Hass

65 10 74
                                    

Der Wind rauschte durch die Blätterdecke und in einiger Entfernung ertönte ein Rasseln. Nur einen Wimpernschlag später war es direkt neben ihm.

»Denkt nicht einmal darüber nach.«

Er hatte nie erwartet, diese Stimme erneut zu hören. Augenblicklich sprang er auf die Füße und wirbelte herum. Dieselbe Reaktion kam von V, sie brauchte jedoch einige Sekunden länger.

Das silberne Licht der Monde verfing sich in dem violetten Haar, das Rasseln der Ketten hallte noch kurz nach, ehe es verstummte.

»Wenn Ihr mich schon ruft«, sagte der Erzähler, »dann wartet doch wenigstens, bis ich hier bin, und tut nicht gleich etwas so Unüberlegtes.«

Kematian wich vor ihm zurück. Obwohl es nun schon einige Jahre her war, dass er den Erzähler getroffen hatte, war die Erinnerung an die Begegnung noch lebhaft in seinen Gedanken. Fast spürte er das Brennen, das sich durch seine Wange zog, und sein eigenes Blut, das an seinem Gesicht hinabfloss..

Seit der Erzähler aufgetaucht war, hatte sich aber ein neuer Geruch zwischen das Moos des Waldes und den Tau auf den Gräsern gelegt. Ein Geruch, der bitter auf seiner Zunge lag und ihn dazu brachte, das Gesicht zu verziehen.

Er spuckte das Blut, das noch in seinem Mund war, auf den Boden, aber der Geschmack blieb.

»Heute bin ich nicht Euretwegen hier«, sagte der Erzähler. Er sah auf den Meisterdieb hinab und seufzte leise. »Eigentlich möchte ich doch einfach nur meine Ruhe haben. Manchmal wünschte ich, dies alles würde mich nicht so sehr kümmern, aber ich habe wohl ein zu gutes Herz, und da ich ohnehin gerade hier bin ...«

Er kniete sich zu Ejahl. »Sieht nicht gut aus.«

Der Meisterdieb röchelte leise und sein Blick fokussierte sich auf die Gestalt vor sich. »Nur ein Kratzer«, brachte er hervor. Er schnappte nach Luft, um weitersprechen zu können. »Die Wunde ist weder so tief wie ein Brunnen, noch so weit wie ...«

»Hört einfach auf zu sprechen«, unterbrach der Erzähler ihn. »Ich kann Euch sicherlich wieder zusammenflicken, aber nicht hier.« Er sah zu V. »Ihr kommt auch mit mir und sei es nur, um Euch vor ihm«, er ruckte seinen Kopf in Kematians Richtung, »in Sicherheit zu bringen. Ein Jammer, dass ich die kleine Diebin gerade erst wieder losgeschickt habe, ansonsten wärt Ihr Euch bei mir begegnet.«

Er griff nach Ejahls Arm und zog ihn mit sich auf die Füße. Der Meisterdieb ächzte.

»Wenn meine Innereien nächstes Mal das Weite suchen, werde ich es auch nur einen ›Kratzer‹ nennen«, sagte der Erzähler. »Tut mir einen Gefallen und haltet Euren Magen fest.«

Er schloss seine noch freie Hand um Vs Ärmel. »Ein letztes Wort der Warnung, bevor wir zu mir aufbrechen: Ich lebe mit jemandem zusammen und ich möchte kein Blutbad in meinem Haus.«

Nur einen Augenblick später stand Kematian allein zwischen den Bäumen. Der Wind nahm den Geruch nach Blut und nach bitterem Hochmut mit sich fort und an dessen Stelle trat etwas anderes.

Rauch.

Ein Blick in Richtung Cyrill bestätigte seinen Verdacht. Schwarz schraubte sich eine Säule in den nächtlichen Himmel, der sich nun kurz über der Stadt blutrot färbte.

Feuer. Und wenn Kematian mit seiner Vermutung richtig lag, dann war es das Versteck der Diebe, das brannte.

Eines war ihm an diesem Abend aufgefallen, als er mit Ejahl das Nest betreten hatte. Es hatten sich auffallend wenig erfahrene Raben in der Zuflucht aufgehalten und größtenteils die Küken – die jüngsten unter ihnen – hatten gegen sie gekämpft.

The Tale of Greed and VirtueWo Geschichten leben. Entdecke jetzt