"Hier rüber", flüsterte der Prinz und winkte ihnen zu, ihm zu folgen. In geduckter Haltung schlichen sie hastig durch das Unterholz. Dior führte sie zu einem moosbedeckten Stein, hinter den sie sich kauerten. Die Geräusche kamen näher und plötzlich nahm Thara aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr. Anori entwich ein erstaunter Laut, woraufhin Dior ihnen mit einer Handbewegung bedeutete, leise zu sein. Aus dem Wald links vor ihnen brach eine Herde von- ja, von was eigentlich? Thara hatte solche Wesen noch nie zuvor gesehen. Wenn sie sich nicht mit einem Geräusch von zermahlender Rinde fortbewegt hätten, hätte sie sie für Bäume gehalten. Sie sahen aus wie etwa sechs Meter hohe Bäume mit einer breiten Krone und einem knorpeligen massiven Stamm mit riesigen Wurzeln, die sich teilweise um das Holz schlangen. Gemächlich gruben sie ein paar große Wurzeln in den Waldboden und die Wesen zogen sich an ihnen vorwärts. Erst jetzt bemerkte Thara, dass sie sich in einer Schneise bewegten, in welcher der Erdboden bereits aufgewühlt war. Die Herde bestand aus fünf großen und zwei etwas kleineren Wesen. Wenn es Tiere gewesen wären, hätte Thara gesagt, es wären die Jungen, doch diese Aussage kam ihr in diesem Zusammenhang zu absurd vor.
"Was sind das?", flüsterte Naira.
"Das", flüsterte Dior andächtig. "Ist die Herde von Skogarin. Sie beschützen den Wald seit Jahrhunderten."
"Wessen Herde?", fragte Thara nach.
"Die Herde von Skogarin, hat Euch niemand davon erzählt?" Einvernehmliches Kopfschütteln war die Antwort. Dior seufzte versonnen. Die Baumwesen hatten den Weg überquert und verschwanden allmählich wieder im dichten Wald. Auf ihrem Weg zu den Drachennestern erzählte Prinz Dior ihnen schließlich die Legende. Skogarin war ein Elb gewesen und ein Baumhirte. Er achtete auf die Bäume, kümmerte sich um sie und er hatte seine ganz eigene Herde, die durch den Wald striff und ihm berichtete, wenn die Natur seine Hilfe brauchte. Damals waren die Drachen des Iddan ganz in der Nähe noch keine Freunde der Dunkelwaldelben und viele Bäume wurden durch ihr Feuer verletzt. Dior erzählte, Skogarin war mit einer ganz besonderen Verbindung zur Natur gesegnet, er konnte zu ihr sprechen und sie antwortete ihm. Er konnte sie um etwas bitten und sie tat es für ihn. Doch eines Tages verliebte sich Skogarin in eine Frau, in eine menschliche Frau. Die Teilung der Lande war nicht lange her und die Völker lebten für sich, sie mischten sich nicht, auch wenn es nicht mehr so oft zu Konflikten kam, und es gehörte sich nicht, eine andere Art als die eigene zu lieben. Also verließen die beiden die Siedlung und zogen sich tiefer in den Wald zurück. Seine Herde wanderte jedoch weiter umher, beschützte den Wald und erzählte ihm, wenn seine Hilfe wieder benötigt wurde. Jedoch waren weder Skogarin noch seine Frau jemals wieder von den Elben des Dunkelwaldes gesehen.
"Es ist eine alte Geschichte, man findet sie in Märchenbüchern. Jeder kann selbst entscheiden, ob er daran glaubt, aber diejenigen von uns, die die Ehre haben, der Herde zu begegnen, glauben daran", beendete Dior seine Erzählung schließlich. Keiner hatte ihn unterbrochen, während er gesprochen hatte.
"Hast du ihn jemals gesucht?" Dior wandte sich überrascht zu Naira um. Sie zuckte die Schultern.
"Naja, ich würde ihn suchen. Ich würde ihn fragen wollen, was es mit seiner Herde auf sich hat. Wie er so ein Band mit der Natur hat, vielleicht kann man es noch viel besser nutzen. Und ich würde ihn sehen wollen."
Dior schüttelte entschieden seinen Kopf. "Dieser Wald birgt mehr Geheimnisse, als ich begreifen könnte. Mir reicht, dass die Magie da ist. Wozu muss ich wissen, warum das so ist?" Darauf fand Naira keine Antwort.
"Magie ist etwas, dass man nicht verstehen muss. Es ist viel größer und kraftvoller, als wir es uns vorstellen können und wir sollten nicht kontrollieren wollen, was wir nicht verstehen", erklärte Dior nachdrücklich.
Es folgte eine peinliche Stille, in der niemand etwas sagte. Thara konzentrierte sich auf ihren Atem, da der Weg immer steiler anstieg. Die Elben liefen leichtfüßig voran. Der Wald lichtete sich mit jedem Schritt, den sie weiter nach oben kamen. Anori war ein Stück zurückgefallen, deshalb verlangsamte Thara ihren Schritt, damit er neben ihr laufen konnte.
DU LIEST GERADE
Des Königs letzter Schatz
FantastikEine unnatürliche Kälte lag in der Luft und die Lichter in der Stadt waren erloschen. Einzig das Licht einiger sich hektisch bewegender Fackeln schimmerte von der nebelverhangenen Straße bis zum Fenster herauf... Eine junge Prinzessin wird nach dem...