2- Aufbruch

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Die anschließende Feier war eine der Ausgelassensten, die die Straßen Alonias seit langem erlebt hatten. Es wurde viel getanzt, gesungen und getrunken. Viele Leute brauchten einen Grund, um zu feiern und dies war gewiss ein sehr triftiger Grund. Thara schüttelte an diesem Tag mehr Hände als in allen letzten Jahren zusammen. Jeder riss sich darum, auch nur ein paar Worte mit der Königin zu wechseln. Und es waren ja schließlich nicht nur Bürger aus Alonia, es waren Menschen, Elben, Zentauren, Zwerge und sogar ein paar Sylphen aus ganz Tarquinis angereist, denn ein Herrschaftswechsel bedeutete auch immer eine neue Chance auf ein Bündnis, ein Handelsabkommen oder auch eine simple Gutstellung mit dem Königreich. Aber natürlich kamen manche auch einfach aus Respekt oder der Getränke und Gesellschaft wegen.

Es war schon weit nach Mittag und die meisten Gäste bereits sehr betrunken, da erspähte Thara eine Gestalt. Die dunklen Haare fielen ihm in die Stirn und seine dunkelbraunen Augen, die zum Teil durch den Schatten einer schwarzen Mantelkapuze verborgen wurden, schweiften suchend durch die Menge.

"Entschuldigt mich bitte", sagte sie höflich zu einem unüberhörbar lallenden Zwerg aus dem Nebelmoor, der ihr und einem anderen Zwerg gerade versuchte zu erklären, warum es so wichtig war, gute Gefängniswärter zu haben, von seinem Genuschel hatte sie allerdings ohnehin nur die Hälfte verstanden.

"Hab mich schon gefragt wo du abgeblieben bist, bei Artha hörte es sich dringend an", begrüßte sie Jaromir, als sie sich durch die feiernden Leute gezwängt hatte, den Blick immer auf dem Boden, um ja nicht angesprochen zu werden.

"Verdammte Leute, diese Elben aus den Obstwäldern, das sag ich dir, haben tausend Sorgen", sagte er mit gedämpfter Stimme, während sie sich durch die Leute kämpften, um einen ruhigeren Ort zum Reden zu finden.

"Sie können die Vögel nicht hören, ihre Zimmer sind nicht gut genug belüftet, die Sonne wird am nächsten Morgen nicht nördlich genug durch das Fenster fallen und so weiter." Jaromir schüttelte den Kopf.

"Versteh mich nicht falsch, aber ich frag mich nicht mehr, warum dein Vater immer vergessen hat, ihre Einladungen rechtzeitig fertig zu schreiben."

Sie erreichten den Rand der Stadt, die direkt an einen Wald angrenzte. Ihre Schritte wurden langsamer, während sie zwischen den hohen Bäumen entlangspazierten. Die Musik war nur noch gedämpft zu hören und Thara atmete die frische Luft gerne und genoss die Ruhe nach so vielen Stunden zwischen den ganzen Leuten.

"Also, was war so dringend?"

Jaromirs Gesicht wurde ernster.

"Ich wollte es dir gleich sagen, damit wir, und damit meine ich du, entscheiden kannst, was zu tun ist." Thara runzelte die Stirn. Sie hörte ihn ungern in so düsterem Ton reden.

"Ist dir aufgefallen, wer heute nicht zu deiner Krönung erschienen ist?"

"Nun, es waren viele da, viele auch nicht", fing Thara zögernd an.

"Aber von denen, die du eigentlich auf jeden Fall erwartet hättest?"

"Vom Ostufer, aus Elbra, war niemand da." Als sie es aussprach, bemerkte sie erst, wie sehr es sie doch gestört hatte.

"Genau, nun trauriger Weise haben sie es nicht etwa vergessen oder hatten kein Interesse, bei einem so alten Bündnis würde man das auch nicht erwarten", er holte kurz Luft und bereitete sich scheinbar geistig auf seinen nächsten Satz vor.

"Unsere Späher berichten von einem Angriff." Thara konnte nicht antworten. Ein Angriff war an sich nichts so Ungewöhnliches, aber auf Elbra? Eine der am besten gerüsteten, östlichsten Städte in ganz Tarquinis?

"Aber das wäre wahnsinnig, sie haben so gut geschützte Mauern und außerdem wäre es viel zu heiß um-"

"Tja, unsere Männer berichten auch nicht von Sterblichen. Sie erzählen von Toten, Thara, von Toten." Sie konnte Jaromir ansehen, dass er das selbst nicht ganz glauben konnte oder wollte.

Des Königs letzter SchatzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt