23- Die Macht des Smaragds

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Thara brauchte einen Moment, bis sie wieder sprechen konnte. Sie versuchte sich zu sammeln.

"Hast du gerade-", sie konnte es nicht aussprechen, doch Naira half ihr.

"Einen Unschuldigen mit Blicken getötet", beendete sie Tharas Satz tonlos. "Und es ist nicht einmal mehr schwer. Ich habe mir geschworen, nie mehr unter Leute zu gehen, um die Leute zu beschützen", erklärte Naira schließlich weiter.

"Ich weiß, ich weiß", fuhr sie hastig fort, als Thara Luft holte, um einzuwenden, dass Naira nicht die Schuld daran trug, dass sie die Kraft des Smaragds nicht hatte zügeln können.

"Kein ausgereifter Plan für ein ewiges Leben, das ist klar, aber es hat sich zumindest sicher angefühlt. Ich habe gelernt die Macht mit meinem Kopf anstatt mit dem Herzen zu lenken, aber ich wollte auf keinen Fall einen Unfall riskieren, nur weil ich nicht alleine sein wollte." Sie machte nachdenklich eine Pause. Stimmen drangen von der Lichtung zu ihnen hinauf, es war nun vollständig hell geworden und unter ihnen herrschte reges Treiben.

"Als ich euch getroffen habe und ihr mir von eurem Plan erzählt habt, war das die Gelegenheit. Es ist die Gelegenheit. Die Gelegenheit, das Ding ein für alle Mal und ohne, dass andere sich irgendwann damit rumschlagen müssen, loszuwerden." Thara nickte bekräftigend.

"Das ist es allerdings und ich verspreche dir, wir werden diese Gelegenheit nutzen. Ich bin froh, dass du uns begleitest." Sie lächelte Naira aufrichtig an. Sie erwiderte das Lächeln und etwas von der Anspannung wich aus ihrem Gesicht. Sie saßen noch eine Weile schweigend nebeneinander, hingen ihren eigenen Gedanken nach und ließen die Sonne ihre Gesichter wärmen, bevor Thara schließlich hinab kletterte. Jaromir schlief nach wie vor. Er war den ganzen Weg in den Dunkelwald erschöpft gewesen und hatte beinahe jede ihrer Rasten genutzt, um zu schlafen, allerdings hatten sie niemals lange gerastet, weshalb Thara ihn ungern wecken wollte, wo er sich doch nun endlich einmal in Ruhe erholen konnte. Sie erinnerte sich allerdings auch an Elbra und war sich sicher, dass er sauer sein würde, wenn er aufwachen würde und er niemanden fand. Naira musste Tharas unschlüssigen Blick bemerkt haben, denn sie sprang nahezu lautlos aus der Krone des Baumes und landete leichtfüßig neben Thara in der Mitte des kleinen Raumes.

"Geh ruhig, ich kann hier bleiben." Thara runzelte die Stirn.

"Bist du sicher? Du musst nicht, ich kann auch-" Doch Naira winkte entschieden ab.

"Ich bleibe lieber noch etwas hier, ein bisschen in Ruhe sein und so", versicherte sie mit einem skeptischen Blick über den Rand der Plattform nach unten. Auf der Lichtung waren nun zahlreiche Elben, die ihren alltäglichen Besorgungen nachgingen. Thara nickte und bedankte sich, bevor sie die leichte Luke öffnete und die Strickleiter hinunterstieg. Der Weg hinab fühlte sich ewig an, schließlich war das Baumhaus sehr hoch oben im Baum. Sie konnte nicht umhin, Erleichterung zu spüren, als ihre Füße endlich den weichen Waldboden berührten. Suchend sah sie sich auf der Lichtung um. Schon seit dem vorherigen Abend brannte sie darauf, Anori und Drasere wieder zu sehen. Sie musste ziemlich viele Elben fragen, bis ihr einer schließlich sagen konnte, auf welcher Lichtung ihre Freunde lebten. Sie lag etwas entfernt und näher am Gebirge als die ihre. Als sie zwischen den Bäumen hervortrat, musste sie einen Moment staunend stehen bleiben. Thara hatte mit einer Lichtung so wie die anderen gerechnet, umrahmt von Baumhäusern, ein paar anderen Dingen wie einem Marktplatz, einer Schmiede, Ställen, Plantagen oder Tischen und Bänken in der Mitte und voller Elben. Was sie stattdessen vorfand, war das Gegenteil. Die Lichtung war mit kleinen Häusern übersät, zwischen denen erdige Pfade hindurchführten. Und statt Elben waren es Zwerge, die durch die Häuserreihen liefen. Ein Dutzend Zwerge ging freundlich nickend an ihr vorbei. Sie trugen Spitzhacken über der Schulter und bogen auf den Weg ab, der hinauf ins Gebirge führte. Thara sah ihnen einen Moment nach, bis sie sich einen Ruck gab und sich von dem Baum abstieß, an den sie sich gelehnt hatte. In der Schule am Hof hatte sie gelernt, dass Elben und Zwerge nicht besonders gut mit einander klar kamen, doch diese Siedlungen, die hier im Dunkelwald friedlich direkt nebeneinander lagen, bewiesen, dass ein Miteinander von Zwergen und Elben wohl nicht unmöglich war. Dass Thara auf ihrem Weg durch das Dorf auch hin und wieder Elben sah, bestätigte diese Vermutung. Plötzlich rief jemand ihren Namen. Sie drehte sich um. Anori stand ihr gegenüber und strahlte über beide Ohren. Kurzerhand schloss Thara den Zwerg in die Arme.

Des Königs letzter SchatzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt