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Annalena

Ich verstand Fritz Aufregung absolut nicht. Was war denn plötzlich in ihn gefahren? Normalerweise interessierte ihn die Klingel eher wenig. Moment. Wusste er etwas, wovon ich nichts wusste?
Ich ging zur Tür und versuchte, nicht über meinen Hund zu fallen. Ich öffnete.
„Hallo Frau Bergmann."
Am liebsten wollte ich die Tür direkt wieder schließen. Das war gerade der letzte Mensch, mit dem ich mich herumschlagen wollte.
„Hallo", antwortete ich nur knapp.
Fritz schien auch enttäuscht zu sein, setzte sich direkt neben mich und ich meinte fast, ein Knurren gehört zu haben.
Ja, Wincent hatte ihn ganz offensichtlich verhext.
„Sagen Sie, war die Post da und hat bei Ihnen ein Paket für mich abgegeben?"
Dieser Mann ging mir ziemlich auf den Zeiger. Ich wusste schon, warum Fritz ihn noch nie mochte.
„Nein, auch heute nicht. Sie werden schon Bescheid bekommen, wenn dem so ist", antwortete ich und versuchte höflich zu bleiben.
Jeden Tag klingelte er und fragte nach irgendeinem Paket. Dabei warfen die Postboten immer Zettel rein, wenn sie Sachen bei einem Nachbarn lagen. Jeder hatte das gecheckt, sogar die kleinen Jungs, die gegenüber wohnten. Nur er war der einzige, bei dem es nie im Gehirn ankam.
„Die Lasagne!", brüllte Lara aus der Küche und rette mich.
„Sorry, ich muss. Schönen Abend noch", wünschte ich und schloss die Tür wieder.
Ich atmete tief durch und streichelte Fritz über den Kopf, bevor ich zu Lara in die Küche ging.
„Was ist?", wollte ich wissen.
„Die Lasagne ist fertig."
„Perfektes Timing", sagte ich lächelnd und ging ins Bad, um meine Hände zu waschen.
Anschließend half ich Lara beim Tisch decken und wir genossen gemeinsam mein Lieblingsessen. Irgendwie wünschte ich mir Wincent her, als ich so vor mich hin aß. Zum Glück musste ich mich nur ein ganz kleines bisschen zum Essen zwingen. Offenbar hatte Martha ausnahmsweise mal Pause.
Nach dem Essen überredete Lara mich noch zu zehn Runden Memorie. Sie behauptete, geübt zu haben und wollte das unbedingt unter Beweis stellen. Da ich sie die letzte Woche etwas vernachlässigt hatte, gab ich nach. Tatsächlich war es nicht mehr so einfach, gegen Lara zu gewinnen, aber ich schaffte es trotzdem. Als Belohnung durfte ich entscheiden, was wir jeden Tag nach der Arbeit zusammen unternehmen wollen. Da würde mir ganz bestimmt etwas einfallen.
Erst einmal fiel ich jedoch hundemüde ins Bett und schlief fast sofort ein. Allerdings war der Schlaf nicht sehr erholsam und gegen drei Uhr wachte ich endgültig wieder auf.
Ich tastete nach meinem Handy und öffnete den Chat mit Wincent. Ich brauchte jetzt einfach seine Stimme. Also hörte ich mir die letzten Nachrichten an, die er mir so geschickt hatte. Jedes Mal kam die Erinnerung daran, was wir danach zusammen erlebt hatten, hoch. Deshalb tauschte ich WhatsApp gegen Spotify und ließ einfach alle Alben von Wincent abspielen. Vielleicht kam ich ja so ein wenig runter. Wobei es schon fehlte, in seinen Armen zu liegen. Dort schlief ich einfach am besten.

Wincent

Es war seltsam, wieder alleine im Hotelbett zu liegen. Klar hatte ich das in Hamburg, bis auf die letzte Nacht, auch gemacht, aber ich wusste, dass Anna in der Nähe war. Nun trennten uns 586 Kilometer voneinander. Lange lag ich wach. Zwischendurch hatte ich sogar den Gedanken, Anna zu schreiben, verwarf ihn aber wieder. Ich wollte sie auf keinen Fall wecken.
Irgendwann musste ich doch eingeschlafen sein, denn das Vibrieren meines Handys weckte mich. Noch komplett müde griff ich nach dem Telefon und warf aus halb geschlossenen Augen einen Blick aufs Display.
Was wollte Amelie denn? Vor allem um diese Zeit? Und wieso explodierte mein Instagram so? Ich hatte doch gar nichts gepostet. Und Release war auch nicht.
Ich setzte mich im Bett auf, schaltete das Nachtlicht an und entsperrte mein Handy.
»Sorry für die nächtliche Störung. Du musst mich mal bitte zeitnah auf Stand bringen. Hast du eine Freundin?«
Ich starrte aus das Display und traute meinen Augen nicht. Das hatte niemals Amelie geschrieben. So direkt war sie nicht.
»Geh auf jeden Fall nicht auf Instagram. Nicht alleine. Warte auf Anna oder mich. Es ist besser so. Wir sind auf jeden Fall dran.«
So ganz verstanden hatte ich jetzt nicht, worum es geht, aber das lag vermutlich an der Uhrzeit. Morgen war auch noch ein Tag. Ich legte das Handy zurück, kuschelte mich unter die Decke, versuchte, mir Annas Geruch und ihre Berührung vorzustellen und schlief dabei tief und fest ein.
Allerdings riss mich mein Wecker bereits fünf Stunden später wieder aus dem Schlaf. Ich war ja der Meinung, Wecker sollten verboten werden.
Das wiederum hätte zur Folge, dass ich immer zu spät kam. Nicht wirklich eine Änderung zu aktuell, aber der Wecker sorgte wenigstens dafür, dass ich pünktlich kommen könnte. Vorausgesetzt natürlich, ich würde nicht zwanzig Mal die Schlummern-Taste drücken.
Ganz kurz kam mir wieder die Erinnerung von letzter Nacht hoch. Daher stand ich auf und klatschte mir im Bad Wasser ins Gesicht.
Zurück im Zimmer zog ich mich an, nahm meine Kopfhörer, die Zimmerkarte und mein Handy mit und ging frühstücken. Anna war bestimmt noch nicht wach, vor allem da sie gegen drei Uhr nochmal online war.
Ich hatte gerade ein Tablett ordentlich beladen , als mein Handy klingelte. Ich ging zum Tisch, verband meine Kopfhörer und nahm den Anruf entgegen. Schien ja wichtig zu sein.
„Ja?"
„Wincent! Gut, dass ich dich erreiche."
Oh. Wincent. Das klang nicht gut.
„Was gibt es, Amelie?"
„Du bist nicht mehr in Berlin, oder?"
„Nein. Hab in, ähm zwei Stunden wieder Reha."
„Also bist du in München?"
„Jap."
Es entstand eine kurze Pause.
„Wieso?", hakte ich dann nach.
„Es wird dir nicht gefallen", setzte Amelie an und im nächsten Moment war Ruhe.
Verwirrt sah ich auf mein Handy, das komplett schwarz war.
Scheiße ey! Warum musste immer in den wichtigsten Momenten dieser bescheuerte Akku leer sein. Und warum hatte ich Trottel es gestern Abend nicht an den Strom gehängt? Normalerweise ließ ich es immer nachts aufladen.
Frustriert legte ich das Handy auf den Tisch, packte die Kopfhörer in ihre Hülle zurück und widmete mich meinem Frühstück. Amelie würde ich später zurückrufen. Ich aß nicht viel, da ich ein ziemlich schlechtes Gefühl hatte. Irgendwas musste passiert sein, das mich betraf. Sonst würde Amelie nicht nachts schreiben und morgens direkt anrufen. Hatte ich mich irgendwo verplappert? Aber warum die Frage danach, ob ich in Berlin war? Moment, die Nachricht heute Nacht. Ging es etwa um Anna?

Bin ich für sie blind? Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt