Ep 6 - Seong Hwa

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Als ich aufwachte, war Yeo Sang bereits verschwunden. Eine unbegreifliche Panik ergriff mich und ich schnappte sofort nach meinem Handy, um seinen Standort zu überprüfen. Sofort beruhigte ich mich, als ich die Umrisse der Uni erkannte. Ich ging jegliche IDs meiner Freunde durch. San war in deren Apartment, Woo Young war in seinem Restaurant. Yun Ho und Min Gi befanden sich auf dem Campus und Jong Ho musste im Studentenwohnheim sein.
Mit dem Handy auf der Brust ließ ich mich ins Kopfkissen sinken. Seit Yeo Sang mir vom Traum erzählt hatte, nagte eine unheimliche Angst an mir. Die bewaffneten Männer, der Webtoon, sein Traum. Plus der Armreif, den ich definitiv im Manhwa gesehen hatte. Genau wie der Name. Quinn.
Irgendwie hing alles miteinander zusammen. Kopfschüttelnd richtete ich mich auf. Was für ein Quatsch. Der Manhwa war fiktiv. Yeo Sang hatte einen Albtraum gehabt, weil die bewaffneten Männer ihm Angst eingejagt hatten.
Mein Blick geradeaus glitt in eine leere Starre. Zum Schreibtisch. In der Schublade befand sich der Armreif. Merch? Trugen Autoren ihren eigenen Merch? Stopp. Ich machte mich verrückt. Was nun für mich wichtig war, war meine Facharbeit und ich musste eine Praxis oder Krankenhaus finden, die mich anstellten. Darin sollte ich meine Zeit investieren und nicht irgendwelche Fehden eines Fantasy-Manhwas entwirren. Das war nicht mein Problem.
Ich suchte mir einen Podcast raus, der mich beruhigte. Angestrengt lauschte ich diesem, während ich Skincare machte, um mich von allem abzulenken. Nachdem ich mich umgezogen hatte, packte ich meinen Rucksack. Laptop, Ladekabel, Geldbeutel. Bevor ich mein Zimmer verließ, schielte ich zum Schreibtisch. Zuerst blickte ich zum Todesstern, noch ein Viertel fehlte, bis dieser vollständig war. Ich konnte es nicht vermeiden, dass ich zur Schublade stierte. Kopfschüttelnd riss ich mich vom Gedanken los. Trotzdem kehrte ich 'ne Minute später zurück und verstaute den Armreif in meiner Hosentasche. Wieso ich das tat, wusste ich nicht. Intuition, schob ich vor.
Während ich das Apartment verließ, stopfte ich mir meine AirPods in die Ohren und wählte meine KPop-Playlist aus. Ein bisschen veränderte sich meine Laune zum Besseren. Gepaart mit aktiver Verdrängung klappte mein Plan, mich gedanklich auf meine Facharbeit einzulassen.
Ich war froh, als ich den vollen Bus verlassen konnte und mir im nächsten Coffee Shop einen Iced Americano bestellte. Fast war alles wie immer. Meinen Freunden schickte ich einen Snap mit dem Kaffee in der Hand, als ich den Coffee Shop verließ.
Die Uni war nicht mehr weit entfernt; knapp zehn Minuten lief ich, als ich auf den Campus abbog. Paar meiner Mitstudenten grüßte ich und betrieb Smalltalk. Manchen bot ich meine Hilfe für kommende Prüfungen an und rückte meine KakaoID für Rückfragen raus.
In der Bibliothek suchte ich mir ein angenehmes Plätzchen, wo ich es mir für die nächsten paar Stunden gemütlich machen konnte. Dennoch zitterten meine Finger, als ich den Laptop aufklappte. Was erwartete ich?
Drei Stunden benötigte ich für Recherche, drei weitere Stunden fürs Schreiben. Zwei Stunden wendete ich für Formatierung auf. Dann war sie fertig. Erleichtert seufzte ich auf, als ich die Korrektur abgeschlossen hatte. Sollte ich sie meinem Prof schon schicken oder sollte ich noch bis morgen abwarten? Ein weiteres Mal Korrekturlesen? Nee, sie war gut. Womöglich einer meiner besten Arbeiten, die ich bisher angefertigt hatte. Dennoch las ich nochmal alles durch, besserte Fehler aus und stellte Sätze für einfacheres Verständnis um. Danach schickte ich sie ab. Fünf Minuten später erhielt ich eine Eingangsbestätigung meines Profs mit einem einfachen Danke. Professor musste man sein. Den ganzen Tag seine Stunden runterbeten, da die Studenten den Rest allein machen mussten.
Bevor ich den Laptop zuklappte, öffnete ich die Google-Suche. In der Leiste tippte ich "the pirates prince quinn" ein. Mehrere Links wurden mir ausgespuckt. Gefühlt die ersten zehn waren Pinterest-Links. Diese leiteten mich zu Fanarts weiter, die einen dunkelhaarigen jungen Mann zeigten. Meistens zeichneten sie ihn mit einem dunkelgrünen Gewand und einem Diadem. Oftmals trug er auch einen Zauberstab bei sich. Dann scrollte ich mich durch die Kommentare.
"loooool... lustig, wie viele Fanarts existieren, obwohl er nur einmal erwähnt wurde."
Endlich fand ich unter einem Post die Frage, wer Quinn war und welche Rolle er im Manhwa spielte. Mehrere Antworten befanden sich darunter, die Sinnvollste pickte ich heraus.
"Er ist der jüngste Sohn des Heiler-Hexenmeisters Sebastian. Mit vier Jahren wurde er von Lucifers Gefolgsmännern entführt, um seinen Vater auf dessen Seite zu ziehen. Er hat noch einen älteren Bruder, Alec, der ihn seit Anfang des Manhwas sucht."
Gefolgsmänner. Sofort schoss mir das Bild von gestern Abend in den Kopf. Die bewaffneten Männer. Yeo Sangs Traum. Mir wurde übel.
Ein "Hyung" riss mich aus meinem Gedankenkarussell und brachte mich dazu, in Sekundenschnelle den Laptop zuzuklappen. Im Augenwinkel erhaschte ich Yun Ho und Min Gi. Ersterer grinste mich an. Er knuffte meine Schulter.
>> Gib zu, der Webtoon ist gut. <<
Kichernd stimmte ich zu. Ich verhielt mich wie ein Idiot. Aber sie schienen nichts zu bemerken. Ungehalten lästerten sie über ihre Profs, die heute unerträglich waren, und zischten dann mit einem „Bis später, Hyung" ab. Lange stierte ich zur Stelle, an denen sie hinter einem Regal verschwunden waren.
Erneut öffnete ich meinen Laptop und Pinterest erschien, nachdem ich den Code eingetippt hatte. In einem weiteren Tab suchte ich nach Alec. Für eine Sekunde vermisste ich meinen Herzschlag. Der Typ war Yeo Sang aus dem Gesicht geschnitten. Zwar ein bisschen erwachsener und maskuliner, dennoch die Ähnlichkeit war unverkennbar. Besser erwähnte ich dies vor Yeo Sang nicht. Er würde bloß in Panik verfallen. Berechtigterweise.
Ich scrollte durch die Zeichnungen. Wie zuvor Quinn wurde Alec oft in langen, fließenden Gewändern und Diadem plus Zauberstab dargestellt. Sonst trug er Uniformen und Schwerter mit sich. Zum größten Teil wurde er zusammen mit Jonah, Seth und Jay gezeichnet. Unter diesem Beitrag wurde mir ein Ausschnitt aus dem Anime vorgeschlagen. Dieser war mit „soooooo traurig" betitelt. Das Thumbnail zeigte einen blonden Mann und etwas in mir sagte, dass es sich um Elo handelte. Bevor ich das Video anklickte, versicherte ich, dass meine Kopfhörer über Bluetooth verbunden waren.
Ohne, dass ich den Anime je gesehen hatte, kam mir die Szene bekannt vor. Yeo Sangs Traum. Der Engel Elo hielt den kleinen Quinn schützend im Arm, bis geräuschvoll - prompt reduzierte ich die Lautstärke - die Tür aufflog. Zehn hochbewaffnete Männer stürzten in den Raum und umzingelten beide. Schützend drückte der Engel den kleinen Jungen hinter seinen Rücken, aber es war umsonst. Mithilfe Magie katapultierte der Anführer Elo gegen die Wand und seine Gefolgsmänner schnappten den kleinen Jungen. Er schrie fürchterlich, rief nach dem Engel. Gleichzeitig diente der Schrei zur Überleitung in die nächste Szene. Knapp darauf endete das Video. Aber eines erkannte ich, weshalb ich das Gefühl hatte, mein Herz würde aussetzen. Der Armreif.
Mehrmals wiederholte ich den Schluss. Egal, wie oft ich mir die Sequenz ansah und hineinzoomte; ich kam jedes Mal zum gleichen Entschluss. Kein Weg führte vorbei. Das war der Armreif, den Seth vorm Supermarkt verloren hatte.

The Pirate's PrinceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt