36 - Die Siebente

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In einträchtigem Schweigen falteten Samantha und Richard Flyer. Richard enthielt sich jeder Bemerkung über den bedauernswerten Mangel an Personal, auch wenn er diesen durchaus als solchen empfand, und faltete mit stoischer Miene ein Blatt nach dem anderen, so dass der Stapel schnell anwuchs. Sie sprachen nicht viel. Doch bald schmerzten die Finger vom Falten und die Nacken von der unbequemen Haltung, am niedrigen Couchtisch zu arbeiten. Nach den Flyern widmeten sie sich den Tanzkarten, die Richard faltete und Samantha mit kleinen Bleistiften an Satinbändern versah. Irgendwann steckte Lady Velton den Kopf zur Tür herein.

„Oh, wie weit ihr schon seid!", freute sie sich und ihre Stimme klang wegen der ganzen Aufregung kurz vor dem Ball noch schriller als sonst. „Ich nehme gleich ein paar Flyer mit, die Viv im Museum auslegen will. Ach ja. Mr Sanders ist da und als er hörte, dass du da bist, Samantha, wollte er nur mit dir zusammenarbeiten."

„Ich komme." Samantha erhob sich, lächelte Richard, der gleichmütig weiterfaltete, zu, und folgte Lady Velton hinaus in die Halle. Dort ging es bereits zu wie im Bienenschlag. Leute vom Catering gingen ein und aus, brachten Ware und Geschirr und dazwischen stand der Florist, Mr Sanders, der zwei Helfer beaufsichtigte, die Blumenbouquets hereintrugen. Samantha begrüßte ihn, denn er war ein alter Bekannter, und wies seinen Helfern den Weg in den Salon.

„Sie haben sich wieder selbst übertroffen", versicherte sie dem Floristen, und bewunderte die Auswahl und das Arrangement der Blumen. 

„Vielen Dank. Wie schön, dass Sie dieses Jahr wieder mit von der Partie sind", sagte er und strich sich den geblümten Schal glatt, den er lässig um den Hals geschlungen hatte. Sein Hemd war blütenweiß und die Hose mit Bundfalten aus Tweed. Elegante braune Lederschuhe und Vintage-Hosenträger komplettierten sein Äußeres. Er wirkte genauso außergewöhnlich, wie seine Blumenarrangements. Im nächsten Moment wies er einen seiner Helfer scharf zurecht, weil er seiner Meinung nach zu unachtsam mit seiner Kreation umsprang.

„Ja, ich lebe weit weg von hier und konnte die letzten Jahre nicht zum Ball kommen", antwortete sie. „Aber es ist schön, wieder hier zu sein."

Nach kurzer Zeit waren die Bouquets im ganzen Erdgeschoss verteilt. Sie schmückten den zum Ballsaal umfunktionierten großen Salon und zierten das Speisezimmer, in dem Erfrischungen und das Souper gereicht werden würden. Die Bibliothek sollte verschlossen bleiben und ein weiteres Blumenbouquet verstellte die Tür, so dass niemand auf die Idee kam, dort einzudringen und es dennoch nicht so aussah, als wäre der Bereich gesperrt.

„Die Girlande bringen wir am Geländer an, richtig?", erkundigte sich Mr Sanders.

„Genau. Bis zum oberen Treppenabsatz und hinauf zur Galerie."

Mr Sanders winkte einen Gehilfen heran und schickte ihn, eine Leiter zu holen, während sein Kollege achtsam die großen Schachteln öffnete, in die die Girlanden in Einzelteilen weich gebettet waren. Bald würde das Treppengeländer aussehen wie eine Kulisse von Shakespeares Mittsommernachtstraum. Und somit ganz ähnlich, wie damals zu dem ersten Ball, als Samantha Richard als vermeintlichen Geist vom oberen Treppenabsatz zu sich hatte herunterblicke sehen. Damals hatte sie den ersten Schreck über seine geisterhafte Erscheinung bereits überwunden und sein feines Lächeln, hinter dem so viel mehr gelegen hatte, als sie damals je hätte ahnen können, erwidert.

Sanders Helfer stellten umständlich die Leiter auf. Gleich würde die Treppe für die Zeit, die sie brauchten, den Blumenschmuck anzubringen, unpassierbar sein. Also entschuldigte sie sich, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass er sie nicht länger brauchte, und schob sich an den Arbeitern vorbei und huschte nach oben. Dann kehrte sie zu Richard in den Salon zurück und knüpfte noch eine Weile Bändchen an Tanzkarten. 

„Puh, geschafft", sagte sie schließlich erleichtert, und ließ den Kopf kreisen um ihren angespannten Nacken zu entlasten. "Mir tuen die Finger richtig weh." Etwas kritisch betrachtete sie eine rote Stelle an der Spitze ihres Zeigefingers und hoffte, dass sie keine Blase bekommen würde.

Die Schatten von FerywoodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt