herüber.

„Mrs Latimer, nicht?", wandte sich ein Mann mit graumeliertem Haar und rundem Gesicht an sie. Er hatte sich als Major verkleidet. Die Uniform sah der von Richard, die im Museum hing, verblüffend ähnlich. Der Unterschied bestand nur darin, dass diese Uniform in einem kräftigen Rot erstrahlte und keine Brandlöcher, Risse und Verfärbungen von getrocknetem Blut daran waren.

„Dean Jenkins. Vom Beruf Historiker, aber in meiner Freizeit Major." Er lachte, was eine Vielzahl an Fältchen in sein Gesicht zeichnete. „Ihr Mann ist ein großartiger Erzähler. Man riecht den Pulverdampf beinahe."

„Äh, ja", machte Samantha, etwas irritiert von seiner unverholenen Begeisterung, bis ihr klar wurde, dass er nicht ahnen konnte, das Richard von seinen eigenen Erlebnissen erzählte. Er musste glauben, Richard hätte es in Augenzeugenberichten und Tagebucheinträgen nur gelesen.

„Ich habe noch nie aus dem Stehgreif eine so gute Schilderung der Ereignisse gehört. Ich wüsste nur zu gern, wo er das alles gelesen hat. Er sollte Vorträge halten."

Samantha wusste nicht recht, was sie sagen sollte. „Er ist sehr belesen", stimmte sie lahm zu und fragte sich, was Richard veranlasst hatte, so viel von sich vor diesen Fremden preiszugeben. Normalerweise waren dies Dinge, die er sorgsam unter Verschluss hielt. Sie wusste davon, weil er ihr manchmal davon erzählt hatte, wenn die Träume wieder einmal zurückkehrten. Doch selbst dann entnahm sie das meiste aus dem, was er ungesagt ließ. Auch mit alten Kameraden wie Helwick sprach er praktisch nie über die Erlebnisse, über das Grauen, das unter den Siegen schlummerte.

Die Schatten von FerywoodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt