Die Blüte

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Ich hab das Gefühl, die Blüte stirbt.

Damit meine ich nicht, dass sie verblüht. Nein.

Denn das würde ja heißen, dass daran anschließend eine wunderbare Frucht entsteht.

Wie der Schmetterling aus seinen Kokon.

Aber nein, absolut nicht.

Ich habe das Gefühl, die Blüte stirbt. Nein. Nein, genau genommen: Die Pflanze, sie stirbt.

Ich hatte sie all die Jahre gepflegt.

Gegen all die Krankheiten, die sie so bekommen hatte, angekämpft und gewonnen.

Den Standort regelmäßig geändert.

Sogar mehrmals umgetopft.

Ich frage mich langsam, ob ich sie vielleicht zu viel gegossen habe oder vielleicht habe ich sie irgendwann an einem Tag einmal zu spät gegossen.

Ich weiß nicht, was ich tun soll.

Ich spreche jeden Tag zu ihr.

Ich stehe jeden Tag von neu auf und bin der Überzeugung, dass es heute besser um sie steht.

Und ja!

Das scheint heute der Fall zu sein!

Die Sonne strahlt durch die halbtransparenten Blütenblätter durch und es wirkt fast so, als würde sie so blühen wie am ersten Tag, als ich sie damals zufällig beim Spazierengehen auf einer Blumenwiese gefunden hatte.

Einzigartig von der Farbe und der Kraft der Ausstrahlung hatte ich sie eingetopft und zu mir ans Fenster gestellt.

Sie passte wunderbar in die Umgebung und war das fehlende Puzzleteil zur Harmonie in meiner Nähe.

Doch seit damals hatte sich viel geändert.

Die Wände hatten schon den dritten Farbanstrich und die Möblierung ist schon die zweite Garnitur, die Vorhänge habe ich auch schon einige Male geändert und die Nachbarpflanzen waren auch nicht mehr dieselben.

Die Farben ergänzen sich nicht mehr so schön, wie damals, als ich sie ans Fenster gestellt hatte.

Aus diesem Tagtraum, während ich mich an diese einst mal traumhafte Pflanze erinnerte, wache ich nun langsam auf.

Ich sehe, wie die Abendröte langsam verschwindet und das strahlende Erleuchten der Pflanze aus ihr weicht.

Das Erwachen bereitet mir Unbehagen, den die Pflanze strahlt nicht, sie blüht auch nicht mehr richtig, sowie sie es damals an ihren ersten Tag getan hatte.

Sie kämpft eher ums überleben.

Das einzige, dass das Strahlen verursacht hatte, war nicht die Blüte, denn die hatte ihre besten Tage schon lange hinter sich, sondern die Sonne, die durch sie hindurch gestrahlt hatte, weil ich sie dort hingestellt hatte.

Mit ein, zwei weiteren Gedanken daran verschwendet, überlegte ich, ob ich sie jemals an den Nichtsonnentagen angesehen hatte.

Ich sah die strahlenden Blüten, weil ich sie an die Sonne gestellt hatte.

Ich sah die strahlenden Blätter, weil ich die Fenster sauber geputzt hatte.

Ich sah die strahlenden Farben, weil ich das Fensterbrett regelmäßig putzte.

Ich sah das strahlende Grün, weil ich sie immer vom Staub befreite.

Ich sah also immer das, was ich sehen wollte- ?

Ich sah diese eine strahlende Pflanze ... weil ich sie so sehen wollte.

Sie war ein Strahlen, das ich gesucht und gefunden hatte und ich selbst, als es verschwinden wollte, eine Möglichkeit fand, sie wie fast am ersten Tage aussehen zu lassen.

Doch das Gewicht und die Last auf meinen Schultern ist mir zu schwer.

Zu schwer, um es alleine zu tragen ...

Zu schwer, um sich damit zu beschäftigen ...

Die Natur kann nur dann gedeihen, wenn alles in Harmonie zusammenspielt und wenn ich sie nicht sehe oder mich einmal nicht darum kümmere, so wird die Harmonie gestört und alles wird wild zum Schaukeln gebracht und dabei ist es völlig unklar, ob sich die wilden Wellen, die einen Fehltritt zum nächsten führen lässt, wieder eine angenehme Atmosphäre entstehen wird.

Mit Tränen in den Augen sehe ich diese halb kranke und teils trockene Pflanze mit zu nasser und schon mit Schimmelsporen bedeckte Erde an.

Es war alleine meine Perspektive, die das ganze strahlen ließ.

Jetzt ist die Sonne ganz versteckt und wartet bis auf den nächsten Tage um sich wieder blicken zu lassen.

Das einzige, was mich diese Blumen noch sehen lässt, ist die Innenbeleuchtung der Küche und ich sehe sie mit starren und glasigen Augen an.

Die Blume, die aufgrund ihrer Umgebung nicht mehr gedeihen kann, die Wellen, die ich nicht mehr zur Ruhe bekomme.

Eine gestörte Harmonie, die bei Versuchen alles wieder geradezubiegen nur weitere heiße Fettspritze von sich gibt und alles in der Nähe mit kleinen Brandwunden versehrt.

Ich möchte aber jedoch nicht aufgeben.

Das liegt mir nicht.

Das würde doch heißen, dass ich verlieren würde ... ich verliere nie!

Nach jedem Sturm kommt eine Ruhe, in denen die Wellen kaum sichtbar sind, also ist der richtige Weg nicht das dagegen ankämpfen, sondern das Abwarten bis sich die See wieder beruhigt hat und der Sturm vorbei ist.

Morgen werde ich die Pflanze umtopfen und versuchen so wie ich es gestern getan habe und sie an ein anderes sonniges Plätzchen stellen.

Denn morgen Früh ab ersten Sonnenstrahl wird sie wieder den besten Schein tragen, bis sie der letzte Sonnenstrahl des morgigen Tages berührt.

Auch wenn es nur der Schein ist...

Doch die weiteren Gedanken an den bereits mir verbrannten und wunden Händen von dem Fettspritzern- von dem vielem Umtopfen -von dem vielen Putzen und Herumgraben. Egal wie sehr ich an der Umgebung arbeite, es wird nicht die sein, die die Pflanze braucht. Ich berühre ihre fahlen Blätter, während sich eine Träne verselbstständigt und meine Wange hinuntergleitet.

Manches Ende möchte man nicht akzeptieren.
Manche Blume möchte man nicht entfernen.
Manche Pflanze möchte man nicht verlieren.
Manche Türe möchte man nicht schließen.

Doch die Last, in dem Moment, in dem man akzeptiert, entfernt, verliert und schließt, genau dann beginnt erst der Weg.
Denn die Akzeptanz, die Entfernung, der Verlust und das Verschließen einer Möglichkeit gibt dir eine Chance auf dich zu konzentrieren und in eine andere Richtung zu blicken.
Warum sollte das Ende ein Schluss sein...
Warum bist du dir dabei so sicher?
Oder betrachtest du es so sehr und analysierst es in das kleinste Detail, das dir erst gar nicht auffällt, dass das eigentlich der Anfang ist?

Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: Jan 07 ⏰

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PatheticWo Geschichten leben. Entdecke jetzt