Er blinzelte in die Dunkelheit des Zimmers. Jaromir hatte sich bereits seinen Mantel übergeworfen und war dabei, alle ihre Vorräte hastig in Taschen zu verstauen. Drasere war von Anori weitergegangen und fuhr nun fort, Leanord zu wecken. Wenige Minuten später waren sie bereits auf die Straße, an der das Gasthaus lag, getreten. Was sich hier jedoch abspielte, ließ Anori ein Gefühl der Übelkeit verspüren. Sie waren überall. Gestalten mit pechschwarzen leeren Augen, manche ohne Kopf. Sie schwangen ihre Schwerter und Säbel jedoch mit so viel Hass, dass es keinen Unterschied machte, wie viele ihrer Sinne sie noch nutzen konnten. Sie stießen kehlige, unheimliche Schreie aus, die die panischen Rufe und das Wimmern der Stadtbewohner deutlich übertönten. Es war eine Tragödie, die sich hier direkt vor ihren Augen abspielte. Kaum einer stellte sich den unheimlichen Angreifern entgegen. Mit was hätten sie sich auch wehren sollen? Beim Betreten der Stadt wurde allen Besuchern gründlich jede einzelne ihrer Waffen abgenommen.
Ein ausgetüftelter Plan, dachte Anori. Erst allen Leuten ihre Waffen abnehmen und den König ermorden, damit die Angreifer anschließend leichtes Spiel haben. Doch wofür?
Drasere antwortete prompt auf diese stumme Frage.
"Der Armreif, sie suchen den Armreif!" Er zückte sein Messer. "Los, wir müssen zum Tor! Vergesst die Pferde, bis dahin schaffen wir es niemals!", brüllte er in Jaromirs Richtung, der sich den Stallungen zugewandt hatte. Drasere holte aus und stieß einer der gruseligen Gestalten das Messer in die Kehle, bevor sie ihr Schwert gegen sie schwingen konnte. "Los!", schrie er seine Gefährten erneut an.
Jaromir rührte sich als erstes. "Das Waffenhäuschen!" Er griff nach Anoris Arm und zerrte ihn mit sich. Leanord folgte ihnen ebenfalls. Drasere bildete den Schluss und hielt ihnen so gut es ging mit seinem Messer den Rücken frei.
Anoris Beine bewegten sich ohne sein Zutun und trugen ihn sicher durch das Kampfgetümmel. Ein Horn wurde zum wiederholten Mal geblasen und Anori erspähte immer mehr bewaffnete und gerüstete Zwerge, die sich den Angreifern stellten. Es waren jedoch längst nicht genug, um der Übermacht zu trotzen. Jaromir führte sie entschlossen durch das Getümmel und schaffte es mit bewundernswerter Sicherheit, sie um die meisten Gefechte herumzuführen. Das Waffenhäuschen kam in Sicht und mit ihm das Stadttor. Es war eingerammt und hatte ein mannshohes Loch vorzuweisen. Die Leiche des diensthabenden Torwächters lag mit ausgestreckten Gliedmaßen davor. Die Kämpfe verlagerten sich eher ins Innere der Stadt, doch auch hier trieben sich einige Feinde herum. Jaromir ließ Anoris Arm los, um an der Tür des Waffenhäuschens zu rütteln. Sie war verschlossen.
Kurzentschlossen hatte Leanord sich das Schwert des Torwächters geschnappt und schlug damit das Fenster ein. Ohne ein Wort zu verlieren zog sich Jaromir am Fensterbrett hoch und schwang sich ins Innere des Häuschens. Leanord konnte es jedoch nicht lassen und deutete eine Verbeugung an. Drasere bekam das nicht mit. Er stand mit dem Rücken zu ihnen und spähte durch den Nebel und die Dunkelheit, das Messer kampfbereit erhoben. Jaromir begann damit, Anori und Leanord ihre und Draseres Waffen herauszugeben. Sie verzichteten darauf, noch mehr mit zu nehmen, als das, was sie mitgebracht hatten.
"Das wird mindestens ein zehn Stunden Ritt, die Rasten nicht mit eingerechnet", hatte Anori ihnen nach dem Studieren seiner Karte am Abend zuvor erklärt. Zu Fuß ohne Pferde würden sie wohl ein bis zwei Tage unterwegs sein, mit den Rasten und Schlafpausen eher drei Tage. Nach ein paar quälenden Minuten verstummte das Klirren von Metall, während Jaromir ihre Waffen suchte, und er schwang sich wieder aus dem Fenster.
"Mein Schwert kann ich wohl vergessen", seufzte Leanord wehmütig. Immerhin war es mit dem Blut des Moorkönigs befleckt und irgendwo sicher verwahrt.
"Ja, aber ich dachte, dieses hier würde sich bestimmt auch ganz gut zu deinen anderen Messern machen", grinste Jaromir und überreichte ihm ein für seine Größe genau passendes Schwert, dessen mit geheimnisvollen Gravierungen versehene Klinge von der Feuchtigkeit, die in der Luft hing, glänzte. Leanords Miene hellte sich augenblicklich auf und er nahm das Schwert staunend von Jaromir entgegen.
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Des Königs letzter Schatz
FantasiaEine unnatürliche Kälte lag in der Luft und die Lichter in der Stadt waren erloschen. Einzig das Licht einiger sich hektisch bewegender Fackeln schimmerte von der nebelverhangenen Straße bis zum Fenster herauf... Eine junge Prinzessin wird nach dem...