~Only love could ever hurt this hard ~
Ich traue meinen Augen nicht, als das Auto vor dem imensen Anwesen stehen bleibt.
Mich beschlich bereits ein mulmiges Gefühl, als wir in die große Allee hineinfuhren. In der Innenstadt herrschte wildes Chaos. Überall waren Menschentrauben, die sich eilig einen Weg durch das lebensgefährliche Verkehrslabyrinth bahnten, um nicht zur spät auf der Arbeit anzukommen. Im Sekundentakt hörte man das Hupen der Autofahrer, die sich über die Lebensmüdigkeit eines anderen erzürnten. Und auf den Wiesen pflanzten sich die weggeworfenen Brottüten des schnellen Frühstückes neben den Alkoholflaschen der letzten Nacht.
Im Gegensatz dazu wirkte die Allee wie eine völlig andere Welt. Bäume säumten sich in gleichmäßigen Abständen jeweils rechts und links an der blank geleckten Straße, auf der nur wenige Menschen unterwegs waren. Auch in den rieisgen Vorgärten, war unter der Vielfalt von exotischen Pflanzen keine Menschenseele zu erkennen. So ruhig dieser Ort auch schien, desto lauter war der Kokurrenzkampf um das prunkvollste Anwesen.
Doch das Haus (falls man es überhaupt als solches bezeichnen darf) vor dem unser Wargen parkt, stellt selbst die luxuriösen Mitstreiter der Nachbarschaft mühelos in den Schatten.
Die weißen Backsteine errichten sich zu einer edelen Villa, höher als die Kirschbäume, die im Vorgarten erblühen und die feinpolierten Glasflächen reflektieren die Sonnenstrahlen, die durch das Wolkendach brechen.
Ich kann die Fenster kaum zählen, als sich schon die Tür öffnet und mir jemand aus dem Auto hilft.
Rechts von mir erstreckt sich eine große Wiese und ein kleiner Teich weidet im Schatten der Bäume.
"Willkommen zu Hause" ,sagt Robert mit einem stolzen Grinsen im Gesicht, aber ich bin nicht fähig es zu erwidern, zu befangen bin ich von dem unerschwinglichen Anlitz.
Robert geleitet mich zu der immensen Eingangstür, die doppelt so breit ist, wie eine gewöhnliche Tür. Fünf Treppenstufen aus glänzenden Stein müssen bewältigt werden, um in die riesige Eingangshalle zu treten. Vielleicht ist die Größe nur eine Illusion durch die hohe Decke, aber die Halle könnte Aufenthalt für viele Menschen bieten. Doch stattdessen ist nur ein dicker roter Teppich auf dem honigfarbenden Mamrorboden platziert und von der Decke hängt ein beachtlichter Kronleuchter.
"Schön Sie wieder zu sehen, Miss Clancy."
Erst jetzt bemerke ich die junge Dame, die mich mit einem herzlichen Lächeln empfängt. Sie trägt einen schwarzen Stiftrock kombiniert mit einer weißen Bluse.
"Ähm...Hallo Miss..." Zeit das meine Stimme wieder auftaut.
"Oh, entschuldigen Sie mich bitte. Ich bin Miss Bloem... Ich bin das Hausmädchen" ,stellt sie sich verlegen vor. Hausmädchen?
Erneut spüre ich das Schwindelgefühl, das mir in den Kopf steigt. Erst die gewaltige Menschenmasse aus dem Krankenhaus, dann die pompöse Villa, das dem Abbild aus einem Märchenbuch gleich kommt, und jetzt ein Hausmädchen. Ist das wirklich alles in den letzten zwei Stunden passiert?
Meine Gedanken hängen den Ereignissen eindeutig hinterher. Ich nehme zwar die Bilder vor meinen Augen wahr, aber sie lassen sich nicht einordnen. In mir herrscht ein wirres Chaos.
Erst das lebensfrohe Lachen, das von der Etage über uns dringt, weckt mich aus meinen Gedanken.
Ein junger Mann stürmt die Treppenstufen hinunter,auf der Flucht vor einem braunhaarigen Mädchen, das ihm lachend hinterhereilt. Ich erkenne ihn von den Fotos wieder. Mein Bruder. Alexander.
Offensichtlich hat auch er mich erkannt, denn er verharrt inmitten seiner Bewegung und das Lächeln auf seinen Lippen verblasst. Schockierung oder doch nur Erstaunen? Ich bin mir seinem Gesichtsausdruck nicht sicher.
"Hey Alex!" ruft das Mädchen, was ungefähr in seinem Alter sein muss, doch als sie seinem Blick folgt, bleibt auch sie wie angewurzelt stehen.
"Cate..." wispert sie kaum hörbar, wendet jedoch schnell den Blick von mir ab.
Ich weiß nicht was ich sagen soll, stattdessen starre ich die beiden unbeholfen an. Robert unterbricht die Stille.
"Catherine, das ist dein Bruder Alexander."
Der junge Mann mit den gestylten Haaren deutet ein Lächeln an und kommt langsam auf mich zu. Offenbar hat er sich wieder gefangen.
"Hey Schwester" ,sagt er leichthin, doch seine Umarmung ist fest, als hätte er Angst mich wieder loszulassen. Es verstreichen ein paar Sekunden, als er mich wieder freigibt. "Entschuldigung..." stammelt er nervös und vergößert den Abstand zwischen uns. Es entgeht mir nicht, dass er mich von oben bis unten mustert.
Dann dreht er sich zu dem Mädchen um : "Annie?"
Sie schaut Alexander mit einem wütenden Gesichtsausdrück an und sagt mit zusammengebissenen Zähnen: "Ich kann das nicht..."
Sind das Tränen in ihren Augen? Ich kann es nicht sagen und dann stürmt sie schon die Treppe hinauf. Kurz darauf hört man eine Tür laut ins Schloss fallen.
Hasst sie mich? Habe ich ihr etwas getan?
"Sie ist ein bisschen schwierig zurzeit. Das hat nichts mit dir zutun mein Engel" ,sagt Robert aufmunternd. "Wie wärs, wenn du erstmal auf dein Zimmer gehst, um dich ein bisschen aufzufrischen und währenddessen macht Frau Bloem dein Lieblingsessen fertig?"
Ich nicke nur, denn tatsächlich möchte ich schnellst möglich aus den weißen Kittel steigen, mir den Krankenhausgeruch von der Haut waschen und sehne mich auch nach ein paar Minuten für mich allein.
"Schon gut Dad. Ich werden das übernehmen" ,stößt Alexander hevor. Mit verunsicherten Lächeln überlässt Robert dem blonden Mann die Taschen, die er gerade in die Hand genommen hatte: "Na gut... Ich gehe dann mal schauen, wo eure Mutter ist."
Ich starre auf Alexander, der bereits auf der Hälfte der Treppe angelangt, als er sich zu mir umdreht.
"Worauf wartest du?" sagt er mit spöttischem Grinsen. "Und hast du deine Stimme im Krankenhaus verloren?"
Mein Gedächtnis, korrigiere ich ihn traurig im Gedanken.
"Nein...es ist nur..." Ich schüttel den Kopf und folge ihm.
Nur mit mühseliger Kraft schaffe ich es die ersten Stufen zu überwinden, bis ich mich völlig außer Atem an das Geländer lehne.
Alexander, der schon längst oben angekommen war, eilt die Treppe hinunter um mich zu stützen.
"Danke" ,sage ich schwer atmend, als er mit mir gemeinsam eine Stufe nach der anderen bewältigt. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichen wir die zweite Etage und ich brauche einige Sekunden um mich von der Anstrengung zu erholen.
"Ich fürchte, ich habe schon lange keinen Sport mehr getrieben" sage ich um meinen Scham zu überspielen.
"Um ehrlich zu sein, warst du noch nie so die Sportskanone."
Als ich ihn ansehe, müssen wir beide lächeln.
Alexander stößt eine der vielen Türen auf und der Anblick, der sich dahinter verbirgt, versetzt mich zum zweiten Mal in Atemnot.
"Da wären wir."
Er stolziert in den riesigen Raum, lässt sich auf das große Bett fallen und schaut mir mit großen Vergnügen dabei zu, wie ich fassungslos im Türrahmen zurückbleibe.
Das kann unmöglich mir gehören.
Unter meinen Füßen breitet sich ein dunkler Holzboden aus, der im Kontrast steht mit den sanften Cremeweiß der Wände.
Das Bett, auf dem Alexander sich ausbreitet, ist so groß, dass dort sicherlich vier Leute schlafen könnten und jeder von ihnen würde sogar noch mehr als ein Kissen abbekommen. Es sieht unheimlich gemütlich aus mit dem Berg aus Kissen und weichen Decken. Ein Baldachin aus Seide, der sich in seichten Wellen über die Decke spannt, perfektioniert das Schlafgemach.
Auf der linken Seite des Raumes entdecke ich ein weiteres Zimmer. Neugierig trete ich ein wenig näher, um einen Blick hineinzuwerfen.
Der Raum ist etwas kleiner und unzählige Schränke und Regale, auf denenen sich ordentlich gefaltete Kleidungsstücke befinden, füllen die gesamte rechte und linke Wand aus. Allein die hintere Wand ist vollkommen von einem Spiegel eingenommen.
Bei dem Anblick meines Spiegelbildes bleibt mir die Luft weg. Ich sehe noch schlechter aus, als befürchtet. Es wird Zeit für ein Bad.
Ich kehre dem begehbaren Kleiderschrank den Rücken zu. Es ist weder das Bett, noch das extravagante Zimmer, das mir am meisten den Atem raubt. Es ist die kleine Bank, eingeschlossen in der riesigen Fensterfläche, die wie ein durchsichtiger Wasserfall von der Decke gleitet.
Auf der Bank liegen ein paar Kissen und auch ein Stapel aus Büchern. Ob ich wohl als letztes darin gelesen habe?
Eine weitere Sammlung von Büchern weilt in einem Holzregal, vielleicht sind es 80 oder mehr.
Ein beruhigendes Gefühl breitet sich in mir aus. Sushi und Shoppen, aber habe ich offensichtlich eine Leidenschaft für Bücher.
"Ähm...Ich lasse dich wohl erstmal alleine" ,räuspert sich Alexander. "Das Badezimmer ist direkt nebenan, dort müsstest du alles finden."
Ich drehe mich mit einem schüchternen Lächeln zu ihm um: "Danke Alexander."
"Alex. Du hast mich nie Alxander genannt" ,verbessert er mich und einen Moment bin ich schockiert von dem bitteren Beigeschmack in seiner Stimme. Doch dann sagt er mit einem Lächeln: "In einer halben Stunde hole ich dir ab. Du solltest dich beeilen, denn neben Sportlichkeit ist Pünktlichkeit auch keine deiner Stärken." Mit einem breiten Grinsen verschwindet er hinter der Tür.
Ja, man kann ihn wirklich nur mögen.
Ich sollte mich vermutlich an Alex' Ratschlag halten, aber als ich den kleinen Balkon entdecke, zieht es mich doch für einen Moment an die frische Luft.
Und da stehe ich, sauge den Duft der Balkonblumen in meine wunden Lunge und lausche mit geschlossenen Augen dem lieblichen Gesang der Vögel. Ich sollte mich wirklich fertig machen...
Gerade als ich zurück ins Zimmer gehen möchte, entdecke ich einen Strauß Blumen, der aus dem gelblichen Blütenbeet hervorsticht. Mein Herz beginnt schneller zu schlagen, beim Anblick der blau-lilanen Blüten, die mir bereits bekannt sind. Unwillkürlich muss ich an den fremden Mann in meinen Zimmer denken und an das Foto, das ich ... Ich erblicke ein gefaltetenes Papier, das am Blumenstrauß befestigt ist. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, als ich es vorsichtig auseinanderfalte.
Die schwarze Tinte geschwungener Buchstaben ist in das Weiß gedrungen:
"Vergiss mein nicht".
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Vergissmeinnicht
RomantikAls Catherine nach einem schweren Autounfall im Krankenhaus erwacht, kann sie sich an nichts mehr erinnern. Die Diagnose: Amnesie. Um ihrer Familie nicht zur Last zu fallen, bemüht sie sich wieder in ihr altes Leben zurückzufinden, doch nichts fühlt...